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Was Bagels mit dem Physik-Nobelpreis zu tun haben

Brigitte Osterath gh
4. Oktober 2016

Den Physik-Nobelpreis teilen sich in diesem Jahr drei Physiker, die in den USA forschen. Sie haben seltsame Phänomene in der atomaren Welt untersucht. Ihre Entdeckung könnte in Zukunft Quantencomputer ermöglichen.

Rainbow Bagels in New York
Bild: picture-alliance/dpa/J. Lane

Stockholm ist immer wieder gut für eine Überraschung. Viele Wissenschaftler und Journalisten waren davon überzeugt, dass der Physik-Nobelpreis 2016 für die Erforschung der Gravitationswellen vergeben würde - schließlich war es die durchschlagende wissenschaftliche Erkenntnis in diesem Jahr.

Stattdessen aber gab Göran Hansson vom Nobelpreis-Komitee bekannt, dass der Nobelpreis für Physik 2016 an drei gebürtige Briten geht. Sie erhalten den Preis "für ihre theoretische Arbeit zu topologischen Phasenübergängen und topologischen Phasen der Materie". Die Preisträger sind David Thouless von der Universität Washington in Seattle, Duncan Haldane von der Princeton Universität in New Jersey und Michael Kosterlitz von der Brown Universität in Providence. Die eine Hälfte des Preises geht an Thouless, die andere teilen sich Haldane und Kosterlitz.

Die Entdeckungen dieser Forscher hätten "Fortschritte für das theoretische Verständnis der Geheimnisse von Materie gebracht" und "neue Perspektiven für die Entwicklung innovativer Materialien geschaffen", so das Nobelkomitee.

"Gründerväter"

"Ich war sehr, sehr überrascht und sehr dankbar", sagte Duncan Haldane bei der Pressekonferenz in Stockholm, bei der er über Telefon zugeschaltet war. Er habe sich bereits vor langer Zeit mit dieser Arbeit beschäftigt, sagte der Preisträger, aber erst jetzt gäbe es all diese vielen Entwicklungen, die darauf basieren.

In den 80er Jahren hatten die drei Physiker Thouless, Haldane und Kosterlitz fortschrittliche, mathematische Methoden benutzt, um die erstaunlichen Phasen oder Zustände von Materie zu untersuchen, beispielsweise Supraleiter, dünne magnetische Schichten und andere recht ungewöhnliche Materialien.

"Es gab Zeiten, in denen meine Arbeit sehr abstrakt zu sein schien", meint Haldane. "Ich dachte, es würde niemals eine praktische Anwendung geben." Doch heutzutage erforschen zahlreiche Physiker, welche Anwendungen es mit diesen erstaunlichen Phänomenen gibt.

Einer von ihnen ist Alexander Altland, theoretischer Physiker von der Universität Köln. Er zeigt sich im Gespräch mit der DW begeistert von der Stockholmer Entscheidung: "Sie haben die Gründungsväter ausgezeichnet. Das hat mich echt gefreut".

Die Geheimnisse exotischer Materie enthüllen

Doch bei der heutigen Pressekonferenz in Stockholm schienen die meisten Journalisten erst einmal nicht recht zu wissen, worum es beim diesjährigen Physik-Nobelpreis genau geht. Auch Physiker Altland gibt zu, dass die Arbeit schon sehr abstrakt sei: "Man kann sich das nicht richtig gut vorstellen".

Um das komplexe Thema möglichst anschaulich zu erklären, zog Thors Hans Hansson vom Nobelpreiskomitee dann zur Erheiterung des Publikums ein Zimtbrötchen, einen Bagel und eine Brezel aus einer braunen Papiertüte. "Das eine Gebäck ist süß, das andere eher salzig", erklärte Hansson. Doch das sei für Topologen eher unwichtig. Für sie sei nur folgendes interessant: "Das Zimtbrötchen hat kein Loch, der Bagel hat eins und die Brezel hat zwei Löcher; die Anzahl der Löcher im Bagel kann nicht verändert werden, indem man den Bagel verbiegt, man muss das Gebäck auseinanderbrechen."

Dieser Vergleich ist beliebt, vielleicht eine Spur zu beliebt. Auch Alexander Altland gibt im DW-Interview lachend zu: "Wir können den Bagel schon alle nicht mehr sehen."

Worum geht's beim Bagel?

Um das Prinzip zu verstehen, das Thouless, Haldane und Kosterlitz gefunden haben, muss man in die Welt der Quantenmechanik eintauchen und in die Welt der winzig kleinen Dinge.

Hier gibt es keine festen Gegenstände mehr, keine Stühle, keine Autos, keine Sandkörner. Stattdessen besteht Materie - Atome und ihre Bestandteile - aus Wellen, die über mathematische Gleichungen beschrieben werden.

Diese Wellen sind allerdings "extrem fragil", erklärt Altland und vergleicht sie mit Wellen in einem Swimmingpool. Alles, was mit diesen Wellen interagiert, zerstört das Muster, das sie formen - "deshalb sehen wir diese Muster in der makroskopischen Welt nicht."

Die Preisträger aber haben einen Weg gefunden, die quantenmechanischen Wellen zu stabilisieren: Sie haben einfach einen Knoten hinzugefügt. Das könne man sich vorstellen wie ein Knoten in einem Seil, erläutert Alexander Altland: "Egal, wie Sie das Seil biegen, sie bekommen den Knoten nicht mehr weg." Topologie, fasst Altland zusammen, ist die mathematische Wissenschaft von Knoten.

Und in diesen Knoten steckt enorm viel Potenzial. In Zukunft sind damit ganz neue Materialien mit einzigartigen quantenmechanischen Eigenschaften denkbar, hofft Maria Daghofer vom Institut für Funktionelle Materie und Quantentechnologie an der Universität Stuttgart.

Neue Materialien und Quantencomputer

Auch Unternehmen wie der Riesenkonzern Microsoft sind an einer möglichen Nutzung interessiert, zum Beispiel an Quantencomputern. Schon jetzt arbeitet der Konzern mit Topologie-Forschern zusammen, um eine neue Art von Computern und elektronische Geräte zu entwickeln, die auf Quanteninformatik basieren.

Dahinter steckt die Idee, die Knoten in den Quantenwellen an- und auszuschalten und Informationen auf eine innovative Art zu speichern - genau wie bei einem auf Silizium basierten Transistor, wie es in den heutigen Computern gibt.

Andere Wissenschaftler arbeiten an neuen, elektronischen Isolatoren, die Elektrizität nur auf der Oberfläche leiten und neue, aufregende Anwendungsmöglichkeiten versprechen.

Wissenschaftler hoffen außerdem, Computer zu konstruieren, die während des Betriebs weniger Hitze produzieren. "Sie wären leichter zu verkleinern und billiger in der Anwendung", sagt die Physikerin Daghofer. Vielleicht brauchen wir dank der diesjährigen Nobelpreisträger in Zukunft keine riesige Klimaanlage in Serverräumen mehr.

Aber wer weiß, wozu es sonst noch gut sein kann. Und das ist das Faszinierende mit der Grundlagenforschung - man weiß nie, was letztendlich dabei herauskommt.

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