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PolitikIsrael

Virale App ruft zum Boykott israelbezogener Produkte auf

1. Dezember 2023

Die App "No Thanks" ruft dazu auf, Produkte von Unternehmen nicht zu kaufen, die Israel "unterstützen". Eine legitime Form von Protest oder gar Antisemitismus?

Deutschland Supermarkt Oliven-Öl
Die Boykott-Liste von "No Thanks" umfasst auch Lebensmittel-Marken und SupermarktkettenBild: dolgachov/IMAGO

Die App funktioniert scheinbar ganz einfach: Nutzende können den Strichcode eines Produkts scannen oder seinen Namen eingeben - und binnen Sekunden wird ihnen mitgeteilt, inwiefern der Hersteller "Israel unterstützt". Dann wird "No Thanks", also "Nein, danke", angezeigt - ein Aufruf, bestimmte Produkte nicht zu kaufen. In Videos auf TikTok und X ist zu sehen, dass Firmen wie Coca-Cola und Nescafé gelistet sind.  

Auf den Markt gekommen ist die App am 13. November. Über 100.000 Mal wurde sie bisher heruntergeladen, laut Social-Media-Kommentaren interessieren sich Menschen weltweit für die App, beispielsweise aus Indien oder Belgien.

App ist im Playstore nicht mehr downloadbar 

Seitdem die militante islamistische Hamas, die von der Europäischen Union, den USA, Deutschland und weiteren Ländern als Terrororganisation eingestuft wird, Israel am 7. Oktober überfiel, 1200 Menschen tötete und etwa 240 Geiseln nahm, ist der Konflikt zwischen Israel und Gaza eskaliert. Laut dem von der Hamas geführten Gesundheitsministerium sollen auf palästinensischer Seite seit dem 7. Oktober fast 15.000 Menschen durch die israelische Bombardierung des abgeriegelten Gebiets im Gazastreifen getötet worden sein. Seitdem positionieren sich viele Menschen weltweit entweder proisraelisch oder propalästinensisch oder sogar pro-Hamas. Die Boykott-App "No Thanks" wurde laut Social Media-Kommentaren vor allem von propalästinensischen Unterstützern heruntergeladen.  

Nach dem Scan des Barcodes wird angezeigt, welche Unternehmen der App zufolge nicht unterstützt werden solltenBild: NoThanks

Mittlerweile ist die App im Playstore nicht mehr downloadbar, für iOS, also Apple-Geräte, gab es nach Recherchen der Deutschen Welle noch keine Version (Stand 01.12.2023). Über Umwege lässt sich die App dennoch weiterhin herunterladen.  

Doch wer steckt hinter "No Thanks” und was ist genau das Ziel?  Und wieso ist die App aktuell nicht mehr im Playstore verfügbar?  

"Ich habe meinen Bruder verloren"

Laut Angaben in der App selbst entwickelte Ahmed Bashbash "No Thanks". Demnach lebt er aktuell in Ungarn, auf DW-Anfrage schreibt er, er sei ein Palästinenser aus Gaza. Bashbash schreibt der DW, er habe seinen Bruder "in diesem Massaker" verloren, seine Schwester sei 2020 ums Leben gekommen, da sie damals nicht rechtzeitig medizinische Unterstützung aus Israel erhalten habe. Das Ziel des Boykotts sei es, "zu verhindern, dass das, was mir passiert ist, einem anderen Palästinenser passiert".

Die Liste der Unternehmen, die Israel angeblich unterstützen, habe er mithilfe der Webseiten "Boycotzionsim" und "Ulastempat" zusammengestellt. Die Webseite Boycotzionism wirbt mit dem Ausspruch "From the river to the sea, Palestine will be free", der zum Teil als antisemitisch interpretiert wird. Einige sehen die Formulierung als Ausruf gegen das Existenzrecht Israels an. 

Die Liste der "zu boykottierenden" Unternehmen umfasst alle möglichen BranchenBild: NoThanks

 
Auf den Listen mit zahlreichen Brands, die man laut den Betreibern der Webseiten boykottieren sollte, befinden sich unter anderem weltweit bekannte Unternehmen wie Adidas, McDonald's, Chanel, Netflix und Apple. Die Listen zählen Firmen aller möglichen Branchen auf, von Lebensmitteln über Kosmetik bis hin zu Streaming-Anbietern. Einige Unternehmen stehen auf der Liste, da sie gemeinsam nach dem 7. Oktober eine Kampagne starteten, in der sie die Terrorattacke der Hamas auf Israel verurteilten und sich darin gegen jede Form von Hass und Antisemitismus aussprachen. Andere Unternehmen investieren laut den Webseiten beispielsweise in israelische Start-ups oder finanzieren "den Diebstahl an palästinensischem Territorium". 

Kritik an Politik Israels oder Antisemitismus? 

Der Grund, warum die kostenlose App im Google Playstore nicht mehr verfügbar ist, sei der Satz "Hier kannst du sehen, ob das Produkt in deinen Händen das Töten von Kindern in Palästina unterstützt", schreibt Ahmed Bashbash der DW. Dieser sei auf dem Startbildschirm der App zu lesen gewesen. Mittlerweile wurde der Satz mit "Hier kannst du sehen, ob das Produkt in der Boykottliste ist oder nicht" ersetzt. In der Beschreibung der App steht weiterhin, dass die App helfe, zu erkennen, welche Produkte das Töten von Kindern in Palästina unterstütze.  

Dieser Satz kann laut Experten entweder israelkritisch oder auch antisemitisch interpretiert werden. Es gebe die antisemitische Redewendung aus dem Mittelalter, dass Juden Kinder ermordeten, um aus deren Blut das Brot von Pessach zu produzieren, erklärt Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, im DW-Interview. Auch Uffa Jensen, stellvertretender Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung, sagt, dieser Ausdruck könne dem Vorwurf von Antisemitismus nahekommen, weil hier mit dem Bild Israels als Kindermörder gespielt werde.  

Aus Gaza freigelassene israelische GeiselnBild: Prime Minister's Office/Handout via Reuters

Die andere Interpretation des Satzes sei die Tatsache, dass in Gaza während des aktuellen Krieges Kinder durch israelische Luftangriffe getötet würden, so Mendel. Da diese nicht absichtlich ermordet würden, sondern im Zuge des Krieges ums Leben kämen, könne man den Satz darüber, dass ein Produkt das Töten von Kindern in Palästina unterstütze, auch als polemische Zuspitzung sehen, "als Mittel zum Emotionalisieren", erklärt der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank weiter. Uffa Jensen ergänzt, dass zunächst die Hamas am 7. Oktober israelische Kinder umgebracht habe. "So ein Satz entzieht sich diesem Kontext und ist dann schwer polemisch", erklärt er weiter. Natürlich seien aber auch Kinder in Gaza gestorben.  

Was ist das Ziel des Boykotts? 

Die wichtige Frage ist Mendel zufolge, was das genaue Ziel des Boykotts bestimmter Produkte sei. Seit dem 7. Oktober sei klar, dass nicht alle die gleichen Ziele verfolgten: "Es gibt diejenigen, die einen palästinensischen Staat neben dem israelischen Staat fordern, und es gibt diejenigen, die die Vernichtung des Staats Israel wünschen. Hier geht es darum, zwischen diesen beiden Gruppen zu unterscheiden." 

"Das Mittel des wirtschaftlichen Boykotts, der individuellen Entscheidung, Produkte nicht zu kaufen, ist erst mal legitim", führt Mendel weiter an. Zudem sei der arabische Boykott gegen Israel nicht neu, er habe schon Anfang der 1970er Jahre begonnen. Laut Jensen gibt es auch eine kleine Minderheit von linken, israelkritischen Juden, die solche Boykottaktionen unterstützten. Bei dem Boykott handele es sich auch um Propaganda gegen Israel. Insgesamt müsse man also differenzieren, ob es sich um einen israelkritischen Aufruf handele oder Antisemitismus, sagt auch Mendel.  

Vergleich mit nationalsozialistischen Aufrufen "problematisch"

Nicht wenige Social-Media-Nutzer in Deutschland denken bei solchen Boykottaufrufen an den nationalsozialistischen Aufruf von 1933 "Kauft nicht bei Juden". Ein Vergleich damit sei allerdings problematisch, da dieser die Gefahr berge, den Nationalsozialismus zu verharmlosen. "Damit wird impliziert, dass es einen bestimmten Grund gab, warum die Nazis Juden boykottiert haben und dass vor 1933 nicht-jüdische Deutsche und jüdische Deutsche zwei Konfliktparteien waren. Das ist natürlich historisch völlig falsch", erklärt Mendel. 

Diese palästinensische Mutter mit ihrem Kind wurde von Brasilien aus dem Gazastreifen evakuiertBild: Mauricio Frighetto/DW

Auch Jensen hält die Verbindung zum Nationalsozialismus für schwierig: "International gibt es dutzende andere Beispiele von Boykottmaßnahmen." Dabei erwähnt er beispielsweise den jahrzehntelangen Boykott Südafrikas bis in die 1990er Jahre angesichts der damaligen Rassentrennung. Einerseits könne man diese Aufrufe vergleichen, andererseits würden sich in Boykottaufrufe gegen Israel auch antisemitische Inhalte mischen.

Wirtschaftlicher Schaden unwahrscheinlich

Zudem sei das Problem, das für Israel durch einen solchen Boykott entstehe, nicht ein wirtschaftlicher Schaden. Sondern der kulturelle und wissenschaftliche Boykott, der damit einhergehe, erklärt Mendel. "Progressive Kräfte in Israel, in der Wissenschaft, in der Kunst, in der Friedensbewegung, auch in Europa und in Nordamerika, werden ausgegrenzt und ausgeschlossen." Diese Eskalation sei stückweise auch durch solche Maßnahmen erreicht worden. Das Ziel müsse im Gegenteil insgesamt sein, friedliche progressive Kräfte auf beiden Seiten zu unterstützen.  

Derweil ist das Ziel von Ahmed Bashbash erst einmal, die App wieder in den gängigen App Stores verfügbar zu machen. Die App ist kostenlos und alle Profite, die er damit mache, schicke er an palästinensische Organisationen, die den Menschen in Gaza helfen, schreibt Bashbash in seiner App.  

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