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Nocebo-Effekt: Auch Nicht-Geimpfte spüren Impfreaktionen

22. Januar 2022

Eine neue Studie zeigt: Etwa ein Drittel der Placebo-Probanden von COVID-19-Impfstudien klagten über impftypische Reaktionen wie Kopfschmerzen und Müdigkeit, obwohl sie nur eine Kochsalzlösung erhalten hatten.

Eine Hand setzt eine Spritze
Steckt darin der Impfstoff oder nur eine Kochsalzlösung? Egal, so oder so fühlt man sich schlapp!Bild: Eibner-Pressefoto/EXPA/Feichter/imago images

Der Placebo-Effekt ist ein faszinierendes Forschungsgebiet. Nur allzu gut verdeutlicht der Effekt die Kraft der menschlichen Psyche. Placebo bedeutet so viel wie "Ich werde gefallen". Der Effekt tritt ein, wenn sich der Gesundheitszustand von Probanden verbessert, obwohl sie nur eine Pille ohne medizinischen Wirkstoff (ein Placebo) erhalten haben. 

Durch diesen Effekt kann auch Homöopathie eine Wirkung zeigen, obwohl ihre Medikamente keinen nachweisbaren Wirkstoff enthalten.

Doch den Placebo-Effekt gibt es auch umgekehrt: Nocebo. Abgeleitet vom lateinischen "nocere" (schaden) bedeutet dies folglich "Ich werde schaden". Vom Nocebo-Effekt ist also die Rede, wenn eine Scheinbehandlung negative Folgen hat. Probanden spüren etwa typisch zu erwartende Nebenwirkungen eines Medikaments, das sie gar nicht bekommen haben.

Und es geht noch etwas komplizierter: Auch wenn Patienten einen medizinischen Wirkstoff erhalten haben, gibt es oft dazu noch einen Placebo- oder Nocebo-Effekt. In einem gewissen Rahmen tritt der nämlich bei jeder Therapie auf, weil jeder Patient und jede Patientin eine gewisse Erwartungshaltung hat. Wer zum Beispiel mit Übelkeit nach Einnahme eines Medikaments rechnet, tritt diese auch öfter auf. Messbar ist dieser Effekt natürlich nur schwer.

Was hingegen messbar ist: Ein Forscherteam aus den USA und Deutschland systematisch nach Nocebo-Effekten in COVID-19-Impfstoff-Studien gesucht und ist auch fündig geworden. Etwa jeder dritte Proband, der gar keinen Impfstoff erhalten hatte, klagte demnach trotzdem über impfspezifische Reaktionen. 

Eine große COVID-19-Nocebo-Metastudie

Julia Haas und Sarah Ballou, Placebo-Expertinnen an der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, hatten sich dazu mit Friederike Bender, Psychologin an der Universität Marburg und weiteren Medizinern aus den USA zusammengetan und zwölf Impfstoff-Studien mit insgesamt 45.380 Probanden ab 16 Jahren analysiert. Von diesen hatten 22.578 ein Placebo erhalten, welches keine weiteren Wirkstoffe enthielt. In der Regel war es Kochsalzlösung.

Alle Studien waren vor dem 14. Juli 2021 abgeschlossen gewesen. Studien, in denen die Kontrollgruppen etwa andere Impfstoffe oder auch Adjuvantien erhalten hatten, wurden von vornherein aussortiert. Adjuvantien sind Zusatzstoffe, die üblicherweise in Impfstoffen enthalten sind und deren Wirkung verstärken sollen. 

Die Ergebnisse haben die Forschenden im Journal of the American Medical Association (JAMA) veröffentlicht. 

Viele Nebenwirkungen haben gar nichts mit dem Impfstoff zu tun

Nach der ersten Dosis hatten 35,2 Prozent der Probanden aus den Placebo-Kontrollgruppen über sogenannte systemische Nebenwirkungen berichtet, darunter fallen 19,3 Prozent mit Kopfschmerzen und 16,7 Prozent mit Müdigkeit. Das waren auch die häufigsten systemischen Nebenwirkungen.

16 Prozent beklagten lokale nicht-systemische Nebenwirkungen. Darunter fallen zum Beispiel ein steifer Arm, Schwellungen, Schmerzen oder eine Entzündung an der Einstichstelle. Nach Verabreichung der zweiten Placebo-Dosis berichteten 31,8 Prozent über systemische und 11,8 Prozent über lokale Nebenwirkungen. 

Placebos - warum Pillen ohne Wirkstoffe helfen können

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Im Vergleich dazu waren die beobachteten Nebenwirkungen bei den Probanden, die tatsächlich einen Impfstoff erhalten hatten, häufiger: 46,3 Prozent berichteten nach der ersten Impfung über systemische Nebenwirkungen und 66,7 Prozent über lokale Nebenwirkungen. Nach der zweiten Impfung stiegen diese Werte auf 61,4 Prozent systemische und 72,8 Prozent lokale Nebenwirkungen.

Wie viel Nocebo erleben Geimpfte?

Wie bereits gesagt, treten Placebo- und Nocebo-Effekte bei jeder Therapie auf, also auch dann, wenn Patienten ein wirksames Medikament erhalten. Angesichts der starken beobachteten Nocebo-Effekte bei den Impfungen, stellte sich vor dem Hintergrund für die Mediziner eine spannende Frage: Wie stark wirkt eigentlich der Nocebo-Effekt bei Menschen, die einen Impfstoff erhalten hatten? Und lässt sich ein theoretischer Anteil von Nocebo-Effekten an den Nebenwirkungen bei Geimpften errechnen?

Ja, das geht, fanden Haas, Ballou und Bender mit ihren Forschungspartnern. Dafür haben sie den Anteil der Nocebo-Effekte der Nicht-Geimpften berechnet und diesen Anteil auf die Geimpften übertragen. 

Das führte zu erstaunlichen Ergebnissen: Selbst bei denen, die einen Impfstoff erhalten hatten, sind die Nocebo-Effekte innerhalb der beobachteten Nebenwirkungen dominant.

So hätte dieser Anteil nach der ersten Impfung bei den systemischen Nebenwirkungen 76 Prozent betragen und bei den lokalen Nebenwirkungen 24,3 Prozent. Nach der zweiten Impfung sanken diese Werte zwar etwas, betrugen aber immerhin noch 51,8 Prozent bei systemischen und 16,2 Prozent bei lokalen Nebenwirkungen.

Die Beobachtungen deuten darauf hin, dass bei Impfungen die Erwartungshaltung von Impflingen einen starken Einfluss auf die Wahrnehmung möglicher Nebenwirkungen hat. Daraus aber zu schlussfolgern, dass wir uns meistens die Nebenwirkungen nur einbilden, wäre auch falsch. Denn der Placebo-bzw. Nocebo-Effekt erzeugt selbst objektiv messbare Symptome.

Die Symptome werden dann zwar vor allem durch unsere eigene Erwartungshaltung angetrieben und nicht durch das Medikament. Doch das können wir als Patienten ja nicht wissen. Aber wir wissen genau, was wir empfinden. 

Fabian Schmidt Wissenschaftsredakteur mit Blick auf Technik und Erfindungen
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