Nobel der Preis, herbe die Kritik
13. Oktober 2012Die Europäische Union erhält den Friedensnobelpreis 2012. Zur Begründung erklärte das Nobelkomitee in Oslo, die europäische Integration habe dem Kontinent Frieden, Aussöhnung und Demokratie gebracht. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bezeichnete die Würdigung als "große Ehre für unsere 500 Millionen Bürger, alle Mitgliedstaaten und europäischen Institutionen". Sie sende zudem eine wichtige Botschaft in die Welt: "Dass die EU etwas sehr Kostbares ist, dass sie in Ehren gehalten wird, zum Wohl der Europäer und der ganzen Welt." EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy betonte, dass die Union einen durch zwei Weltkriege und den Ost-West-Konflikt gespaltenen Kontinent wieder geeint habe. Damit sei sie "die größte friedensstiftende Institution, die je in der Weltgeschichte geschaffen wurde".
"EU ist mehr als Spreads und Rettungsschirme"
Nach den Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstreicht die Entscheidung des Nobelkomitees, dass der unter großen Anstrengungen eingeführte und nunmehr kriselnde Euro "mehr ist als nur eine Währung". Ihr Herausforderer Peer Steinbrück (SPD) sieht gar keine Alternative zu Europa, auch wenn die dafür zu leistenden Opfer noch nicht absehbar seien. Finanzminister Wolfgang Schäuble erklärte, die EU sei "unendlich viel mehr als Spreads und Rettungsschirme".
Glückwünsche kamen auch von den Vereinten Nationen, den USA und aus Israel. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sagte, die Auszeichnung für die EU sei eine "reichlich verdiente Anerkennung". US-Außenministerin Hillary Clinton meinte, es sei bemerkenswert, wie vereint und friedlich Europa im 21. Jahrhundert sei. Israel lobte die EU in einer Mitteilung seines Außenministeriums als "Stimme der Vernunft und des Ausgleichs".
"Wir beabsichtigen nicht, dazu etwas herauszugeben"
Unter die Gratulationen mischte sich allerdings auch beißende Kritik oder gar Spott. In einer Erklärung von Amnesty International hieß es, die EU schotte ihre Grenzen ab, schicke Flüchtlinge zurück in Länder, in denen sie gefoltert würden, und lasse sie fallen. "Das ist jetzt nicht mehr hinnehmbar", so die Menschenrechtsorganisation. Aus denselben Gründen lehnte auch das Komitee des Aachener Friedenspreises die Auszeichnung ab. Linkspartei-Chefin Katja Kipping forderte obendrein ein EU-weites Verbot von Waffenexporten, denn "es hat schon etwas Absurdes, wenn eine der größten Waffenschmieden der Welt den Friedensnobelpreis bekommt."
Der euroskeptische tschechische Präsident Vaclav Klaus nannte die Preisvergabe an die EU gar einen tragischen Fehler. Es handle sich um einen "leeren Preis", wenn er an eine bürokratische Institution vergeben werde. Fast groteste Züge nahmen die Reaktionen des britischen Premiers David Cameron und seiner Regierung an. Cameron ignorierte demonstrativ die Vergabe des Friedensnobelpreises an die EU. Nach mehrfachen Bitten um eine Stellungnahme sagte ein Sprecher lediglich: "Wir beabsichtigen nicht, dazu etwas herauszugeben." Erst Stunden nach der Bekanntgabe gab das Londoner Außenministerium eine Erklärung ab und lobte - in zwei Sätzen - die "historische Rolle" der Europäischen Union bei der Förderung von Frieden und Aussöhnung.
"Experiment eines antidemokratischen Bundesstaates"
Aber auch in der britischen Medienlandschaft sorgte die Preisverleihung für geharnischte Statements. Die Entscheidung von Oslo sei verfrüht, da ja noch niemand wisse, wie das "Experiment eines antidemokratischen Bundesstaates" ausgehe, hieß es etwa im konservativen "Daily Telegraph". Und auch der eher europafreundliche "Economist" meinte, das Nobel-Komitee habe ein seltsames Timing, da die Europäische Union doch gerade auseinanderzubrechen drohe.
Zur Begründung für die Preisvergabe an die EU erklärte der Vorsitzende des Nobelkomitees, Thorbjörn Jagland, in Oslo: "Die Europäische Union und ihre Vorläufer haben mehr als sechs Jahrzehnte zur Verbreitung von Frieden und Aussöhnung, Demokratie und Menschenrechten in Europa beigetragen." Insbesondere der jahrzehntelangen Feindschaft Deutschlands und Frankreichs sei ein Ende bereitet worden. Auch habe die europäische Einigung geholfen, die Demokratie in den früheren Militärdiktaturen Spanien, Portugal und Griechenland zu stärken, erklärte Jagland. Ein weiterer Beitrag zum Frieden sei die Osterweiterung der EU nach dem Zusammenbruch des Ostblocks gewesen. Heute sporne die Aussicht auf einen Beitritt Staaten wie Kroatien und Montenegro zur Stärkung ihrer Demokratie an.
sti/SC (afp, dpad, dpa, rtr)