Chemie-Nobelpreis für die winzigsten Maschinen der Welt
5. Oktober 2016Bei der Bekanntgabe der Nobelpreise 2016 spielen Backwaren eine große Rolle. Bereits am Dienstag (04.10.2016) hatte das Nobelpreis-Komitee in Stockholm sich Brezeln und Bagels bedient, um bei der Bekanntgabe des Physik-Nobelpreises an David Thouless, Duncan Haldane und Michael Kosterlitz das Konzept der Topologie zu veranschaulichen.
Am Mittwoch den 05.10.2016, führten sie dann die Erfindungen der drei Chemie-Nobelpreis-Gewinner am Beispiel zweier miteinander verschränkter Brezeln vor.
Der Franzose Jean-Pierre Sauvage von der Universität Straßburg, der Schotte Sir Fraser Stoddart von der Northwestern University in Evanston (USA) und der Niederländer Bernard Feringa von der Universität Groningen werden für "das Design und die Synthese molekularer Maschinen" geehrt.
Die drei Forscher haben Moleküle so synthetisiert, dass sie bestimmte Bewegungen ausführen, wenn Energie zugeführt wird - zum Beispiel in der Form von Licht. Sie funktionieren im Prinzip wie eine Elektropumpe, die anspringt, sobald der Stecker in der Steckdose ist und die Pumpe angeschaltet wird.
Von der Brezel zum Minimotor
"Die Laureaten haben gezeigt, dass es möglich ist, Maschinen in einer molekularen Größenordnung zu schaffen", sagte Olof Ramström vom Nobelpreis-Komitee bei der Verkündung.
Seinen Ursprung hat das gesamte Forschungsgebiet in der Arbeit von Sauvage. Er hatte in den 1980er Jahren erstmals zwei Molekülringe so miteinander verschränkt, dass sie aussahen wie zwei ineinander verwobene Brezeln. Beide Moleküle sind zwar miteinander verbunden, können sich aber wie Kettenglieder frei bewegen - die Voraussetzung für eine molekulare Maschine.
Fraser Stoddart schuf danach eine Art "molekularen Fahrstuhl" - wie Ramström ihn nennt: Zwei ineinander verwobene Moleküle, von denen eins entlang einer Achse vor und zurückspringen kann - ähnlich einem Schalter mit An- und Aus-Position.
Später, im Jahr 1999, kam dann Bernard Feringa ins Spiel. Er baute den ersten Molekular-Motor. Darin drehten sich zwei Moleküle umeinander - so wie Rotorenblätter -, wenn sie ultraviolettem Licht ausgesetzt wurden. Die Moleküle sprangen danach immer wieder in ihre Ausgangsposition zurück. "Das Ganze wiederholt sich immer wieder", sagt Ramström, "bis zu 12.000 mal in der Sekunde".
Mittlerweile ist der Forschungsbereich so weit entwickelt, dass Wissenschaftler erste molekulare Autorennen auf Goldoberflächen abhalten, sogenannte NanoCar Races, wo verschiedene Designs gegeneinander antreten.
Wozu das Ganze?
Noch bevor die Journalisten diese Frage stellen konnten, stellte Olof Ramström eins klar: Bis jetzt gehöre der Bau von molekularen Maschinen in den Bereich der Grundlagenforschung.
Er fügte jedoch hinzu: "Es ist wie mit der Entwicklung des Elektromotors in den 1830er Jahren." Wer hätte damals gedacht, dass drehende Kurbeln und Räder einmal zu elektrischen Eisenbahnzügen, Waschmaschinen und Ventilatoren führen würden? "Und heute gibt es diese Maschinen überall."
Bernard Feringa, der per Telefon zu den Journalisten in Stockholm sprach, sagte: "Ich fühle mich so wie die Gebrüder Wright - als sie das erste Mal flogen und die Leute sie fragten: 'Wofür brauchen wir einen Flugapparat?'"
Verrückte Ideen für die Zukunft
Auch wenn es heute noch keine konkreten Anwendungen gibt, so mangelt es vielen Forschern nicht an Ideen, wofür diese molekularen Systeme einmal gut sein könnten.
"Molekulare Maschinen könnten zu Medikamenten führen, die man durch Licht ein- oder ausschalten kann, um Nebenwirkungen zu vermeiden", sagt Rainer Herges, Chemiker an der Universität Kiel.
Es könnte auch der erste Schritt in das Zeitalter der sogenannten molekularen Elektronik sein. Darunter versteht man elektronische Bauteile, die nicht mehr aus Metall bestehen, sondern aus organischen Molekülen. Diese könnten eine immer weitergehende Miniaturisierung möglich machen.
"Molekulare Maschinen könnten auch Sonnenlicht in Strom umwandeln", fügt Herges hinzu. Solche molekularen Solarzellen wären möglicherweise viel effektiver als die heutigen. Es könnte die Lösung für die Energieprobleme der Welt sein - wer weiß das heute schon?
Herges forscht auf demselben Gebiet wie die frischgebackenen Nobelpreisträger. Er hat einen molekularen Bagger entwickelt. Der kann mit seinen vier Greifarmen andere Moleküle greifen und woanders wieder ablegen. Gesteuert werden seine Bewegungen auch durch Licht: Für das Greifen nutzt er eine andere Wellenlänge als für das Ablegen.
"Wir arbeiten auch an Kontrastmitteln für die Magnetresonanztomographie", sagt er gegenüber der Deutschen Welle. "Diese könnten dann per Licht an- und ausgeschaltet werden. Das würde die Operationen von Schlaganfall-Patienten deutlich erleichtern."
Verrückt und brillant
Der Molekular-Ingenieur Herges freut sich, dass sein Forschungsgebiet jetzt mit dem Nobelpreis gewürdigt wurde. "Es zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind und dass wir das Potenzial frühzeitig erkannt haben."
Die Laureaten beschreibt er als "Menschen, die sich ihrer Forschung verpflichtet haben und darauf vollständig fokussiert sind." Aber trotzdem seien es "Leute, mit denen man auch mal ein Bier trinken kann." Beruhigend!
Wesley Browne arbeitet mit Bernard Feringa an der Universität Groningen. "Als Wissenschaftler ist Feringa verrückt", erzählt er der Deutschen Welle lachend. "Er lässt sich durch die Gesetze der Thermodynamik oder der Physik nicht von einer guten Idee abbringen."
Johannes Teichert von der Technischen Universität Berlin, der bei Feringa promoviert hat, fügt hinzu: "Er ist ein unheimlich kreativer Mensch. Neun von zehn seiner Ideen mögen verrückt sein und nicht funktionieren - aber die zehnte ist herausragend!"
Die molekularen Autos und Bagger kann man nicht mal mit einem gewöhnlichen Mikroskop sehen. Um auf so eine Idee zu kommen, muss man wohl etwas verrückt sein.