Noch mehr Waffen für die Welt
19. März 2012Dass Waffen nicht immer für den Zweck verwendet werden, für den sie vermeintlich bestimmt sind, lässt sich derzeit in Syrien beobachten: Dort geht die Regierung mit Panzern, Kampfjets und Raketen gegen Aufständische vor. "Viele Waffensysteme lassen sich auch dazu einsetzen, Oppositionsbewegungen zu unterdrücken", sagt Pieter Wezeman, Nahost-Experte am Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. "Sogar ein Radargerät kann dazu verwendet werden, um die Bewegungen von Demonstranten zu überwachen." Sein Institut hat am Montag (19.03.2012) seinen neuen Bericht zu weltweiten Waffengeschäften vorgestellt. Um 24 Prozent haben die Rüstungsexporte demzufolge zwischen 2007 und 2011 gegenüber dem vorangegangen Jahrfünft zugenommen. Das Gros – 44 Prozent – ging nach Asien und in den Pazifik, an zweiter Stelle liegt Europa mit 19 Prozent. Nur knapp dahinter folgt der Nahe Osten, der 17 Prozent der weltweiten Waffenlieferungen erhielt.
"Keine so gute Idee"
Ein Großteil der rund 8000 Menschen, die nach UN-Angaben seit Beginn der Proteste vor einem Jahr in Syrien getötet wurden, dürfte auf das Konto russischer Technik gehen: Von dort bezog das Regime in den vergangenen fünf Jahren 78 Prozent seiner Lieferungen, Weißrussland (17 Prozent) und der Iran (5 Prozent) stellten den größten Rest bereit. Syriens Waffenkäufe konnten so um 580 Prozent steigen.
Moskau widersetzt sich einem Embargo und soll seine Lieferungen sogar aufgestockt haben. "Russland begründet das damit, dass Syrien die Waffen gegen Bedrohungen von außen braucht", sagt Wezeman. "Damit dürfte gemeint sein: 'Wir wollen keine Intervention wie in Libyen'." Dort war vor einem Jahr mit Zustimmung Russlands eine Flugverbotszone eingerichtet worden. Die NATO interpretierte die entsprechende UN-Resolution zum Schutz der Bevölkerung dann so großzügig, dass sie die Rebellen massiv aus der Luft unterstützte und so maßgeblich zum Sturz der Regierung beitrug. Die Waffen, die das Gaddafi-Regime damals einsetzte, hatte es nach SIPRI-Angaben zuvor unter anderem in Großbritannien und Frankreich gekauft.
"Als die Revolte in Libyen begann, entdeckten viele Länder, dass Waffenverkäufe dorthin keine so gute Idee sind", sagt Wezeman. Darüber hinaus habe der Arabische Frühling jedoch kaum einen Effekt auf die Rüstungslieferungen in die Region gehabt – ungeachtet der Tatsache, dass auch Bahrain, Tunesien und Ägypten die importierten Waffen gegen Oppositionelle einsetzten. Ägypten beispielsweise erhielt dem Bericht zufolge weiterhin problemlos Großwaffen, darunter 45 US-amerikanische M-1A1-Panzer, von denen die Regierung gleich 125 weitere bestellte. Gegen die Demonstranten wurden dem SIPRI zufolge im vergangenen Jahr auch Panzerfahrzeuge eingesetzt, die in deutscher Lizenz produziert werden.
Lockere EU-Regeln
Auch Länder, in denen der Arabische Frühling noch nicht angebrochen, aber eine vergleichbare Entwicklung denkbar sei, würden noch mit Waffen versorgt, sagt Wezeman und verweist auf Algerien und Saudi-Arabien. Algerien bezieht seine Waffen auch aus der Bundesrepublik: So gab Deutschland laut SIPRI im vergangenen grünes Licht für den Transfer von Panzerfahrzeugen und anderen Waffen. Saudi-Arabien schließt gar das größte Waffengeschäft der letzten zwei Jahrzehnte ab: Für 29 Milliarden Dollar erhält das Regime 84 neue und 70 modernisierte Kampfjets von den USA. In dem SIPRI-Bericht noch nicht erfasst ist der mögliche Verkauf von mehr als 200 deutschen Leopard-2-Panzern an Saudi-Arabien. Der Deal, dem der geheim tagende Bundessicherheitsrat unbestätigten Berichten zufolge vergangenen Sommer zugestimmt haben soll, hatte in der deutschen Öffentlichkeit für heftige Diskussionen gesorgt.
"Hinsichtlich der Risiken von Rüstungsexporten kann die Nachweisschwelle in Europa sehr hoch liegen", sagt Mark Bromley von der Abteilung Rüstungsexporte des SIPRI. "In der EU wird nur danach gefragt, wozu Waffen wahrscheinlich benutzt werden – und nicht, wozu sie benutzt werden können." Deutschland, mit einem Anteil von neun Prozent der drittgrößte Waffenexporteur der Welt, sei bei seiner Exportkontrolle traditionell etwas vorsichtiger als andere Europäische Staaten. Dies gelte insbesondere im Nahen Osten: "Die Frage, ob Waffen potenziell Israel bedrohen könnten, ist immer Teil des deutschen Denkens". Beobachter sehen darin ein Motiv für den möglichen Verkauf der Panzer an Saudi-Arabien: Sie sollen dazu beitragen, Israels Erzfeind Iran in Schach zu halten.
Doch unabhängig davon, wofür die Waffen letztendlich eingesetzt werden, sei die Lieferung an undemokratische Regierungen grundsätzlich problematisch, glaubt Pieter Wezeman. "Das kann als Signal der Unterstützung verstanden werden", sagt der Nahost-Experte. "Wenn man Waffen an einen Diktator liefert, wird er natürlich glauben, dass man ihn im Prinzip gutheißt."