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PolitikEuropa

Nordirland-Streit: Johnson droht mit neuem Brexit-Drama

Barbara Wesel
23. Juli 2021

London legt den Streit um das Nordirland-Protokoll aus dem Brexit-Abkommen wieder auf. Premier Boris Johnson will neu verhandeln und alle Warenkontrollen im Grenzverkehr abschaffen. Brüssel lehnt die Forderungen ab.

Nordirland Zugang Hafen Larne
Kontrollen am nordirischen Hafen von LarneBild: Paul Faith/AFP

Das politische Sommerloch in Großbritannien müsse gefüllt werden, so denkt wohl der britische Premier, und zwar mit einem anderen Thema als der Corona-Politik und der eiligen Wiederöffnung des Landes. Also zieht er den alten Zank um das Nordirland-Protokoll im Brexit-Abkommen hervor und schickt seinen Vertrauten David Frost ins Unterhaus, um die nächste Runde im Kampf um die Grenzkontrollen einzuläuten. 

Die Quadratur des Kreises

Schon Theresa May war an der Unmöglichkeit gescheitert, für Nordirland die Quadratur des Kreises zu erfinden. Mit dem Brexit ist die britische Region Nordirland aus dem Binnenmarkt ausgeschieden, während die benachbarte Republik Irland EU-Mitglied bleibt. Also müsste es Grenzen mit Kontrollen für den Warenverkehr geben. Das gilt wegen der Geschichte des Landes und des Karfreitagsabkommens als unmöglich. Andererseits sind die Republik und Nordirland wirtschaftlich eng verflochten. Keine Kontrollen an ihrer neuen Außengrenze jedoch findet die EU inakzeptabel.

Es gibt den Verdacht, Boris Johnson wolle das Sommerloch statt mit Corona mit Brexit füllenBild: DANIEL LEAL-OLIVAS/AFP

Das Problem ist nicht logisch lösbar, sondern nur durch einen Kompromiss, der eine fiktive Grenze durch die irische See zog. So unterschrieben von Boris Johnson im Dezember letzten Jahres. Seitdem aber tut er alles, so glaubt Brüssel, um die Umsetzung zu hintertreiben. Zuletzt tauchte der Zank sogar beim G7-Gipfel der Regierungschefs in Cornwall auf, als Johnson sich mit den französischen Präsidenten wegen des Transports von Würstchen von einem Landesteil in den anderen anlegte.  .

In Cornwall hatte auch US-Präsident Joe Biden den britischen Premier ermahnt, nichts zu tun, was das Karfreitagsabkommen und den Frieden in Irland untergraben würde. Aber das scheint Boris Johnson weder nachhaltig beeindruckt noch abgeschreckt zu haben.

Vorschläge mit Drohpotential

Zwar betont die britische Regierung, sie wolle "derzeit" das Abkommen nicht kippen. Aber Frost brachte eine Reihe von Vorschlägen, die eine "grundsätzliche Neufassung" bedeuten würden. Alles alte Kamellen aus den vierjährigen Brexit-Verhandlungen, die bereits untersucht und verworfen worden waren.

Sogar beim G7-Gipfel kam der streit um den Transport britischer Würstchen auf den Tisch Bild: Imago/CTK Photo

Frost will also alle Kontrollen für Güter abschaffen, wenn ein Unternehmen sich selbst zertifiziert, dass es keine Waren für den Verbrauch in der EU, sondern nur für Nordirland produziert. Außerdem sollten alle britischen Güter, die EU-Standards genügen, frei zirkulieren können. Alle anderen sollten mit der Bezeichnung "nur für Nordirland" gekennzeichnet werden. Die Umsetzung würde allerdings nur von Großbritannien kontrolliert, so dass die EU ihre Grenzsicherung quasi an London outsourcen müsste.

Außerdem, so der Vorschlag aus London, müssten alle Ausfuhrerklärungen wegfallen. Schließlich hatte Boris Johnson immer versprochen, Nordirland werde nicht durch zusätzlichen Papierkram belästigt. Die EU hatte an diesem Punkt zwar bereits Zugeständnisse gemacht, aber London will alle Dokumentation abschaffen.

Weder Ursula von der Leyen noch Angela Merkel haben Lust auf eine Wiederauflage des Brexit-DramasBild: Michael Sohn/AP/picture alliance

Die gesamte Regelung zu Staatshilfen solle abgeschafft werden. Danach müsste die britische Regierung ihre Subventionen in Einklang mit EU-Recht bringen, die Waren für Nordirland betreffen. Dies wurde schon immer als Eingriff in britische Souveränität betrachtet. Und das gilt schließlich umso mehr für die Zuständigkeit des europäischen Gerichtshofs für die juristische Durchsetzung des Protokolls. Sie soll ebenfalls fallen.

Abfuhr aus Brüssel und Berlin

Um sein Anliegen politisch an die Frau zu bringen, telefonierte Boris Johnson mit der EU-Kommissionspräsidentin in Brüssel und mit der Bundeskanzlerin. "Der Premierminister hat dargelegt, dass die Funktionsweise des Protokolls gegenwärtig nicht tragbar ist. Durch die bestehenden Mechanismen konnten keine Lösungen gefunden werden. Deshalb haben wir Vorschläge für signifikante Änderungen gemacht", hieß es dazu in der offiziellen Mitteilung aus der Downing Street.

Ursula von der Leyen antwortete auf den Vorstoß mit einer umgehenden Abfuhr: "Die EU wird weiter kreativ und flexibel bleiben innerhalb des Rahmens des (Nordirland-)Protokolls. Aber wir werden nicht neu verhandeln."

Die Antwort aus Berlin auf den Vorstoß des britischen Premiers war noch etwas schärfer. Der Sprecher der deutschen EU-Vertretung in Brüssel verbreitete auf Twitter eine "Brexit-Erinnerung": "Das Nordirland-Protokoll wurde von der britischen Regierung verhandelt. Es wurde von der britischen Regierung unterschrieben. Es wurde vom britischen Parlament ratifiziert. Seine Konsequenzen waren bekannt. Ist es zu viel verlangt, dass Großbritannien zu dem steht, was es verhandelt, unterschrieben und ratifiziert hat?" 

Das ist diplomatisch betrachtet eine Art Ohrfeige. Weder in Brüssel noch in den Hauptstädten der EU-Mitgliedstaaten gibt es die Bereitschaft, das Abkommen wieder aufschnüren. Der Regierung in London aber sitzt die nordirische DUP im Nacken, die von internen Kämpfen zerrissene Unionisten-Partei. Ihr neuer Chef droht jetzt Boris Johnson, nordirische Minister würden ihrerseits alles unterlaufen, was die Gleichbehandlung mit dem Rest des Königreichs in Frage stellt.

Die DUP fühlt sich verraten, seitdem Boris Johnson das Nordirland-Protokoll unterschrieben hat, und stellt das gegenseitige "Vertrauen" infrage. Daran fehlt es allerdings auch in Brüssel gegenüber der britischen Seite, was informelle Lösungen erschwert. Die Aussicht auf dieses spezielle Sommertheater erfüllt die europäischen Verhandlungsführer jedenfalls mit Abscheu und Verärgerung.