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PolitikIndien

Noch keine Deeskalation: Sikhs und Hindus in Kanada besorgt

Ines Pohl aus Toronto
29. September 2023

Die indische Gemeinde in Kanada ist nach Ermordung eines Sikh-Aktivisten tief gespalten. DW-Reporterin Ines Pohl traf bei Sikhs und Hindus in Toronto auf eine eine hitzige Debatte.

Kanada I Nach Mord an Sikh-Aktivist
Bild: Ines Pohl/DW

Jahrzehntelang war Kanada ein sicherer Hafen für die Sikhs. Viele verließen in den 1980er und 90er-Jahren ihre Heimat Indien, nachdem dort Tausende Menschen während der bewaffneten Kämpfe für einen unabhängigen Sikh-Staat namens Khalistan starben. Rund 800.000 Sikhs leben heute in Kanada. Das ist die größte Gemeinde außerhalb Indiens. 

Während in Indien die Separationsbewegung kaum mehr sichtbar ist, zeigt sie sich innerhalb der Diaspora noch sehr lebendig. Deswegen ist das Verhältnis zwischen Indien und Kanada seit vielen Jahren angespannt. Vor zwei Wochen hatte Kanadas Premierminister Trudeau erklärt, er habe glaubwürdige Beweise dafür, dass die indische Regierung hinter der Ermordung eines Sikh-Aktivisten mit kanadischem Pass und auf kanadischem Boden stehe. Indien wies die Vorwürfe zurück.

Proteste gegen Indien vor diplomatischer Vertretung in Toronto im September 2023Bild: Khalid Eid/DW

Die Situation eskalierte. Beide Länder wiesen Diplomaten aus. Indien warnte vor unnötigen Reisen nach Kanada wegen "anti-indischer Aktivitäten, politisch motivierter Hassverbrechen und krimineller Gewalttaten".

Anhaltende Proteste 

Vor dem indischen Generalkonsulat in der Bloor Street am Hazeldean-Park in Toronto finden ständig Proteste statt. Die Demonstranten fordern die Schließung der diplomatischen Vertretung Indiens in Kanada und verlangen von der Regierung in Ottawa, noch härter gegen Indien vorzugehen. 

Sikh-Aktivistin Sunmeet Kaur: Redefreiheit für alle!Bild: Ines Pohl/DW

Sunmeet Kaur ist eine Sikh-Aktivistin. Wir treffen sie in ihrem Haus in Brampton, einem westlichen Stadtteil von Toronto mit einem hohen indischstämmigen Bevölkerungsanteil. "Wenn die indische Regierung eine Rolle dabei spielen kann, einen Kanadier auf kanadischem Boden zu töten, weil er sich für sein Heimatland einsetzt, dann können Sie sich vorstellen, was die Punjabis tagtäglich erleben müssen, die unter dem unterdrückerischen Regime Indiens leben", sagt sie im DW-Gespräch.

Die indischen Sikhs leben überwiegend im nordwestlichen Bundesstaat Punjab. Von den 28 Millionen Einwohnern sind knapp 60 Prozent Mitglieder der Sikh-Gemeinde. "Wenn man in Kanada sein Grundrecht auf Redefreiheit nicht ausüben dürfte und dabei nicht geschützt würde, dann wäre das ein großes Problem, nicht nur für Kanada, sondern für alle Demokratien", sagt Sunmeet Kaur weiter.

Aktivisten bereit, "ihr Leben zu opfern" 

Kuljeet Singh, auch er ein Sikh-Aktivist, lässt keinen Zweifel daran, dass viele Mitglieder in der Sikh-Gemeinde bereit wären, ihr Leben im Kampf für einen unabhängigen Staat in Indien zu opfern. "Wir wissen, dass unser Kampf für die Befreiung von der indischen Besatzung immer Opfer gefordert hat", sagt Kuljeet Singh.

Sikh-Aktivist Kuljeet SinghBild: Ines Pohl/DW

Für seine Sikh-Gemeinschaft sei der ermordete Hardeep Singh Nijjar "ein weiteres Opfer, das wir in Kauf nehmen, wenn es uns unserem Hauptziel näherbringt." Nijjar wurde im Juni vor einem Sikh-Kulturzentrum in der westkanadischen Region British Columbia von unbekannten maskierten Tätern erschossen worden. Sein Tod löste die diplomatische Eiszeit zwischen Kanada und Indien aus.

Unterschiedliche Stimmen im Sikh-Tempel 

Ich besuche das nahe gelegene Sri Guru Nanak Sikh Centre. Jagdish Songh Sandhu kommt regelmäßig hierher. Der Tempel ist sein Zuhause. Immer wenn er seine Schichten als Taxifahrer beendet hat, kommt er in den Sikh-Tempel, um zu beten, Freunde zu treffen und kostenloses Essen zu bekommen, das rund um die Uhr im Gebäude angeboten wird.

Taxifahrer Jagdish Songh Sandhu im Sikh-TempelBild: Ines Pohl/DW

"Die Gemeinschaft hatte mir am Anfang sehr geholfen. Sie gaben mir alles, Essen für meine Arbeit, Essen für meine Familie. Ich konnte hier sogar wohnen, als ich noch keine Bleibe hatte. Hier fand ich das Glück und den inneren Frieden. Das bekomme ich nirgendwo anders."

Er stellt mir weitere Mitglieder der Gemeinde vor. Die Stimmung hier ist gemischt. Manche zeigen sich unbeschwert, fühlen sich sicher in diesem Land. Sie betonen, wie gerne die Sikhs in Kanada lebten. Andere sagen jedoch, die ganze Sikh-Gemeinschaft müsse befürchten, die indische Regierung könnte Mörder auf sie ansetzen.

Was denken Hindus? 

Die größte indo-kanadische Gemeinschaft sind Hindus. Rund 830.000 Religionsmitglieder leben in Kanada. Guarav Sharma, Sprecher des Kanadischen Hindu-Forums in Toronto, sieht die zunehmend radikalen Äußerungen nach dem Tod des Sikh-Mitglieds mit wachsender Besorgnis. "Die Situation darf nicht so weit eskalieren, dass die Arbeitsbedingungen oder das normale Leben der Gemeinschaft beeinträchtigt werden", sagt er im DW-Interview.

Kostenloses Essen für die Gemeinde im Sikh-TempelBild: Ines Pohl/DW

Extreme Sikh-Anhänger hätten die Hindu-Gemeinschaft aufgefordert, Kanada zu verlassen, berichtet Guarav Sharma. "Die Erklärung von Premierminister Trudeau bietet extremistischen Ideologien leider eine willkommene Plattform."

"Grundrechte für alle!"

Und wie reagieren nicht indisch-stämmige Kanadierinnen und Kanadier? Alle, die wir fragen, verweisen auf die Unterschiede in den politischen Systemen Kanadas und Indiens. Und sie pochen auf die Meinungsfreiheit aller Kanadier unabhängig von seiner oder ihrer Herkunft. 

Khalistan-Anhänger vor Generalkonsulat in Toronto am 25.09.2023Bild: Carlos Osorio/REUTERS

In der Frage, ob Premier Trudeau nicht zwingend Beweise und Geheimdienstinformationen über den gewaltsamen Tod von Hardeep Singh Nijjar hätte liefern müssen, gehen die Meinungen allerdings auseinander. Eine solche Forderung kommt auch aus Indien, doch Ottawa hüllt sich in Schweigen.

Eine Quelle der Nachrichtenagentur AP berichtete, Trudeau stütze sich auf Informationen, die aus der Überwachung indischer Diplomaten in Kanada resultierten. Zudem habe Kanada einen Hinweis aus der Geheimdienst-Allianz "Five Eyes" erhalten, der auch die USA, Australien, Großbritannien und Neuseeland angehören.

Die DW hat die diplomatische Vertretung Indiens in Kanada um eine Stellungnahme gebeten. Weder unsere E-Mails noch Telefonanrufe wurden beantwortet. Vor zwei Wochen hatte das indische Außenministerium die Anschuldigung Kanadas bereits als "absurd" zurückgewiesen.

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