Merkel und wer noch?
20. September 2013Drei Tage vor der Wahl landet in Millionen deutschen Briefkästen ein Schreiben, unterzeichnet von "Angela Merkel, Bundeskanzlerin und Vorsitzende der CDU". Darin heißt es: "Wenn Sie möchten, dass ich weiter als Ihre Kanzlerin arbeiten kann, dann gehen Sie bitte am Sonntag zur Wahl und geben sie beide Stimmen der CDU". Die letzten vier Worte sind fettgedruckt. Die teure Kampagne ist Merkels prompte Antwort an den Koalitionspartner FDP, der nach seiner Schlappe bei den bayerischen Landtagswahlen aggressiv um Leihstimmen der Christdemokraten wirbt, um die Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag sicher zu nehmen. Jeder kämpft für sich allein, heißt es dagegen aus der Parteizentrale der CDU.
Merkel hat keine Lust und keine Not, ihr Schicksal mit dem schwächelnden Koalitionspartner zu verknüpfen, der nach letzten Umfragen nur knapp über fünf Prozent liegt. Die Meinungsforscher sehen das schwarz-gelbe Lager aus Union und FDP höchstens mit einem Prozent vor der Opposition. Wegen der statistischen Fehlermarge ist unsicher, ob die Koalition fortgesetzt werden kann.
Doch die Kanzlerin ist in einer bequemen Situation: Ihre Christenunion wird mit voraussichtlich annähernd 40 Prozent stärkste Partei und kann sich ihren Koalitionspartner aussuchen. Fällt die FDP aus, stehen die Sozialdemokraten bereit. Zwar beteuerten sowohl Merkel als auch ihr sozialdemokratischer Herausforderer Peer Steinbrück immer wieder, dass diese Koalition nicht ihr Wunsch sei. SPD-Spitzenkandidat Steinbrück erklärte sogar öffentlich, er wolle nicht "Steigbügelhalter" für Angela Merkel sein, sondern Kanzler einer rot-grünen Regierung werden.
Linksbündnis ist nur ein Wahlkampfgespenst
Doch zusammen kommen SPD und Bündnis90/Die Grünen in den letzten Umfragen nur auf 36 Prozent. Als wahrscheinlichster Ausweg wird in Berlin deshalb die bei den Politikwissenschaftlern und Medien unbeliebte, aber vom Bürger bevorzugte Koalition der großen Volksparteien gehandelt: mit Merkel, aber ohne Steinbrück. Intern bereitet sich die Führung der Sozialdemokraten auf eine Neuauflage der sogenannten Großen Koalition mit CDU und CSU vor, die es bereits von 2005 bis 2009 gab. Dabei wird überlegt, ob und wann man einen Mitgliederentscheid über ein erneutes Bündnis mit den Christdemokraten veranstaltet, das intern umstritten ist.
Denn theoretisch könnten die Sozialdemokraten zusammen mit Grünen und Linken Merkel vielleicht sogar stürzen. Dazu müsste sich das linke Lager zusammenfinden, was als Schreckgespenst von den Konservativen im Wahlkampf gern an die Wand gemalt wurde. Doch SPD und Grüne lehnen ein Bündnis mit der Linkspartei ab. "Nicht regierungsfähig" heißt es unter Verweis darauf, dass die Linkspartei bisher gegen alle Rettungspakete für den Euro stimmte, sämtliche Auslandseinsätze der Bundeswehr beenden und die NATO auflösen will. Hinzu komme, dass die Partei wegen ihrer zahlreichen Strömungen und ihres radikalen Flügels unberechenbar sei.
Zahlenmäßig nicht völlig ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich ist ein erstmaliges Bündnis von Union und Grünen auf Bundesebene. Zwar wurde durch die Energiewende das ewige Streitthema Atomkraft aus dem Weg geräumt, aber Familien- und Gesellschaftsbild bleiben so unterschiedlich, dass eine solche Koalition früher oder später stolpern würde.
Mit knapper Mehrheit durch die Euro-Krise?
Alle Umfragen zeigen zudem, dass bei den Wählern eine Große Koalition aus Union und SPD unter Kanzlerin Merkel am beliebtesten ist, weil man in einer solchen Koalition die Themen "Soziale Gerechtigkeit" und "Euro-Rettung" gleichermaßen gut aufgehoben sieht. Zwar erklärte Merkel kürzlich, die Sozialdemokraten seien "europapolitisch unzuverlässig", doch das war Wahlkampfgetöse. In den vergangenen Jahren hat die SPD sämtliche Euro-Hilfspakete im Bundestag mitgetragen. Sollten die Euro-Rebellen der jüngst gegründeten "Alternative für Deutschland", die zurück zur D-Mark wollen, den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag schaffen, ist die Kanzlerin umso mehr auf eine breite Euro-Rettungsfront im Parlament angewiesen.
Weiterer Vorteil einer Großen Koalition für die Kanzlerin: Den rot-grün dominierten Bundesrat in Streitfragen auf Koalitionslinie zu bringen, dieser schwierigen Aufgabe müsste sich dann der sozialdemokratische Koalitionspartner widmen. Größtes Risiko: Die SPD könnte versucht sein, den Bundesrat auch als Druckmittel zu nutzen, um Merkels Stellung im Kabinett zu schwächen und eigene Positionen durchzudrücken.
Bei öffentlichen Auftritten blieb die Kanzlerin bis zuletzt dabei, dass sie am liebsten die Regierung mit den Freidemokraten fortsetzen würde. Knappe Mehrheitsverhältnisse seien nichts Seltenes in Deutschland, sagte sie standhaft auf die Frage, ob sie auch mit zwei oder drei Stimmen Mehrheit mit der FDP regieren wolle. Was soll sie auch anderes sagen, wenige Tage vor der Wahl?