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Literatur

Nobelpreisverleihung: Stolz und Kritik

Sabine Peschel
10. Dezember 2019

Die Auseinandersetzung um den diesjährigen Literaturnobelpreis ist mit der feierlichen Verleihung am Dienstag nicht beendet. Mit der Entscheidung für Peter Handke steht die Schwedische Akademie erneut in der Kritik.

Symbolbild Nobelpreis
Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Der Streit um den diesjährigen Literaturnobelpreis wird nicht beendet sein, wenn am Dienstagnachmittag die Nobelpreise für 2019 und der nachgeholte Preis für 2018 im Konzerthaus Stockholm in Schweden verliehen werden. Die Feierlichkeit wird, wie schon die Nobelpreisreden, auf der Nobelpreis-Seite nobelprize.org live gestreamt. Was dort nicht zu sehen sein wird, sind die Proteste gegen die Verleihung an Peter Handke, die für den Spätnachmittag auf dem Platz vor dem Konzerthaus angekündigt sind. 

Der Kern des Konflikts

Der Zerfall Jugoslawiens zu Beginn der 1990er Jahre ging mit einer Serie von äußerst blutigen Kriegen zwischen Serbien und anderen Nachfolgestaaten einher. Allein in Bosnien gab es 100.000 Tote und zwei Millionen Vertriebene. Auch wenn alle Seiten Kriegsverbrechen begingen, belegen Erkenntnisse der Zeitgeschichtsforschung sowie die Rechtsprechung des Internationalen Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, dass die Kriege vom serbischen Führer Slobodan Milošević geplant und initiiert wurden und dass die meisten und schwersten Gräuel auf dessen Konto gingen.

Die Kritik an der Wahl des diesjährigen Literaturpreisträgers reißt nicht ab, weil Peter Handke sich in dem Konflikt stark mit Serbien solidarisiert hatte. Nach Ansicht von Kritikern hat er die von Serben begangenen Kriegsverbrechen bagatellisiert oder geleugnet. 2006 hielt er bei der Beerdigung des sechs Jahre zuvor gestürzten Milošević eine Rede. "Natürlich war ich da. Er (Milošević) hat bei einer der letzten Abstimmungen dafür votiert, Jugoslawien nicht aufzulösen. Sein Begräbnis war auch das Begräbnis von Jugoslawien", begründete Handke seine Teilnahme später. 

Olga Tokarczuk und Peter Handke nach ihrer Nobelpreisrede am 7. DezemberBild: picture-alliance/TT NYHETSBYRÅN

Proteste und Unterstützung

Die Initiatoren der Proteste warten noch immer auf eine Entschuldigung von Handke für seine damalige Haltung. Sie werfen dem österreichischen Schriftsteller Geschichtsrevisionismus vor. Der Zeremonie fern bleiben wird auch das langjährige Mitglied der Schwedischen Akademie und ehemalige Ständige Sekretär, der Historiker Peter Englund. "Peter Handkes Nobelpreis zu feiern, wäre von meiner Seite grobe Heuchlerei", gab er schon zu Beginn der Nobelwoche bekannt. In den Chor der Kritiker stimmte am Tag der Preisverleihung auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ein, dem selber Menschrechtsverletzungen vorgeworfen werden. Er bezeichnete Handke als "rassistische Person".

Aber auch die Unterstützung für Handke ist nach wie vor groß. Nach einem von österreichischen Schriftstellern initiierten offenen Brief gegen die "Anti-Handke-Hetze" haben sich aktuell auch über hundert serbische Intellektuelle öffentlich zu Wort gemeldet, die für einen differenzierten Umgang mit Handke und dessen umfangreichem sprachkünstlerischen Werk plädieren.

Polnischer Stolz auf die Nobelpreisträgerin

Man hätte Olga Tokarczuk bedauern können, deren Würdigung für den für 2018 nachgereichten Nobelpreis in der ganzen Handke-Debatte fast unterging. Doch das ist vor allem eine deutsche Perspektive. In ihrem Heimatland Polen wird die Schriftstellerin, die schon vor der Bekanntgabe der Nobel-Entscheidung eine Bestsellerautorin war, voller Stolz gefeiert. Tausende Menschen standen in Warschau und Krakau für eine Signierstunde an. Die Stadt Wroclaw (Breslau) ließ am Wochenende nach Bekanntgabe des Nobelpreises jeden gratis öffentliche Verkehrsmittel benutzen, der ein Buch der Nobelpreisträgerin dabei hatte. Olga Tokarczuk hat ökologische Themen in die polnische Literatur eingebracht, deshalb hat Krakau angekündigt, dass die Stadt zur Erinnerung an ihre Bücher einen Wald mit 2000 Bäumen pflanzen lassen will.

Und Olga Tokarczuk revanchiert sich. Einen Teil der mit 9 Millionen schwedischen Kronen (etwa 830.000 Euro) dotierten Auszeichnung hat sie bereits in eine Stiftung für ein Writers in Residence-Programm eingebracht. Breslau stellt dafür eine Villa zur Verfügung, die bis zum ersten Jahrestag der Nobelpreisverleihung renoviert wird. 2020, pünktlich zum 10. Dezember, soll das Haus eingeweiht werden. Ab dann können dort Lesungen und Gespräche mit Schriftstellern stattfinden.

Heinrich Böll nahm den Nobelpreis vor 47 Jahren entgegenBild: AP

PEN ruft dazu auf, Geld für Autoren in Not zu stiften

Mit einer ähnlichen Großzügigkeit könnte auch Handke ein deutliches Zeichen setzen. Den Weg dafür hat der deutsche PEN vorgezeichnet, der im Zusammenhang der Literaturnobelpreisverleihung an Peter Handke und Olga Tokarczuk an Heinrich Böll erinnerte und zu Spenden für den PEN Emergency Fund aufrief. Böll, der als erster westdeutscher Staatsbürger 1972 den Nobelpreis entgegennahm, stiftete zehn Prozent seines Preisgeldes, um es dem damals neu gegründeten PEN Emergency Fund zu ermöglichen, seine Arbeit aufzunehmen und Autorinnen und Autoren, die von Tod und Inhaftierung bedroht sind, zu helfen.

"Dichtend die Welt zu erfahren, bedeutet, sich der Welt poetisch entgegenzustellen, die Dimensionen des menschlichen Lebens in seinen Höhen und Tiefen zu erkunden und zu beschreiben", kommentierte der PEN und forderte: "Es ist das Recht und geradezu die Pflicht eines Schriftstellers, sich zu empören, Position zu beziehen und den Unterdrückten eine Sprache zu geben." Für Peter Handke könnte dieser Wink mit dem Zaunpfahl zu einer goldenen Brücke führen.

 

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