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Nord-Stream-Festnahme wirft heikle Fragen auf

22. August 2025

Deutsche Ermittler vermuten, dass der in Italien festgenommene Ukrainer hinter der Sprengung der Gasleitung steckt. Mögliche Verbindungen zur ukrainischen Führung könnten die Unterstützung der Ukraine infrage stellen.

in Arbeiter steht auf der Baustelle der Ostseepipeline Nord Stream 2 an der Molchempfangsstation.
Ein Arbeiter steht auf der Baustelle der Ostseepipeline Nord Stream 2 an der MolchempfangsstationBild: Stefan Sauer/dpa/picture alliance

Drei Jahre nach der Sprengung der Nord-Stream-Gaspipeline in der Ostsee ist ein erster Tatverdächtiger gefasst. Die deutsche Bundesanwaltschaft ließ in Italien einen aus der Ukraine stammenden mutmaßlichen Koordinator der Operation per europäischen Haftbefehl festnehmen. Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) sprach von einem "sehr beeindruckenden Ermittlungserfolg".

Nach Angaben der Bundesanwaltschaft gehörte der Mann, dessen Name mit Serhii K. angegeben wurde, zu einer Gruppe, die die Sprengsätze in der Nähe der dänischen Insel Bornholm an den Leitungen anbrachte. Für den Transport hätten sie eine Segelyacht genutzt, die vom deutschen Rostock aus startete. Der nun gefasste Ukrainer soll einer der Koordinatoren gewesen sein. Italienische Polizisten hatten ihn bei Rimini an der Adria festgenommen. K. soll nun nach Deutschland gebracht und dem Ermittlungsrichter vorgeführt werden.

Verbindungen nach Kyjiw?

Falls Serhii K. wirklich hinter der Sprengung steckt, ist eine politisch besonders heikle Frage, ob er Verbindungen zur ukrainischen Staats- oder Militärführung hatte und womöglich sogar in deren Auftrag handelte. Das könnte die ukrainisch-deutschen Beziehungen schwer belasten und die weitere deutsche militärische und finanzielle Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland infrage stellen.

Deutschland hat der Ukraine Panzer wie diesen Leopard 2 und viele andere Rüstungsgüter in Milliardenhöhe geliefertBild: Martin Meissner/AP Photo/picture alliance

Die Politikerin Sahra Wagenknecht äußerte jetzt diese Vermutung, als sie gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters sagte: "Es ist komplett abwegig, dass der nun Festgenommene und seine Mittäter ohne Rückendeckung der ukrainischen Führung und der damaligen Biden-Administration in den USA handelten." Daher müsse auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor einem deutschen Untersuchungsausschuss aussagen. "Es ist völlig absurd, dass Deutschland viele Milliarden für Ukraine-Hilfen ausgibt, aber niemals Aufklärung von Selenskyj einforderte. Auch mögliche Entschädigungsfragen sollten sich stellen", sagte die Chefin des Bündnisses Sahra Wagenknecht, die wiederholt Sanktionen gegen Russland abgelehnt hat. Ihre Partei ist seit der Wahl im Februar nicht mehr im Bundestag vertreten.

Der Grünenpolitiker und Geheimdienstexperte Konstantin von Notz warnte dagegen vor Verschwörungstheorien und warb um mehr Vertrauen in den Rechtsstaat. Justizministerin Stefanie Hubig betonte nach der Festnahme, an der deutschen Haltung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ändere sich dadurch nichts: "Wir stehen politisch fest an der Seite der Ukraine."

Während Dänemark und Schweden ihre Ermittlungen bereits im Februar 2024 einstellten, ist Deutschland inzwischen das einzige Land, das den Fall offiziell weiterverfolgt.

Nord Stream ist ein russisch-deutsches Megaprojekt, das von Anfang an viele Gegner hatte, unter anderem Polen, die USA, die baltischen Staaten und vor allem seit Beginn des Krieges die Ukraine. Daher war die Frage bei den Ermittlungen immer: Wem nützt die Sprengung?

Die Chronologie:

2005: Die deutsche Regierung unter dem damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder unterzeichnet zusammen mit der russischen Regierung unter Präsident Wladimir Putin eine Absichtserklärung zum Bau der Pipeline Nord Stream 1. Sie soll russisches Gas unter Umgehung von Transitländern durch die Ostsee nach Deutschland bringen. Erste Vorschläge der Idee wurden bereits in den 1990er Jahren gemacht.

Russlands Präsident Wladimir Putin (l.) und der frühere SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder, hier 2004 in Hamburg, haben Nord Stream vorangetrieben und verstehen sich bis heuteBild: J. Bauer/AP/picture-alliance

2006: Gründung der Gesellschaft Nord Stream AG zur Planung und Umsetzung des Projekts. Beteiligt sind die russische Gazprom und mehrere europäische Energieversorger, denn an der Gasversorgung sind nicht nur die Deutschen, sondern auch andere Europäer interessiert.

2010: Baubeginn von Nord Stream 1. Die doppelröhrige Pipeline mit einer Länge von je 1224 Kilometern verbindet Wyborg in Russland mit dem deutschen Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern.

2011/2012: Inbetriebnahme der beiden Röhren. Sie sollten dem Betreiber zufolge mindestens 50 Jahre lang Europa mit Gas versorgen. Baukosten nach Angaben der Nord Stream AG: 7,4 Milliarden Euro.

Russlands Krim-Annexion spielt keine Rolle

2013: Beginn der Planungen von Nord Stream 2, zwei weiteren 1250 km langen Strängen, die im wesentlichen parallel zu den bestehenden Röhren von Russland nach Deutschland verlaufen sollen.

2015: Erste Verträge von Nord Stream 2 werden unterzeichnet. Beteiligt sind erneut der russische Staatskonzern Gazprom und mehrere europäische Energieversorger. Nur ein Jahr zuvor hatte Russland die ukrainische Halbinsel Krim annektiert. Für die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist das kein Grund, das Projekt zu stoppen.

Der Widerstand nimmt zu

2016: Von Anfang an haben vor allem die Ukraine, Polen und die baltischen Staaten Bedenken gegen Nord Stream wegen ihrer Sicherheitsinteressen und äußern ihre Sorge immer vehementer. Auch die EU warnt. Nach der ersten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten nimmt der Widerstand auch der USA gegen Nord Stream zu. Trump warnt vor einer zu starken Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energielieferungen. Die Bundesregierung ignoriert sämtliche Bedenken und stellt Nord Stream nicht nur als Antwort auf Europas Energieversorgungssicherheit, sondern auch als Instrument der Friedenssicherung durch Handel dar.

2018: Baubeginn von Nord Stream 2. Bundeskanzlerin Angela Merkel räumt erstmals ein, dass Nord Stream kein bloß privatwirtschaftliches Projekt sei, sondern "natürlich auch politische Faktoren zu berücksichtigen sind". Ein Stopp kommt für sie aber nicht infrage.

2019: Der Ton der USA wird schärfer. Richard Grenell, US-Botschafter in Berlin, schreibt Drohbriefe an deutsche Unternehmen, die an Nord Stream beteiligt sind.

Russisches Verlegeschiff 2021 bei den Arbeiten zu Nord Stream 2Bild: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/picture alliance

2021: Nord Stream 2 wird fertig gestellt. SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz spricht sich kurz nach der Amtsübernahme im Dezember dagegen aus, das Projekt aus politischen Gründen zu stoppen. Er bezeichnet die Pipeline als "privatwirtschaftliches Vorhaben", das unabhängig von den Beziehungen zu Russland zu bewerten sei, die währenddessen immer schwieriger werden.

Der Krieg verändert alles

22. Februar 2022: Vor dem Hintergrund russischer Aggression gegenüber der Ukraine setzt Bundeskanzler Scholz die Zertifizierung von Nord Stream 2 und damit das Genehmigungsverfahren aus.

24. Februar 2022: Russland greift die Ukraine an. Die Nord-Stream-Kritiker fühlen sich bestätigt. Die Gaslieferungen über Nord Stream 1 gehen zunächst weiter. Aufgrund der EU-Sanktionen gegen Russland verringert sich aber die Menge, die die Staaten der EU von Russland beziehen.

Die Zerstörungen durch russische Raketen- und Drohnenangriffe wie hier am 18. August 2025 in Odessa gehen weiterBild: Nina Liashonok/REUTERS

Juli/August 2022: Angeblich aufgrund von Wartungsarbeiten wird Nord Stream 1 von Russland stillgelegt. Gazprom macht eine defekte Turbine für weitere Verzögerungen verantwortlich. Die Gasversorgung wird später begrenzt wiederaufgenommen, schließlich bis Ende August erneut eingestellt. Sie soll laut Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erst bei einem Ende der Russland-Sanktionen wiederaufgenommen werden.

Wer steckt hinter der Sprengung?

26. September 2022: Beide Pipeline-Stränge von Nord Stream 1 und einer der beiden Stränge von Nord Stream 2 in der Nähe der dänischen Insel Bornholm werden gesprengt. Deutschland, Dänemark und Schweden nehmen Ermittlungen auf.

Die Ermittler glauben, dass die Sprengsätze mit einer Segelyacht zu der Anschlagsstelle transportiert wurdenBild: NDR

2023: Im Laufe der Zeit werden verschiedene Theorien geäußert, wer hinter den Anschlägen stecken könnten. Der US-Investigativjournalist Seymour Hersh behauptet, die USA und Norwegen hätten die Gasleitungen gesprengt. Beweise kann er allerdings nicht vorlegen.

August 2024: Die polnische Staatsanwaltschaft hat nach eigenen Angaben von der deutschen Bundesanwaltschaft einen Europäischen Haftbefehl zur Festnahme eines Verdächtigen erhalten, der an den Anschlägen beteiligt gewesen sein soll. Laut der "Tagesschau" war dies bereits im Juni. Der verdächtige Ukrainer Wolodymyr Z., der sich nach polnischen Angaben zuletzt in Polen aufhielt, soll sich bereits Anfang Juli in die Ukraine abgesetzt haben. Nach Medienberichten war er Tauchlehrer. Die Frage, warum die polnischen Behörden nicht früher handelten, begründet die polnische Staatsanwaltschaft mit einem Formfehler: Von deutscher Seite habe es keinen Eintrag in das Schengen-Register gegeben, in dem die mit Europäischem Haftbefehl Gesuchten geführt werden. Daher habe der polnische Grenzschutz Wolodymyr Z. nicht verhaften können.

21. August 2025: Italienische Carabinieri nehmen den von der deutschen Bundesanwaltschaft gesuchten Ukrainer Serhii K. an der Adria fest.

Wie könnte es weitergehen? Nord Stream ist offenbar nicht komplett abgeschrieben und könnte Gegenstand einer amerikanisch-russischen Vereinbarung zur Beilegung des Ukraine-Kriegs werden. Der russische Außenminister Sergej Lawrow hatte bereits im März im staatlichen Fernsehen gesagt: "Über Nord Stream wird gesprochen."

Wadephul: Zweifel an Putins Verhandlungsbereitschaft

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