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PolitikEuropa

Nordirland: Aufstieg und Fall der DUP

David Ehl Ballymena, Nordirland
13. September 2021

Unter Ian Paisley senior wurde die konservative DUP zur wichtigsten London-treuen Partei Nordirlands. Doch nach dem Brexit sind viele enttäuscht - und wenden sich ab. Aus Ballymena, Nordirland, berichtet David Ehl.

Ballymena, Nordirland
"Ballymena sagt Nein zur Grenze in der Irischen See" - und dennoch existiert die GrenzeBild: David Ehl/DW

Ian Paisleys Büro in der nordirischen Kleinstadt Ballymena ist vollgestopft mit Erinnerungsstücken an die gute alte Zeit: An der Rückwand hängen Zeichnungen und Karikaturen britischer Gentlemen, für Besucher hält er einen antiken, mit grünem Leder bespannten Drehstuhl bereit. Der dazu passende massive Schreibtisch aus poliertem Holz im viktorianischen Stil war ein Geschenk seines Vaters.

Neben Gentlemen und Rennsportfotos hängen auch einige Aufnahmen des berühmten Ian Paisley senior an den übervollen Wänden. "Dass mein Vater mir denselben Namen gegeben hat, hat wirklich geholfen", sagt der Sohn, der ihm in die Politik gefolgt ist. Er holt ein Foto hervor, das in zweiter Reihe auf dem Boden steht und das all seine Leidenschaften vereint: Paisley junior sitzt mit Totenkopftuch am Steuer eines roten Motor-Dreirads, im Hintergrund der Stormont, das nordirische Parlament, und vom Soziussitz winkt Paisley senior mit einem Strohhut.

Große Fußstapfen: Ian Paisley junior zeigt ein Foto mit seinem VaterBild: David Ehl/DW

DUP-Gründer Paisley senior hat Legendenstatus

In Ballymena und anderen protestantisch geprägten nordirischen Orten hat der 2014 verstorbene presbyterianische Pfarrer und Parteigründer Legendenstatus: Unter seiner Führung stieg die Demokratische Unionistische Partei (DUP) zur führenden politischen Kraft der Unionisten in Nordirland auf, also dem London-treuen Lager, dem hauptsächlich Protestanten angehören. Getrieben von der Vorstellung, die Verbindungen zur britischen Insel dadurch zu stärken, warb die DUP vor dem Brexit-Referendum 2016 dafür, mit "Leave" zu stimmen. Doch der Brexit hat sich aus unionistischer Perspektive als Desaster entpuppt: Der Handel zwischen dem Norden und der Republik Irland floriert, während Waren aus Großbritannien erst eine Zollgrenze passieren müssen, bevor sie in nordirischen Geschäften landen.

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Die Schuld dafür geben viele Nordiren nicht nur der Regierung von Boris Johnson, die diese Zollgrenze selbst gezogen und das Nordirland-Protokoll mit der EU ausgehandelt hat. Schuld weisen viele auch der DUP zu, die seit 2017 sogar als Mehrheitsbeschaffer für die Minderheitsregierung von Theresa May diente und trotzdem keinen besseren Deal für Nordirland herausgeschlagen hat. Paisley, damals wie heute Abgeordneter im Londoner Unterhaus, findet die Frage nach ihrem womöglich vorteilhafteren weichen Brexit-Plan "irrelevant" - "denn sie kriegte es ja nicht einmal in ihrer eigenen Partei durch". Am Ende wandte die DUP sich von May ab - zugunsten Johnsons, durch dessen Protokoll sich nun viele Nordiren von London verlassen fühlen.

Abwendung von der DUP

Hört man sich in der einstigen DUP-Hochburg Ballymena um, schlägt einem schnell Verbitterung entgegen. "Großbritannien behandelt uns, als wären wir ein fremdes Land", beklagt sich die 61-jährige Leslie. Schuld sieht sie bei der DUP: "Viele Leute, die bislang die DUP gewählt haben, ich gehöre auch dazu, wählen beim nächsten mal die TUV." Die Traditional Unionist Voice sei die einzige Partei, die sich für ihre Identität einsetze: "Ich bin Britisch-Nordirisch, und das will ich auch bleiben."

Dass Ballymena vorwiegend unionistisch ist, ist überall zu sehen - hier ein Wandbild des Oranier-Anführers Wilhelm III.Bild: David Ehl/DW

Wie drastisch die Abwanderung sein könnte, illustriert eine Ende August veröffentlichte Umfrage im Auftrag des "Belfast Telegraph": Die DUP sackte darin auf 13 Prozent ab, sodass die Traditional Unionist Voice und noch eine weitere unionistische Partei an ihr vorbeizogen. Bei den letzten regionalen Wahlen 2019 war die DUP mit 31 Prozent der Stimmen noch stärkste Kraft geworden. Im Stormont führt sie die Koalitionsregierung mit Sinn Féin an, der stärksten nationalistisch-pro-irischen Partei. Das Karfreitagsabkommen, das 1998 den Nordirland-Konflikt beendete, sieht vor, dass stets beide Lager an der Regierung beteiligt sein müssen.

"Ehrlich gesagt glaube ich der Umfrage nicht", sagt Paisley, und begründet das mit methodischen Ungereimtheiten. "Ich denke, das ist jemandes Wunschtraum und glaube, dass die DUP deutlich populärer ist, als diese Umfrage annehmen lässt."

Pokern mit dem Nordirland-Protokoll

Nichtsdestotrotz steht die Partei massiv unter Druck. Im Frühjahr entlud sich die Unzufriedenheit mit der damaligen Ersten Ministerin Arlene Foster in parteiinternen Schlagabtauschen, die Paisley als "Revolution und Konterrevolution" bezeichnet. Zum dritten Parteichef binnen weniger Wochen wurde Jeffrey Donaldson gekürt, der seitdem versucht, die Partei zu stabilisieren und wieder in die Offensive zu bringen. Als Sündenbock soll das Nordirland-Protokoll herhalten.

Vor wenigen Tagen holte Donaldson dann zum Schlag aus: Er drohte mit einem baldigen Ausstieg der DUP aus der Regierung im Stormont, sollte das Protokoll nicht substantiell geändert werden. Die Rede sollte wohl den Ton für den Arbeitsbesuch von EU-Kommissionsvizepräsident Maros Sefcovic in Nordirland setzen, der sich um Deeskalation bemühte. Die EU wolle keinen "politischen Sieg" erringen, sondern eine "Win-Win-Lösung" finden, von der alle profitierten; zuallererst jedoch die Bevölkerung von Nordirland.

Die Verhandlungen nach dem Brexit sind ein wichtiges Thema für EU-Kommissionsvize Maros SefcovicBild: Stefan Rousseau/PA Wire/empics/picture alliance

Der Politologe Jon Tonge von der Universität Liverpool nennt Donaldsons Drohung das "High Noon für die DUP". Die "Irish Times" zitiert ihn, die DUP müsse "alles auf das Protokoll setzen, um die Unterstützung der DUP-Hardliner zurückzugewinnen."

"Die DUP hat keinen Plan"

Die Journalistin Susan McKay, die erst kürzlich ein Buch mit dem vielsagenden Titel "Nordirische Protestanten auf wackligem Boden" veröffentlicht hat, sieht eine grundlegendere Bredouille: "Die Unionisten taumeln, sie sind in einer schwierigen Lage, die sie sich selbst eingebrockt haben. Sie haben keinen Plan für die nächsten Jahre, während Sinn Féin den sehr klaren Plan eines Vereinigten Irlands verfolgt", sagt McKay der DW. Dazu komme, dass viele jüngere Menschen die erzkonservativen Positionen der DUP zur Ehe für Alle sowie zu Abtreibung ablehnten.

In Ballymena ist es nicht leicht, mit jungen Menschen über die DUP ins Gespräch zu kommen - eine junge Mutter, die sich mit ihrem Handy beschäftigt, während die Tochter auf dem Spielplatz tobt, sagt, sie habe die Politik aufgegeben, es ändere sich ja doch nichts. Ein älterer Mann in der Einkaufsstraße gibt hingegen bereitwillig Auskunft: Er unterstütze die DUP, das seien "gute, ehrliche Leute" mit einem lokalen Abgeordneten sei er befreundet. Auf Ian Paisley junior angesprochen, sagt er dann jedoch: "Ich habe selbst noch nie mit ihm geredet. Sein Vater war ein guter Mann, aber ich glaube nicht, dass der Sohn aus demselben Holz geschnitzt ist."

Ian Paisley senior stand 37 Jahre an der Spitze der DUPBild: Paul McErlane/Getty Images

In seinem Büro sagt Paisley junior: "Ich erwarte von denen, die mich wählen, nicht, dass sie mich mögen. Aber ich erwarte von ihnen, dass sie die Union lieben." Das unionistische Lager könne sich derzeit keinen Protest leisten, sondern müsse zusammenstehen. Spätestens im Mai 2022 wird der Stormont, das nordirische Parlament, neu gewählt. Ein zersplittertes unionistisches Lager gegen eine starke Sinn Féin - das könnte für die DUP wegen des Mehrheitswahlrechts besonders herbe Verluste bedeuten. Ian Paisley gibt sich trotz allem zuversichtlich, doch auch er sagt: "Die einzigen Menschen, die die Union zerstören können, sind Unionisten."

 

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