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Politik

"Es ist noch nicht fünf vor zwölf"

Yue Fu
6. September 2017

Nach dem Atomtest in Nordkorea wird der Ruf nach schärferen Sanktionen laut. Als wichtigster Verbündeter werde China seine Öllieferungen aber nicht komplett einstellen, so der Politologe Jian Cai im DW-Interview.

China Nordkorea Grenze Flaggen
Bild: Getty Images/K. Frayer

Deutsche Welle: Herr Cai, wird China den Ölexport nach Nordkorea einstellen?

Jian Cai: Die chinesische Regierung hat sich schon klar positioniert, dass die Sanktionen nur im Rahmen der Vereinten Nationen stattzufinden haben. Ob China den Ölexport einstellt, ist vom Ergebnis der Beratungen im UN-Sicherheitsrat abhängig. China wird keine einseitige Maßnahme umsetzen.

Schon im März hatten die USA die Hoffnung geäußert, dass China kein Rohöl mehr nach Nordkorea exportiert. Würde China im UN-Sicherheitsrat den US-Vorstoß unterstützen?

Im Gegensatz zu anderen Staaten besitzt China besondere Interessen in Korea. China will Frieden und Stabilität auf der Halbinsel wahren. Stabilität bedeutet aber für Peking, dass keine politische und wirtschaftliche Unruhe in Nordkorea aufgrund der internationalen Sanktionen entsteht.

Öl ist für jede Volkswirtschaft von existenzieller Bedeutung. Die Einstellung des Ölexports würde weitreichende Auswirkungen auf das politische und wirtschaftliche Leben haben, aber auch auf das Alltagsleben der Bevölkerung. Ich denke nicht, dass es verantwortungsvoll wäre, den Ölexport über Nacht komplett einzustellen.

Grenzübergang zwischen China und NordkoreaBild: Reuters/D. Sagolj

Glaubt man den Experten, reichen die Ölreserven Nordkoreas ohne weitere Importe nicht mal für drei Monate aus. Was sagen Sie dazu?

Nach meinen Informationen reichen die Reserven für ein Jahr. Bricht jedoch ein Krieg aus, wird naturgemäß mehr Öl verbraucht.

Wie abhängig ist Nordkorea vom chinesischen Ölexport?

Dazu kann ich keine Angaben machen. Die westlichen Staaten glauben zumindest, dass 80 Prozent der Ölimporte Nordkoreas aus China stammen. Ich denke, das ist etwas übertrieben.

Ist China überhaupt bereit, den Ölexport nach Nordkorea Schritt für Schritt zu reduzieren?

Das ist durchaus denkbar. Und schon bei den früheren Raketentests durch Nordkorea hatten chinesische Medien davor gewarnt, an der Ölschraube zu drehen. Ich lese die Meldungen so, dass China mit der Exportquote und den Zeiträumen der Lieferungen Druck aufbauen möchte. Eine komplette Einstellung kommt nicht in Frage.

Doch die Rüstungsindustrie in Nordkorea braucht Öl…

Das glaube ich nicht. Die Rüstungsindustrie ist nicht so sehr vom Öl abhängig. Um diese unter Druck zu setzen, sollte man eher das Erwirtschaften von Devisen durch Nordkorea untersagen.

Nordkoreanisches Atomprogramm als Dauerthema im UN-SicherheitsratBild: picture-alliance

Welche Instrumente hat China noch in der Schublade?

Einseitige Verschärfungen der Sanktionen ohne Rücksichtnahme auf andere Aspekte können das Problem um das nordkoreanische Atomprogramm nicht lösen. Diese Position hat Peking schon immer vertreten.

Auch die UN-Resolutionen haben bisher der Erwägung Rechnung getragen, dass auf der einen Seite Verstöße bestraft werden, aber auf der anderen Seite die Tür zu Verhandlungen offen bleibt.  China wird keine neuen Sanktionen verhängen. Sanktionen funktionieren nur eingeschränkt.

Befürchten Sie einen Krieg?

Nein. Das ist sehr unwahrscheinlich.

Warum?

Die Nachbarländer wie China, Russland und Südkorea, ausgenommen Japan, wollen auf keinen Fall militärische Lösungen. Selbst in den USA gibt es Kontroversen, ob ein militärischer Erstschlag zum Erfolg führen könnte. Washington müsste berücksichtigen, dass viele Länder, unter ihnen auch ihre Verbündeten, gegen einen Krieg sind. 

Bricht ein Krieg aus, ist mit einem hohen Risiko für die USA zu rechnen. In Südkorea und Japan sind Hunderttausende von US-Soldaten stationiert. Die letzten nordkoreanischen Tests haben gezeigt, dass die Raketen bis zur US-Pazifikinsel Guam fliegen können. Damit geriete auch dieses US-Territorium in Gefahr.

Bild: tooonpool.com/Kostas Koufogiorgos

Mit Nordkorea können die USA nicht umgehen wie mit Irak oder Libyen. Im Vergleich zu Irak, Libyen, Syrien oder Afghanistan, die keine Kapazitäten für einen Gegenschlag haben, ist Nordkorea eine ernste Bedrohung.

Sind unter den gegenwärtigen Umständen noch Verhandlungen zwischen Nordkorea und den USA möglich?

Geben wir der Entwicklung ihren natürlichen Lauf, bleibt der internationalen Gemeinschaft nichts anderes übrig, als mit Nordkorea zu verhandeln.

Ist jetzt eine entscheidende Phase für die Suche nach Lösungsansätzen angebrochen?

Für Verhandlungen ist es jetzt vielleicht noch nicht soweit. Es ist noch nicht fünf vor zwölf. Die Drohgebärden und das Säbelrasseln Nordkoreas dienen nur dazu, eine bessere Position bei späteren Verhandlungen einzunehmen.

Das Interview führt Fu Yue.

Jian Cai ist Juniorprofessor am Institut für Internationale Studien der Shanghaier Fudan-Universität. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Nord- und Südkorea sowie die bilateralen Beziehungen zwischen China und Korea.

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