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Politik

Ein Jahr nach dem Anschlag von Nizza

Barbara Wesel
13. Juli 2017

Frankreich erinnert am diesjährigen Nationalfeiertag auch an die Opfer des Attentats von Nizza. Im Juli 2016 war dort ein Terrorist mit einem LKW in die feiernde Menschenmenge gerast. Die Augenzeugen leiden noch immer.

Frankreich Nizza Jahrestag Anschlag
Bild: picture-alliance/Maxppp/F. Fernandes

Es gibt in diesem Jahr kein festliches Feuerwerk auf der Strandpromenade, wie es sonst am Nationalfeiertag Tradition ist. Mit einem Gottesdienst, einer Gedenkveranstaltung mit Präsident Emmanuel Macron und einem abendlichen Konzert soll das Programm Trauer und Betroffenheit nicht nur bei den Hinterbliebenen, sondern auch bei den Bürgern der Stadt Rechnung tragen.

Vor einem Jahr war der in Tunesien geborene, in Frankreich ansässige Mohamed Lahouaiej-Bouhlel mit einem Lastwagen auf dem Boulevard des Anglais in die feiernde Menschenmenge gerast.

Das Attentat dauerte nur wenige Minuten und forderte 86 Menschenleben, darunter viele Kinder. Das Motiv für die Wahnsinnstat konnte nicht wirklich geklärt werden. Und Angehörige wie Hinterbliebene machen die vorherige Regierung in Paris für ein Versagen der Sicherheitsmaßnahmen verantwortlich.

Seit kurzem erinnert ein großes Herz neben der Strandpromenade an die Anschlagsopfer von NizzaBild: picture-alliance/dpa/S. Kunigkeit

Die Opfer

Die meisten der mehr als 400 Verletzten von Nizza sind inzwischen wieder genesen, wenn auch einige dauernde Schäden davon getragen haben. Zwischen zehn und zwanzig Patienten werden noch behandelt, so erklärte Professor Pascal Boileau vom örtlichen Universitätsklinikum gegenüber der französischen Presse.

Allerdings sind rund 3000 Angehörige und Zeugen der Terrorattacke noch in psychiatrischer Behandlung. Unter ihnen viele Kinder, die den Schock des Ereignisses nur langsam verarbeiten. Überlebende berichten von Schlafstörungen und Panikanfällen. Für viele ist der Jahrestag die erste Gelegenheit, auf den Boulevard des Anglais zurück zu kehren, um am Gedenken teilzunehmen.

Einige aber haben die Einladung des Präsidenten abgelehnt, wie Sophia Seco von der Opfervertretung FENVAC erklärt: "In den letzten Wochen hatten wir mit Opfern Kontakt, um die Gedenkfeier am 14. Juli vorzubereiten. Wir haben mit 70 gesprochen, aber drei finden es nicht hilfreich, den Präsidenten zu treffen".

Sicherheitspfosten sollen den Boulevard künftig schützenBild: picture-alliance/dpa/S. Kunigkeit

Schleppende Entschädigung

Ärger gibt es wie nach anderen Terroranschlägen in Frankreich wegen der schleppenden Entschädigung der Opfer durch den Staat. Bisher wurden nur 25 der versprochen 300 Millionen Euro ausgeschüttet.

Nach der Antragstellung gibt es eine Abschlagszahlung zwischen 2500 und 5000 Euro, so erklärt Sophia Seco: "Bevor die Entschädigung aber voll ausgezahlt wird, muss der Betreffende wieder gesund sein oder jedenfalls ausgeheilt". Erst dann könne die Schwere des dauernden Schadens festgestellt und die endgültige Summe ermittelt werden.

"Manche sind froh, dass sie überhaupt Geld bekommen, aber andere finden, es sei viel zu wenig. Der Preis für ein Auto könne doch nicht das Leben einer Tochter kompensieren", erzählt die Beraterin. Inzwischen funktioniere die Zusammenarbeit mit der Regierung besser, wenn auch die Kontaktstelle für die Opfer für viele schwer erreichbar an den Stadtrand verlegt wurde. Und viele warten noch auf Antwort, ob der Anschlag mit besseren Sicherheitsvorkehrungen hätte vermieden werden können oder nicht. Justiz und Polizei von Nizza untersuchen diese Frage noch.

Polizei sichert die Tribüne für die Gedenkfeierlichkeiten in diesem Jahr abBild: Reuters/E. Gaillard

Der Untersuchungsbericht

Die französischen Sicherheitsbehörden dagegen haben inzwischen einen riesigen Aktenberg erzeugt. Der Untersuchungsbericht zum Anschlag umfasst 80.000 Seiten, darin die Berichte der kriminalistischen Recherche, hunderte Zeugenaussagen und die Auswertung von Laptop und Mobiltelefon des Täters.

Nicht gefunden wurde dabei ein Hinweis darauf, dass Mohamed Lahouaiej-Bouhlel in irgendeinem Kontakt zu IS- Kommandostrukturen in Syrien oder Irak gestanden hatte. Und das, obwohl die Terrorgruppe sich nach der Tat zu dem Anschlag bekannte.

Der Täter sei ein Fall von "Selbstradikalisierung", schlussfolgern die Behörden. Zwar zeigte Lahouaiej-Bouhlel ein Interesse an radikal-islamischen Thesen, aber eine Verbindung zur Organisation des IS schien es nicht gegeben zu haben. Und weil solche Kontakte nicht erkennbar wurden, hatte er nicht die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden erregt.

Auch nach einem Jahr existieren zum Hintergrund der Tat keine weiteren Erkenntnisse. Die Forschung nach genaueren Motiven läuft ins Leere, außer dass sich beim Täter eine allgemeine Neigung zum Terrorismus gezeigt habe. Seine mörderische Attacke aber war die erste in Europa, die mit einem Fahrzeug erfolgte. Genau dazu hatte der frühere IS-Sprecher Mohammed al-Adnani seine Anhänger schon 2014 ermuntert.

Touristenziel von mittlerweile trauriger Berühmtheit: die Strandpromenade von NizzaBild: picture-alliance/dpa

Gegen neun Verdächtige wird derzeit noch wegen möglicher Komplizenschaft ermittelt. Es sind örtliche Kontakte von Lahouaiej-Bouhlel, denen Straftaten wie die Beschaffung einer Schusswaffe vorgeworfen werden. Allerdings geht es hier um kriminelle Delikte ohne terroristischen Hintergrund.

Der Täter

Erst in der vergangenen Woche war der Leichnam des Täters von der französischen Gerichtsmedizin freigegeben und nach Tunis zur Beerdigung überführt worden. Eine Erklärung für die mysteriöse Verzögerung gaben die französischen Behörden nicht.

Jedenfalls wird damit ein Gerücht aus dem jüngsten Wahlkampf widerlegt, wonach der Täter auf einem Friedhof in Nizza in der Nähe seiner Opfer beerdigt worden sei. Lahouaiej-Bouhlel war am 14. Juli 2016 im Kugelhagel der Polizei gestorben, die damit seine Vernichtungsfahrt durch die feiernde Menschenmenge auf dem Strandboulevard von Nizza  beenden konnte. 

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