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Nizza trauert und ermittelt

Bernd Riegert, Nizza 16. Juli 2016

In wenigen Wochen sei der Täter zum Islamisten mutiert, so die Behörden. Ob er Einzeltäter war oder Teil eines Netzes, wird noch ermittelt. Die Trauer geht weiter, aber auch das normale Leben. Bernd Riegert aus Nizza.

Frankreich Nizza Fahnen auf Halbmast nach Amokfahrt
Die Trikolore auf Halbmast an der Strandpromenade: Das Baden geht weiterBild: DW/B. Riegert

Sie ist Tatort, Gedenkstätte und auch vierspurige Hauptverkehrsader in Nizza: die Strandpromenade, oder "Promenade der Engländer". Am Samstag, zwei Tage nach dem LKW-Attentat, wurde sie auf einer Seite wieder für den Autoverkehr geöffnet. Auf der Fahrbahn, auf der der Attentäter 84 Menschen auf brutale Weise tötete und über 200 Menschen verletzte, dürfen vorerst nur Fußgänger gehen. "Das ist ja doch ein seltsamer Ort hier", meint Antoine aus Nizza. Er fotografiert mit seinem Handy einen dunklen Fleck auf dem Asphalt, der noch ein wenig glänzt. Dann legt er eine kleine weiße Rose nieder. Noch ein Foto. Die trauernden Passanten sind sich einig. Dies hier ist die Stelle, an der der Attentäter mit seinem weißen Miet-Lkw durch Schüsse von der Polizei gestoppt wurde. Hier lagen viele Leichen überfahrener Menschen. Jeder dunkle Fleck könnte für ein Opfer stehen. "Da kann man nicht einfach drüber gehen", sagt der Mann und legt noch eine Rose ab.

Bild: DW/B. Riegert

Ein Teddy für die toten Kinder

Tausende besuchen an diesem ersten Tag der offiziellen Staatstrauer die Promenade in Nizza, mit ihren palastähnlichen Hotels, Palmen und Restaurantterrassen. Die Blumenteppiche an den spontan entstandeten Gedenkstätten wachsen stündlich. Kerzen brennen. Jemand hat einen großen braunen Teddybär abgelegt. Auf dem Zettel, den er um den Hals trägt steht, dass er an die zehn ermordeten Kindern unter den Opfern erinnern soll. Noch immer liegen 30 Kinder im Kinderkrankenhaus, das auch an der Strandpromenade steht. Manche sind schwer verletzt, viele völlig traumatisiert. Das Krankenhaus sucht immer noch die Eltern eines verletzten Kindes. Sie könnten, so die Befürchtung der Mediziner, unter den Todesopfern sein. An einer Laterne an der Promenade hängt eine fotokopierte Suchmeldung für eine weitere vermisste Frau. Noch sind nicht alle Opfer identfiziert.

Verzweifelte Suche am Laternenpfahl: Frau nach Anschlag verschwundenBild: DW/B. Riegert

Baden und gedenken

"Die Stadt ist immer noch in Schock und kann nicht fassen, was geschah", sagte der Präsident der Region "Provence-Alpes-Cote", Chrisian Estrosi , als er eine der Gedenkstätten am Mittag besucht. Ein Konzert der Sängerin Rihanna im Stadium von Nizza wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Das Jazz-Festival direkt an der Strandpromenade ist unterbrochen. Ansonsten versucht die Stadt auch, wieder zur Normalität zurückzukehren. Es sind Sommerferien. Hochsaison in Hotels und Restaurants. Das Leben am Strand in unmittelbarer Nähe zum Ort des Anschlags geht weiter. Das Wasser glitzert azurblau.

Am Morgen hatte die Polizei in Nizza zwei Wohnungen durchsucht und drei Personen für Befragungen in Gewahrsam genommen. Die Ermittler wollen herausfinden, ob der Attentäter Mohamed Bouhlel tatsächlich alleine gehandelt oder Helfer, oder sogar Auftraggeber hatte. Unklar ist zum Beispiel, woher die Waffen stammen, die in dem LKW gefunden wurden. Auf die Namen der Verhafteten führte die Polizei das Handy des 31 Jahre alten Tunesiers, das ausgewertet werden konnte. Bereits gestern waren die ehemalige Frau Bouhlels und ein weiterer Mann vernommen worden.

Mohamed Lahouaiej-Bouhlel: Der Kleinkriminelle soll sich "sehr schnell" radikalisiert habenBild: Getty Images/AFP/French Police Source

Täter war offenbar doch radikaler Islamist

Bei der Suche nach dem Motiv für die schlimmste Gewalttat in Nizza seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Behörden weiter gekommen. Sie gehen jetzt davon aus, dass sich Mohamed Bouhlel "in den letzten Wochen sehr schnell als Islamist radikalisiert hat". Das bestätigte Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts in Paris. Angehörige Bouhlels hatten noch gestern ausgesagt, dass der Attentäter kein besonders gläubiger Moslem gewesen sei. Er habe an Depressionen gelitten und sei auch schon in psychologischer Behandlung gewesen. Der Generalstaatsanwalt Frankreichs ging bereits am Freitag davon aus, dass es sich um einen dschihadistischen Terrorakt gehandelt hat. Tatvorbereitung und Tathergang folgten einem bekannten Muster, so die Staatsanwaltschaft.

Zu diesem Muster passt auch, dass sich die Terrororganisation "Islamischer Staat" heute zu dem Anschlag bekannt hat. Der "IS" behauptet, der Attentäter von Nizza sei einer seiner "Soldaten" gewesen. Terrorismus-Experten befürchten, dass der "IS" mehr und mehr auf Einzeltäter setzt, die schwer zu finden sind und mit relativ einfachen Mittel enormen Schaden anrichten können. Mohamed Bouhlel war den für Terrorabwehr zuständigen Geheimdiensten nicht bekannt, bestätigte das Innenministerium in Paris. Er war lediglich als Dieb und Gewalttäter bei der Polizei in Nizza aktenkundig, aber nicht als radikaler Islamist. War er doch Teil einer Terrorzelle?

Nizza: Irgendwie zurück ins Leben

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Zu wenig Polizei vor Ort ?

Auf der Strandpromenade wird bei denTrauernden über den Täter und die Frage diskutiert, ob der Anschlag nicht doch hätte verhindert werden können. Lokale Medien berichten, der LKW-Attentäter habe die Umsperrungen auf der Fahrbahn umfahren und sei über den Fußweg in den gespeerten Bereich eingedrungen. Dort waren auf einer Strecke von rund zwei Kilometern 120 Polizisten, 20 Soldaten und noch weitere Ordnungskräfte eingesetzt gewesen. Das sei ja offenbar zu wenig gewesen, kritisierte der Regional-Präsident Christian Estrosi, als er die Gedenkstätte besuchte. "Wir erwarten für Nizza die gleichen Sicherheitsstandards wie in Paris oder bei der Fußball-Europameisterschaft", sagte Estrosi und ging davon aus, dass dort mehr Polizisten im Einsatz waren. Die Regierung in Paris hat inzwischen angekündigt, dass sie die Zahl der Sicherheitskräfte im ganzen Land noch einmal erhöhen will. Es soll auch die Reserve der Armee eingezogen werden. Zusätzlich rief Cazeneuve "alle willigen Bürger" auf, sich zum Reservistendienst zu melden.

Der Ausnahmezustand, der eigentlich beendet werden sollte, wird nun am kommenden Mittwoch voraussichtlich von der Nationalversammlung verlängert.

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