Malcolm X oder: Was ist der Preis von Frieden?
19. Mai 2025
Am 19. Mai 2025 wäre Malcolm X 100 Jahre alt geworden. Der 1965 in Manhattan (New York) ermordete US-Amerikaner zählt zu den führenden Figuren in der Geschichte der Bürgerrechtsbewegung der USA. Aber nicht alle sehen ihn so. Er gehörte bereits ab 1948 zu der religiös-politischen Organisation "Nation of Islam" (NOI). Das haben viele kritisch beäugt. Die NOI propagierte eine Überlegenheit von Schwarzen und verfolgte separatistische Ziele. Malcolm X wurde einer ihrer bedeutenden Wortführer. Das erhöhte die Popularität der NOI.
Malcolm X hat sich von den Bürgerrechtlern abgegrenzt, die gewaltfrei die Rechte für Afroamerikaner erkämpfen wollten. Martin Luther King zum Beispiel. Malcolm X vertrat die Überzeugung: Die Weißen haben ihre Dominanz über Jahrhunderte gefestigt. Die rassistischen Strukturen, die sie aufgebaut haben, sorgen für ihren Wohlstand - auf Kosten der unterdrückten Schwarzen. Ihren Status quo verteidigen die Weißen im Zweifelsfall mit Gewalt gegen die Afroamerikaner. Warum sollten diese also nicht zurückschlagen können?
Die Afroamerikaner müssten sich erst befreien. Dann würden sie zum Frieden gelangen, so Malcolm X. In seiner "Ballot or the Bullet"-Rede im April 1964 sagte er: "Man kann Frieden nicht von Freiheit trennen, weil niemand in Frieden leben kann, wenn er nicht frei ist. (…) Wenn du nicht frei bist, hast du keinen Frieden. Der Frieden, von dem du sprichst, interessiert mich nicht, weil ich selbst keinen Frieden habe."
Freiheit ist nach der Auffassung von Malcolm X die Voraussetzung für Frieden. Und die muss man sich erst erkämpfen. Frieden in einem System, das Menschen ihre elementaren Bürgerrechte nicht geben kann, war für Malcolm X undenkbar.
Es muss jedoch immer wieder neu geklärt und definiert werden: Was ist Frieden? Wie soll er sich in der Gesellschaft auswirken? Auf welcher ideologischen Grundlage beruht er? Wird der Respekt vor der Würde aller Beteiligten ausreichend einbezogen - und auch verpflichtend festgehalten? Ermöglicht der erkämpfte oder ausgehandelte Frieden allen eine gerechte Teilhabe am sozialen Leben?
Im Kampf, in dem sich Malcolm X sah, und in den meisten Konflikte stehen sich ungleiche Gegner gegenüber. Das befeuert ihre Dynamik. Ein Teil der Bevölkerung beansprucht den Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen für sich und schließt den Rest davon aus. Oder: Eine Gesellschaftlich macht insgesamt technische und wirtschaftliche Fortschritte. Aber einige Gruppen von Menschen, vielleicht aufgrund ihres sozialen Status, sind daran nicht beteiligt. Das führt zu einem gewaltigen Machtgefälle.
Was motiviert die stärkere Konfliktpartei dazu, im Interesse des Friedens auf ihre Machtstellung zu verzichten? Welche Möglichkeiten hat die schwächere Seite? Wie wird Frieden?
Im Alten Testament gibt es eine Vision dafür. Das Prophetenbuch Jesaja beschreibt: Am Ende der Zeit strömen Völker und Nationen zum Berg Gottes. Ich entdecke in dieser großen Vision vier Schritte zum Frieden. Im ersten Schritt stimmen sich alle darauf ein, dass die Weisung Gottes gelten soll. Das Machtgefälle, die diskriminierenden Grenzen, die entzweienden Unterschiede werden aufgehoben. Es gibt eine Wahrheit, die alle verbindet und bindet.
Im zweiten Schritt zeigt sich, wie diese Weisung Gottes aussieht. Die Nationen und Völker schmieden die Symbole ihrer Macht, die Schwerter und die Lanzen, um. Nicht für Macht, nicht für Gewalt, nicht für Kampf sollen sie in Zukunft fungieren. Was bislang die Herrschaft durch Gewalt sicherte, soll von nun an in der Landwirtschaft eingesetzt werden: Schwerter werden zu Pflugscharen und Lanzen zu Winzermessern. Sie sind nicht länger Kriegs-, sondern Lebensmittel.
Wir entscheiden, wofür wir die Ressourcen einsetzen. Ob wir aus Eisen ein Schwert oder einen Pflug machen. Das Know-how, das bislang in den Krieg investiert wurde, kann genauso gut für Maßnahmen verwendet werden, die dem Leben dienen.
Die Art der Instrumente wirkt auch auf das Verhalten der Menschen. Das kommt mit dem dritten Schritt: Kein Volk wird mehr das Schwert gegen das andere erheben, "und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen". Eine noch nie dagewesene Wendung in der Geschichte der Menschheit.
Der vierte Schritt schließlich zeigt eine neue Orientierung: "Wir wollen gehen im Licht des Herrn." Zu dem Vertrauen auf das eigene Denken kommt die Frage nach dem Willen Gottes. Es scheint, dass der Frieden nicht von dem abgekoppelt werden kann, was Gott von und für den Menschen will.
Es ist eine Vision, keine Gebrauchsanweisung, wie Frieden im Einzelnen funktioniert. Aber ich brauche Visionen, um mich zu motivieren und nach einem Ziel auszurichten. Ich lerne mit dieser Vision: Frieden beinhaltet den Willen, den Respekt vor dem Leben zur Grundlage des Handelns zu machen. Dabei hilft mir, nicht allein auf mich, sondern mehr auf Gott zu vertrauen.
Zum Autor Jean-Félix Belinga-Belinga
- 1956 in Südkamerun geboren und aufgewachsen
- Autor, Journalist, Pfarrer und interkultureller Trainer
- Studium der Evangelischen Theologie in Erlangen (Bayern)
- Verheiratet, Vater von drei erwachsenen Kindern, Großvater von vier Enkelkindern
- Im Ruhestand, wohnt im Odenwald