Am Ende der Geduld
8. April 2013Den Politikern gehe es nur um ihre Machtspielchen, aber nicht um das Wohl des Landes, glaubt Antonio Crispi, Kellner in einer Espressobar in Neapel. Er hat das siegreiche Mitte-Links-Bündnis gewählt, das im Senat die Regierungsmehrheit knapp verpasst hat und nun nach einem Koalitionspartner sucht. "Berlusconi ist inakzeptabel, aber wenn er einem frischeren Gesicht aus seiner Partei Platz machen würde….", sagt Crispi und lässt den Satz unbeendet. Das "governissimo", die große Koalition zwischen rechts und links ist für viele Bürger eine Lösung, nicht aber für Pierluigi Bersani, den Parteiführer des linken Bündnisses. Er hat mit allen Mitteln versucht, Abgeordnete der Fünf-Sterne-Bewegung des ehemaligen Komikers Beppe Grillo für eine Regierung unter seiner Ägide zu gewinnen - erfolglos.
Wirtschaftskrise verstärkt politische Krise
"Grillo sollte endlich zur Vernunft kommen und seine Verweigerungshaltung aufgeben", fordert Cristina Zunecchi, die ihn gewählt hat. Dass er sein Wahlkampfversprechen, mit keiner anderen Partei zu koalieren, tatsächlich einhält, erstaunt und empört sie. "Uns geht es wirtschaftlich richtig schlecht und die Politiker denken nur an sich und ihre Spielchen. Das macht mich wütend. Mein ältester Sohn hat die Uni mit Auszeichnung abgeschlossen und findet seit zwei Jahren keine Arbeit. Der Mittlere ist mit seiner Ausbildung fertig und findet keine Stelle und der Jüngste geht noch zur Schule. Mein Mann hat Arbeit, aber die Gehälter sind viel zu niedrig im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten." Ein Schulterzucken, dann bezahlt sie bei Antonio ihren "Caffè" und macht sich auf den Heimweg.
Neuwahlen als Ausweg?
Nicht nur in Neapel - im ganzen Land wächst die Ungeduld der Bürger. Auch in der norditalienischen Wirtschaftsmetropole Mailand wird über Auswege aus der politischen Pattsituation diskutiert. Die Mailänder Buchhändlerin Giulietta Poma hält unter den gegebenen Umständen Neuwahlen für die beste Lösung. "Dann würde Grillo noch mehr Stimmen bekommen und hätte eine Mehrheit, um zu regieren. Dann könnte er all die Reformen umsetzen, die Italien braucht."
Beppe Grillo spricht dagegen nicht von Reformen, sondern von Revolution. Er will das Land radikal verändern, und zwar allein, ohne Koalitionspartner. "Keine besonders demokratische Grundhaltung" attestiert ihm der 37-jährige Hochschuldozent Michele Ferrari mit einem Kopfschütteln. Und er bezweifelt, dass die Fünf-Sterne-Bewegung bei Neuwahlen tatsächlich noch an Stimmen zulegen würde. In der Tat haben sich die Anhänger dieser jungen Bewegung entzweit, die im Wahlkampf gegen die etablierten Parteien Stimmung gemacht hat. Ein Teil der Fünf-Sterne-Wähler ist für eine Regierungsbeteiligung, ein anderer Teil strikt dagegen.
Die Rolle des Staatspräsidenten
Die Bemühungen von Staatspräsident Giorgio Napolitano, die politische Krise zu beenden, beobachten die Italiener mit gemischten Gefühlen. Einerseits sei es gut, dass er einen Expertenrat mit Abgeordneten aus allen Parteien einberufen hat, um dringend nötige Reformen wie etwa die des Wahlrechts zu besprechen, andererseits stoßen die Namen der Experten vielfach auf Kritik. Keine Frau und keine neuen Gesichter, sondern alles Männer, die seit 30 Jahren Politik machen, sollen also frischen Wind bringen. Das kann nicht klappen, vermutet die Mailänderin Erica Pazzetto und seufzt.
Demokrat Renzi fordert Konsequenzen
Sympathien in der Bevölkerung erwirbt sich in der Krise Matteo Renzi, Bürgermeister von Florenz und parteiinterner Herausforderer von Pierluigi Bersani. Er verlangt Konsequenzen nach Bersanis gescheiterten Versuchen, eine Regierung mit der Fünf-Sterne-Bewegung zu bilden, und stellt sich als Spitzenkandidat der Demokratischen Partei im Falle von Neuwahlen zur Verfügung. "Mehr als 90 Prozent der Bürger haben das Gefühl, wir verlieren unnötig Zeit", sagt er. Laut Umfragen käme er auf 36 Prozent der Stimmen. Das würde wieder nicht reichen für eine Regierung. Und wer wäre Renzis bevorzugter Regierungspartner? Den Verdacht, auch mit Silvio Berlusconi zu koalieren, will Renzi ausräumen. "Ich stehe für das Neue, Berlusconi für das Alte." Markige Sätze sind das, die von den Bürgern jedoch mit Vorsicht genossen werden. Sie haben das Vertrauen in ihre Politiker zu einem großen Teil verloren.