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PolitikEuropa

Chronologie Nord Stream: das Gas, die Politik und der Krieg

15. August 2024

Die Sprengung der Gasleitung im September 2022 setzte einem deutsch-russischen Megaprojekt ein vorläufiges Ende, das von Anfang an viele Gegner hatte. Eine Chronologie.

Luftbild von einem riesigen Teppich aus Luftblasen auf See
Seit dem Sprengstoffanschlag auf die Gasleitung im September 2022 wird gerätselt, wer dahinterstecktBild: Danish Defence Command/AP/picture alliance

Im September 2022, ein halbes Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges, haben Unbekannte die Gasleitung Nord Stream in der Ostsee von Russland nach Deutschland gesprengt. Jetzt sucht die deutsche Staatsanwaltschaft einen verdächtigen Ukrainer. Doch der hat sich offenbar in die Ukraine abgesetzt. Eine Abfolge der Ereignisse:

2005: Die deutsche Regierung unter dem damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder unterzeichnet zusammen mit der russischen Regierung unter Präsident Wladimir Putin eine Absichtserklärung zum Bau der Pipeline Nord Stream 1. Sie soll russisches Gas unter Umgehung von Transitländern durch die Ostsee nach Deutschland bringen. Erste Vorschläge der Idee wurden bereits in den 90er Jahren gemacht.

Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, hier 2004 in Hamburg, haben Nord Stream vorangetrieben und verstehen sich bis heuteBild: J. Bauer/AP/picture-alliance

2006: Gründung der Gesellschaft Nord Stream AG zur Planung und Umsetzung des Projekts. Beteiligt sind die russische Gazprom und mehrere europäische Energieversorger, denn an der Gasversorgung sind nicht nur die Deutschen, sondern auch andere Europäer interessiert.

2010: Baubeginn von Nord Stream 1. Die doppelröhrige Pipeline mit einer Länge von je 1224 Kilometern verbindet Wyborg in Russland mit dem deutschen Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern.

2011/2012: Inbetriebnahme der beiden Röhren. Sie sollten dem Betreiber zufolge mindestens 50 Jahre Europa mit Gas versorgen. Baukosten nach Angaben der Nord Stream AG: 7,4 Milliarden Euro.

Russlands Krim-Annexion spielt keine Rolle

2013: Beginn der Planungen von Nord Stream 2, zwei weiteren 1250 km langen Strängen, die im wesentlichen parallel zu den bestehenden Röhren von Russland nach Deutschland verlaufen sollen.

Nord Stream 1 und 2 umgehen sämtliche Transitländer auf dem Weg von Russland nach Deutschland

2015: Erste Verträge von Nord Stream 2 werden unterzeichnet. Beteiligt sind erneut der russische Staatskonzern Gazprom und mehrere europäische Energieversorger. Nur ein Jahr zuvor hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert. Für die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist das kein Grund, das Projekt zu stoppen.

Der Widerstand wächst

2016: Von Anfang an haben vor allem die Ukraine, Polen und die baltischen Staaten Bedenken gegen Nord Stream wegen ihrer Sicherheitsinteressen und äußern ihre Sorge immer vehementer. Auch die EU warnt. Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten nimmt der Widerstand auch der USA gegen Nord Stream zu. Trump warnt vor einer zu starken Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energielieferungen. Die Bundesregierung ignoriert sämtliche Bedenken und stellt Nord Stream nicht nur als Antwort auf Europas Energieversorgungssicherheit, sondern auch als Instrument der Friedenssicherung durch Handel dar.

2018: Baubeginn von Nord Stream 2. Bundeskanzlerin Angela Merkel räumt erstmals ein, dass Nord Stream kein bloß privatwirtschaftliches Projekt sei, sondern "natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind". Ein Stopp kommt für sie aber nicht infrage.

2019: Der Ton der USA wird schärfer. Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, schreibt Drohbriefe an deutsche Unternehmen, die an Nord Stream beteiligt sind.

Russisches Verlegeschiff bei den Arbeiten zu Nord Stream 2Bild: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/picture alliance

2021: Nord Stream 2 wird fertig. SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz spricht sich kurz nach der Amtsübernahme im Dezember dagegen aus, das Projekt aus politischen Gründen zu stoppen. Er bezeichnet die Pipeline als "privatwirtschaftliches Vorhaben", das unabhängig von den Beziehungen zu Russland zu bewerten sei, die währenddessen immer schwieriger werden.

Der Krieg verändert alles

22. Februar 2022: Vor dem Hintergrund russischer Aggression gegenüber der Ukraine setzt Bundeskanzler Scholz die Zertifizierung von Nord Stream 2 und damit das Genehmigungsverfahren aus.

24. Februar 2022: Russland greift die Ukraine an. Die Nord-Stream-Kritiker fühlen sich bestätigt. Die Gaslieferungen über Nord Stream 1 gehen zunächst weiter. Aufgrund der EU-Sanktionen gegen Russland verringert sich aber die Menge, die die Staaten der EU von Russland beziehen. 

Energieabhängigkeit von einem Aggressor: Russischer Raketenangriff auf ein Kinderkrankenhaus in Kiew im Juli 2024Bild: Thomas Peter/REUTERS

Juli/August 2022: Angeblich aufgrund von Wartungsarbeiten wird Nord Stream 1 von Russland stillgelegt. Gazprom macht eine defekte Turbine für weitere Verzögerungen verantwortlich. Die Gasversorgung wird später begrenzt wiederaufgenommen, schließlich bis Ende August erneut eingestellt. Sie soll laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erst bei einem Ende der Russland-Sanktionen wiederaufgenommen werden.

Wer steckt hinter der Sprengung?

26. September 2022: Beide Pipeline-Stränge von Nord Stream 1 und einer der beiden Stränge von Nord Stream 2 in der Nähe der dänischen Insel Bornholm werden gesprengt. Deutschland, Dänemark und Schweden nehmen Ermittlungen auf.

Eine Segeljacht stand zeitweilig im Visier der Ermittler, mit der Sprengstoff zu der Stelle transportiert worden sein könnteBild: NDR

2023: Im Laufe der Zeit werden verschiedene Theorien geäußert, wer hinter den Anschlägen stecken könnten. Der US-Investigativjournalist Seymour Hersh behauptet, die USA und Norwegen hätten die Gasleitungen gesprengt. Beweise kann er allerdings nicht vorlegen.

August 2024: Die polnische Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben von der deutschen Bundesanwaltschaft einen Europäischen Haftbefehl zur Festnahme eines Verdächtigen erhalten, der an den Anschlägen beteiligt gewesen sein soll. Laut der "Tagesschau" war dies bereits im Juni. Der verdächtige Ukrainer Wolodymyr Z., der sich nach polnischen Angaben zuletzt in Polen aufhielt, soll sich bereits "Anfang Juli" in die Ukraine abgesetzt haben. Die Frage, warum die polnischen Behörden nicht früher handelten, hat die polnische Staatsanwaltschaft mit einem Formfehler begründet: Von deutscher Seite habe es keinen Eintrag in das Schengen-Register gegeben, in dem die mit Europäischem Haftbefehl Gesuchten geführt werden. Daher habe der polnische Grenzschutz Wolodymyr Z. nicht verhaften können.