"Nobelpreis der Künste": Seit 1989 würdigt der Praemium Imperiale herausragende Leistungen in Kunst, Musik und Architektur. Zu den Preisträgern 2025 zählt Marina Abramović - bekannt für ihre radikale Performancekunst.
Auch Marina Abramović bekommt den "Nobelpreis der Künste" zugesprochen Bild: Justin NG/Photoshot/picture alliance
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Dieser Preis kommt ohne großes Getöse daher - aber wer ihn bekommt, hat etwas bewegt: Der Praemium Imperiale, verliehen von der Japan Art Association, zählt zu den wichtigsten Kunstpreisen der Welt. Seit 1989 zeichnet er Persönlichkeiten aus, die ihre jeweilige Disziplin künstlerisch und gesellschaftlich geprägt haben.
Vergeben wird er in fünf Kategorien. Jede ist mit rund 90.000 Euro dotiert, doch das eigentliche Gewicht des Preises liegt im Symbolwert. Hier wird nicht ein einzelnes Werk belohnt, sondern meist das gesamte Schaffen.
2025 dürfen sich diese Künstlerinnen und Künstler freuen: der Schotte Peter Doig (Malerei), die serbische KünstlerinMarina Abramović (Skulptur), der Portugiese Eduardo Souto de Moura (Architektur), der ungarische Pianist András Schiff (Musik) und die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker (Theater/Film).
Marina Abramović: Eine lebenslange Performance
Sie ist als Performancekünstlerin weltbekannt. Die Serbin hat seit den 1970er-Jahren mehrere Dekaden der Performance-Kunst geprägt. Und sie in die großen Kunstmuseen gebracht.
Bild: Marco Anelli /Marina Abramovic Archives
Die Künstlerin als Schmerzensfrau
Sie legte sich nackt auf Eisblöcke, ritzte sich die Haut auf und schrie, bis ihre Stimme versagte: Wohl kaum ein Künstler setzt den Körper so radikal als Ausdrucksmittel ein wie Marina Abramović. Ein Blick auf ihr Leben und Werk.
Bild: picture-alliance/dpa
1973: Grenzüberschreitung
Ihr Erweckungserlebnis war eine Performance mit zehn Messern und zwei Tonbandgeräten, eine Art slawisches Trinkspiel. "Ich hatte gespürt, dass mein Körper grenzenlos war, dass Schmerz keine Rolle spielte, dass nichts eine Rolle spielte - und es war berauschend", schreibt Marina Abramović in ihrer Autobiografie. "In dem Augenblick wusste ich, dass ich mein Medium gefunden hatte."
Marina Abramović wuchs in Belgrad als Kind zweier Partisanen auf, privilegiert zwar mit früher Kunsterziehung, doch einsam und von der Mutter regelmäßig geschlagen. Die Unterdrückung im kommunistischen Jugoslawien unter Tito macht sie immer wieder zum Thema ihrer Arbeiten, die oft sehr riskant sind: Bei dieser Performance in Belgrad mussten Besucher sie vor den Flammen retten.
Bild: Nebojsa Cankovic/Marina Abramovic Archives
1975: Radikale Selbstinszenierung
Verletzungen durch Selbst- und Fremdeinwirken, Nacktheit oder Bewusstlosigkeit sind in ihrem frühen Werk eher die Regel als die Ausnahme. Mit ihren radikalen Performances begehrte die 1946 geborene Künstlerin gegen die dekorative Ästhetik auf, die ihre Jugend prägte: "Ich war zu der Überzeugung gelangt, dass Kunst verstörend sein muss, dass Kunst Fragen stellen und zukunftsweisend sein muss."
Die Begegnung mit dem deutschen Künstler Ulay (Frank Uwe Laysiepen) läutete eine neue Periode in Marinas Werk ein. Nicht nur, dass die beiden sich Hals über Kopf ineinander verliebten, sie arbeiteten fortan im Team. Den Auftakt machte eine Performance bei der Biennale in Venedig: Beide Künstler begegneten sich 58 Minuten lang immer wieder mit ihren nackten Körpern - Fleisch gegen Fleisch.
Bild: Ulay/Marina Abramović/Moderna Museet
1978: Kreative Verschmelzung
Zwölf Jahre lang lebten und arbeiteten die beiden Künstler zusammen. Zeitweise wohnten sie in einem kleinen Autobus, völlig vogelfrei, und reisten zu den Orten, an die sie für ihre gemeinsamen Performances eingeladen wurden. In "AAA-AAA" schreien sie sich 15 Minuten lang an.
Es war nur folgerichtig, dass auch ihre Trennung 1988 mit einer Performance besiegelt wurde. Die Wanderung aufeinander zu, entlang der Chinesische Mauer, war eigentlich als romantisches Manifest gedacht. Beim Zusammentreffen wollten die beiden heiraten. Doch war die Liebe in den Jahren zuvor auf der Strecke geblieben: Sie trennten sich - privat wie künstlerisch.
Die Trennung bedeutete für Marina Abramović Kunst keinen Rückschritt, im Gegenteil: 1997 wurde sie zur Biennale nach Venedig eingeladen, in die internationale Sektion des italienischen Pavillons. Mit ihrer Arbeit zu den Balkan-Kriegen, in der sie sieben Stunden am Tag Rinderknochen putzte, gewann die Serbin den Goldenen Löwen.
Die Knochen erinnerten auch an ihre frühere Video-Performance-Reihe "Cleaning the Mirror". Performances leben in dem Moment, doch sind Videos eine Möglichkeit, die flüchtige Kunst für die Nachwelt zu konservieren. Seit den 1990er Jahren bildet Marina Abramović auch Nachwuchskünstler aus.
Zur Jahrtausendwende zog Marina Abramović nach New York um und arbeitete viel: Theaterstücke, Performances, Begegnungen mit anderen Künstlern. Langsam wurde auch das amerikanische Publikum auf ihre Kunst aufmerksam. In "House with an Ocean View" lebte die Künstlerin zwölf Tage in drei komplett einsehbaren Räumen. Die Idee: das Energiefeld zwischen sich und den Besuchern verändern.
Bild: Attilio Maranzano/Marina Abramovic Archives
2010: Aug in Aug mit der Künstlerin
Das Museum of Modern Art in New York widmete Marina Abramović 2010 eine umfassende Retrospektive, in der die Künstlerin erstmals Re-Performances ihrer bekanntesten Arbeiten zeigte. Sie selbst war drei Monate präsent. Besucher konnten ihr ins Auge schauen - ein Riesenerfolg. Der Medienrummel erweiterte ihr Publikum weit über das Bildungsbürgertum hinaus.
Bild: Marco Anelli /Marina Abramovic Archives
2002: "The House with the Ocean View"
2002 zog Marina Abramović in die Sean Kelly Gallery (New York) in drei schwebende, miteinander verbundene Räume ein. Für die Dauer von 12 Tagen konnte man ihr bei ihrer täglichen Routine zusehen, die sie schweigend und fastend vollzog, vom Schlafen und Duschen bis zur Benutzung der Toilette. Leitern mit Sprossen aus Tranchiermessern mit nach oben weisenden Klingen trennten sie vom Publikum.
Bild: Attilio Maranzano/Marina Abramovic Archives
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Internationale Bühne mit viel Protokoll
Die Preisverleihung findet im Oktober in Tokio statt. Dabei sind Vertreterinnen aus Kunst, Politik und Diplomatie - und Mitglieder der kaiserlichen Familie, denn Prinz Hitachi, der Bruder des emeritierten Kaisers Akihito, ist Schirmherr des Preises.
Die Preisträgerinnen und Preisträger werden von internationalen Gremien vorgeschlagen - darunter Persönlichkeiten aus Frankreich, Großbritannien, Italien, den USA und Japan. Für Deutschland war unter anderem Altbundespräsident Richard von Weizsäcker beratend tätig.
Was zählt, ist nicht die Stilrichtung oder Nationalität - wichtiger ist der nachhaltige kulturelle Einfluss. Und genau das sorgt immer wieder für spannende - und manchmal überraschende - Namen.
Große Namen, große Wirkung
In der Vergangenheit ging der Preis unter anderem an Cindy Sherman (Malerei), Steve Reich (Musik), Norman Foster (Architektur) und Yoko Ono (Theater/Film). Viele der Ausgezeichneten haben mit ihren Werken Debatten angestoßen oder gesellschaftliche Missstände aufgegriffen - Kunst mit Haltung.
Wim Wenders bei der Preisverleihung in Tokio 2022Bild: The Japan Art Association/The Sankei Shimbun
Ganz ohne Kritik kommt der Preis nicht aus. Vor allem wird bemängelt, dass afrikanische und lateinamerikanische Positionen bislang deutlich unterrepräsentiert sind - obwohl der Praemium Imperiale sich als international offen versteht. Aus Afrika etwa gibt es bisher noch nicht so viele Preisträger; 2017 waren es dann aber gleich zwei: Youssou N’Dour aus dem Senegal in der Kategorie Musik und der Bildhauer El Anatsui aus Ghana.
Francis Kéré aus Burkina Faso erhielt den Preis für Architektur 2023Bild: picture-alliance/Photoshot
Besser sieht es mit der asiatischen Präsenz aus. Der koreanische Maler Lee Ufan wurde bereits 1993 ausgezeichnet, Zao Wou‑ki folgte 1994. Auch Tadao Ando, Yayoi Kusama, Cai Guo‑Qiang oder Shigeru Ban stehen auf der Liste - allesamt Kunstschaffende, die auch außerhalb Asiens großen Einfluss haben.
Ein Blick nach Indien zeigt: Auch hier ist der Preis angekommen. Charles Correa, ein Architekt, der moderne Entwürfe mit indischer Tradition verband, erhielt 1994 den Preis. Anish Kapoor, geboren in Mumbai und international bekannt für seine monumentalen Skulpturen, wurde 2011 geehrt. Namen wie diese zeigen: Asien ist längst nicht mehr Randzone im internationalen Kunstgeschäft.