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Politik

"Man sollte Wirtschaft von Politik trennen"

4. Juli 2018

Der russische Energiekonzern Gazprom und die ukrainische Naftogaz kommen nicht umhin, die Fortführung der Gaslieferungen durch die Ukraine nach 2019 zu vereinbaren, meint Energieexperte Roland Götz.

Nord Stream 2-Baustelle in Lubmin
Bild: picture alliance/dpa/S. Sauer

Deutsche Welle: Die Ukraine verstärkt ihren Kampf gegen Nord Stream 2, Dänemark verweigert dieser Ostseepipeline immer noch  die Zustimmung, die USA drohen mit Sanktionen gegen beteiligte Unternehmen. Die gleichnamige Betreiberfirma dagegen verkündet, sie werde schon bald mit der Verlegung der Rohre beginnen. Kommt nun die Pipeline oder kommt sie nicht?

Dr. Roland GötzBild: Stiftung Wissenschaft und Politik

Roland Götz: Nord Stream 2 wird kommen, aber sie wird nicht so schnell voll betriebsbereit sein, wie Gazprom sich das gedacht hat.  

Ursprünglich war geplant, die Pipeline Ende 2019 in Betrieb zu nehmen, denn zu diesem Zeitpunkt läuft der zehnjährige russisch-ukrainische Gasvertrag aus.

Nord Stream 2 wird auf keinen Fall ab dem 1. Januar 2020 komplett ausgelastet sein können. Gazprom wird also kurzfristig auch weiterhin das ukrainische Gasleitungsnetz in großem Umfang nutzen müssen - mindestens bis 2021, vielleicht bis 2022 oder sogar bis 2023.  

Warum? 

Erstens wegen der Nord Stream 2 selber - es könnte zu Verzögerungen beim Bau kommen. So könnte das eindeutig politische Manöver Dänemarks, vorerst keine Erlaubnis für die Verlegung der Pipeline nahe der Insel Bornholm zu geben, die Arbeiten um mehrere Monate hinausschieben, weil man die Route ändern müsste. Sollten wiederum die USA ihre Sanktionsdrohungen wahrmachen, würde das den Bau wohl nicht stoppen, aber die Finanzierung erschweren. Vor allem aber könnten einige europäische Firmen, die technische Dienstleistungen erbringen, davon abgehalten werden, dies zu tun.

Und zweitens?

Wegen der Europäischen Gas-Anbindungsleitung zu Nord Stream 2 - der EUGAL. Sie soll den größten Teil des gelieferten Gases durch Deutschland weiterleiten. Ihr erster Strang soll bis Ende 2019 gebaut sein, die Fertigstellung des zweiten ist aber erst für Ende 2020 geplant. Zudem dauert es immer einige Monate, bis eine fertige Pipeline voll betriebsfähig ist, das geht nicht schlagartig.

Die Ukraine gibt sich mit einer solchen kurzfristigen Beibehaltung großer Transitmengen nicht zufrieden. Ihr Ziel besteht darin, generell den Bau der Pipeline zu verhindern, genau das versucht Kiew in Brüssel durchzusetzen.    

Das Ziel der Ukraine kann nicht sein, Nord Stream 2 einfach zu verhindern: Dazu hat sie weder rechtliche noch faktische Möglichkeiten. Überhaupt ist die Vorstellung, über diese Pipeline müsse in der EU auf Staatenebene verhandelt werden, abwegig. Nach der Rechtslage ist Nord Stream 2 ein ökonomisches Projekt, das innerhalb der allgemeinen Gewerbefreiheit getätigt werden kann und den EU-Gasmarktregeln entspricht.

Die Pipeline hat Ihrer Meinung nach keine politischen Aspekte?

Jedes große Infrastrukturprojekt ist immer auch ein politisches Projekt, jede Autobahn, jeder Flugplatz hat politische Nebenwirkungen. Solche Nebenwirkungen bestimmen aber nicht das Wesen eines Projekts. Langfristig gesehen möchte Gazprom den größten Teil seines Exports in Westrichtung auf Unterwasserpipelines verlegen.

Den Ukraine-Transit wird Gazprom jedoch, wie Sie soeben dargelegt haben, zumindest kurzfristig beibehalten müssen. Das bedeutet doch, dass Moskau und Kiew nicht umhinkommen, über die Fortführung der Gaslieferungen ab dem 1. Januar 2020 zu verhandeln?

Ja, Gazprom muss sowohl kurzfristige Lösungen finden für die Übergangszeit von etwa zwei bis vier Jahren, bis Nord Stream 2 die volle Leistung bringen kann, und auch gleichzeitig eine langfristige Vereinbarung anstreben. Es kann nicht darum gehen, den Ukraine-Transit, der ja im Augenblick sehr gut funktioniert, zu unterbinden. Die Aufgabe besteht darin, für den Transport gewisser Menge russischen Gases neue Formen der vertraglichen Regelung zu finden.      

Das könnte in der bisherigen Form eines Staatsvertrags zwischen Russland und der Ukraine geschehen, ist aber relativ unwahrscheinlich. Das ist auch nicht jene Form, in der heute solche Gasverträge abgeschlossen werden. Die andere Variante wären kommerzielle Verträge zwischen Gazprom und einer erneuerten Naftogaz. Diese ukrainische Staatsgesellschaft soll ja mit Beteiligung westlicher Firmen kommerzialisiert werden.

Von welchen Mengen ist hier die Rede? Gazprom-Chef Alexej Miller spricht von 10-15 Milliarden Kubikmetern im Jahr.

Das ist viel zu wenig, das würde das Funktionieren des ukrainischen Leitungssystems nicht gewährleisten. Nach meiner Schätzung müssten es etwa 30-40 Milliarden Kubikmeter pro Jahr sein. Das wäre etwas weniger als die Hälfte dessen, was gegenwärtig durch die Ukraine in Richtung Westen transportiert wird.

Und Sie glauben wirklich, dass Gazprom, die so viel Geld in Pipelines gesteckt hat, um die Ukraine zu umgehen, mit solchen Mengen einverstanden sein könnte?

Ja, denn das ukrainische Leitungsnetz wird noch längere Zeit eine große und wichtige Reservefunktion beibehalten. Gaslieferungen sind jahreszeitlichen Schwankungen ausgesetzt, und um auf sie reagieren zu können, wird Gazprom selbst dann, wenn beide Nord-Stream-Pipelines voll ausgelastet sein werden, regelmäßig für seine Exporte in Richtung Westen auf ein weiteres System zurückgreifen müssen. Sonst wird Gazprom die Nachfrage in Europa nicht bedienen können, was nicht in ihrem Interesse ist.

Wie sollte Ihrer Meinung nach die ukrainische Seite jetzt handeln? 

Die ukrainische Naftogaz sollte sinnvoller Weise erkennen, dass sie mit Gazprom noch viele Jahre zusammenarbeiten muss und dass dies am besten einvernehmlich geht und nicht in einer konfrontativen Weise. Das gilt umgekehrt natürlich auch für Gazprom. Man sollte sich von politischer Rhetorik freimachen, die Wirtschaft von der Politik deutlich trennen und langfristig denken. Eine Fortführung des Transits russischen Gases liegt im wirtschaftlichen Interesse der Ukraine, wenn auch die politischen Probleme zwischen beiden Ländern nach wie vor ungelöst sind, was selbstverständlich auch klar ist. Bei den Verhandlungen sollte die ukrainische Seite auf die Reservefunktion ihres Gasnetzes und ihrer Gasspeicher setzen.

Sie meinen also, für die Ukraine sollte die Aufrechterhaltung relativ großer Umfänge Vorrang haben vor einer potentiell möglichen Anhebung der Transitgebühren?

Die Ukraine gewinnt, wenn möglichst viel Gas für lange Zeit über ihr Territorium transportiert wird, und sie gewinnt nicht, wenn sie kurzfristig versucht, die Transitgebühren stark anzuheben, um Gazprom damit zu schaden oder zu erpressen. Denn das würde zu entsprechenden Ausweichreaktionen führen, möglicherweise würde Gazprom den Transit durch die Ukraine ganz einstellen. Das wäre zum eigenen Schaden, aber möglich. Außerdem hat sich die Ukraine zur Angleichung an die europäischen Regelungen im Energiesektor verpflichtet, und zu ihnen gehört auch, dass Transitgebühren nicht willkürlich und zum Schaden anderer festgesetzt werden dürfen. Dagegen wird die Ukraine, zumindest langfristig, nicht verstoßen können.

Dr. Roland Götz war über viele Jahre Russland-Experte bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) und ist einer der renommiertesten unabhängigen deutschen Experten für die europäisch-russischen Energiebeziehungen.

Das Gespräch führte Andrei Gurkov.

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