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Politik

Nordirland: Johnsons größtes Brexit-Problem

Mark Hallam
1. August 2019

Für den britischen Premier ist die Nordirland-Frage wohl die schwierigste Herausforderung im Brexit-Streit. Schon sein Ziel, die Regionalregierung zur Wiederaufnahme ihrer Arbeit zu bewegen, scheint wenig aussichtsreich.

UK Ärger auf Nordirland-Reise von Premier Johnson
Bild: picture-alliance/dpa/L. Mcburney

"Es ist wie eine Ehe, in der man in getrennten Räumen schläft", sagt der Taxifahrer und deutet auf die "Peace Walls" - die sogenannten Friedensmauern, die eines der wenigen nationalistischen, katholischen Viertel von den Häusern der protestantischen Loyalisten im Osten Belfasts trennen. "Ich glaube nicht, dass sich das jemals ändern wird." Die Mauern, die auf der Fahrt Richtung Stormont Castle vor dem Autofenster vorbeiziehen, sind mit politischen Graffiti verziert und erinnern an die bewegte Geschichte der nordirischen Hauptstadt. 

Stormont Castle ist der Regierungssitz Nordirlands. Nur - hier regiert niemand mehr. Mehr als zwei Jahre sind vergangen, seit sich die Koalition der nationalistischen Sinn Fein, die ein vereintes Irland anstrebt, und der loyalistischen Demokratischen Unionistischen Partei (DUP), die Teil des Vereinten Königreichs bleiben will, aufgelöst hat.

Für seinen ersten Besuch in Nordirland als britischer Premierminister hatte sich Boris Johnson vorgenommen, die zerstrittenen Koalitionspartner wieder an den Verhandlungstisch zu bringen. Sein Hauptaugenmerk liege darauf, die Regierungsarbeit "wieder ans Laufen zu bekommen. Dies ist meines Erachtens zutiefst im Interesse aller Bürger Nordirlands", sagte Johnson bei seiner Ankunft. Er gehe davon aus, "dass auch der Brexit zur Sprache kommt."

Noch immer trennt die Friedensmauer loyalistische und nationalistische Gemeinden in BelfastBild: picture-alliance/AP Photo/P. Morrison

Die Brexit-Frist, die zum 31. Oktober ausläuft, will Johnson um jeden Preis einhalten. Das Problem ist: Sollte es bis dahin keine funktionierende nordirische Regierung geben, müsste London die Regierungsgeschäfte in Belfast übernehmen, um den Ausstieg zu regeln. Ein solcher Schritt gilt aber in Nordirland als äußerst unbeliebt.

Sinn Fein: "Kein Anlass zur Hoffnung"

Über den Verlauf der Gespräche am Mittwoch äußerte sich Johnson nicht öffentlich. Er ließ nur verlauten, dass es konstruktive Fortschritte gegeben habe. Ganz anders klang das bei Sinn-Fein-Chefin Mary Lou McDonald. "Der britische Premier und sein Außenminister müssen bei ihrem Handeln das Gemeinwohl im Blick behalten", sagte sie vor Journalisten. "Habe ich das Gefühl, dass sie das tun? Nein, das habe ich nicht. Meiner Meinung nach haben wir nichts gehört, das uns Anlass zur Hoffnung gibt."

Vielmehr habe sie nach den Gesprächen mit Johnson den Eindruck, dass dieser einen "ungeordneten, einen Absturz-Brexit" anstrebe, sagte McDonald. Sie fordert ein sofortiges Referendum über eine Vereinigung der Republik Irland und Nordirlands, sollte ein solches Szenario eintreten.

Mary Lou McDonald spricht vor dem nordirischen Regierungssitz mit JournalistenBild: Getty Images/AFP/P. Faith

Umfragen zufolge hätte ein Referendum über die irische Einheit bislang keine Chance. Beim Brexit-Referendum von 2016 stimmte Nordirland jedoch knapp für einen Verbleib in der EU - und das zu erwartende Chaos an der irischen Grenze im Falle eines Brexits ohne Abkommen könnte die Mehrheitsverhältnisse weiter verschieben.

Zweifel an der Unparteilichkeit Londons

Sinn Fein und DUP sind aber nicht nur in der Frage des zukünftigen Status Nordirlands zerstritten. Während die DUP in vielen Angelegenheiten konservative Positionen vertritt, gilt Sinn Fein als eher linksgerichtet. Wie tief der politische Graben zwischen den Parteien ist, wird etwa daran deutlich, dass sich Sinn Fein anders als die DUP für eine gesetzliche Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe und für die Legalisierung von Abtreibungen einsetzt - und das als größtenteils katholische Partei.

Sinn Fein schaut misstrauisch nach Westminster - nicht nur aus historischen Gründen. Boris Johnson habe gesagt, "dass er handeln wird, ohne Partei zu ergreifen. Wir haben ihm gesagt, dass wir das nicht glauben", erklärte McDonald am Mittwoch. Die Zweifel der Nationalisten sind vor allem seit der Wahl 2017 in Großbritannien groß. Seitdem waren Theresa May und ihre Konservativen in ihrer Regierungsarbeit ausgerechnet auf die DUP angewiesen, mit der sie in London koalieren.

Zwar gewinnt Sinn Fein bei jeder britischen Wahl mehrere Sitze im Parlament, schickt jedoch nie Abgeordnete nach Westminster - da sie die Herrschaft Londons über Belfast nicht anerkennt.

Loyalisten-Mural an einem Haus in BelfastBild: picture-alliance/AP Photo/P. Morrison

Die Wahl Boris Johnsons zum Premierminister und dessen Herangehensweise an den stockenden Brexit-Prozess verkomplizieren die Situation zusätzlich. Johnsons härtere Brexit-Rhetorik spiegelt die Positionen der DUP stärker wider als der Kurs Theresa Mays - insbesondere mit Blick auf den sogenannten Backstop, der Kontrollen an der irischen Grenze verhindern soll. Dass die neue konservative Regierung in London Irland und die EU unter Druck setzt, den Backstop fallenzulassen, ist für Sinn Fein inakzeptabel. Die Nationalisten sehen darin eine Bedrohung der bestehenden Beziehungen zur Republik Irland. 

"Niemand will eine No-Deal-Situation"

Die DUP-Politikerin Arlene Foster nahm am Mittwochmorgen Stellung zu dem Backstop-Streit. "Niemand will eine No-Deal-Situation", sagte sie im irischen Sender RTE. "Wir wollen einen Weg finden, der für das Vereinigte Königreich, einschließlich Nordirland, und auch für die Republik Irland gut ist. Leider heißt es aus Dublin bislang nur 'Entweder Backstop oder gar nichts', und das heißt nur Streitlust und Intoleranz gegenüber Nordirland."

Stadtspaziergang in Belfast

03:44

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Ob der Brexit kommt oder nicht: Das Karfreitagsabkommen von 1998, das Jahrzehnte politischer und sektiererischer Gewalt weitgehend beendete, sieht vor, dass die beiden größten Parteien Nordirlands - die DUP und Sinn Fein - in einer Koalition regieren müssen. Es ist, vorsichtig ausgedrückt, nie ein einfaches Bündnis gewesen. Aber nach Johnsons Besuch in Belfast deutet wenig darauf hin, dass die Parteien näher zusammenrücken - im Gegenteil: Der Brexit, der planmäßig in genau drei Monaten stattfinden soll, könnte sie noch weiter auseinander reißen.