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PolitikAsien

Nordkorea: Rückkehr einer "Friedensbotschafterin"

Martin Fritz aus Tokio
4. Oktober 2021

Parallel zu ihrem Aufstieg in Nordkoreas oberstes Machtgremium treibt Kim Yo Jong, die Schwester von Kim Jong Un, die innerkoreanische Annäherung voran. Das mutmaßliche Ziel ist ein Gipfeltreffen. Martin Fritz aus Tokio.

Kim Yo Jong Nordkorea
Kim Yo Jong auf der Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspiele im südkoreanischen Pyeongchang 2018Bild: Getty Images/P. Semansky

Seit Montag 9 Uhr Ortszeit (4.10.) können Nord- und Südkorea wieder miteinander kommunizieren. Zum ersten Mal seit zwei Monaten telefonierten Beamte beider Staaten miteinander, nachdem der Norden die zwei Hotlines öffnete. Damit dürfte der Startschuss für eine politische Annäherung gefallen sein.

Die Rhetorik beider Seiten ließ daran keinen Zweifel: Die Freischaltung habe die Grundlage für die Wiederherstellung der innerkoreanischen Beziehungen geschaffen, teilte Südkoreas Vereinigungsministerium mit. Die staatliche Nachrichtenagentur von Nordkorea KCNA bezeichnete den Schritt als einen Versuch, "dauerhaften Frieden" auf der koreanischen Halbinsel zu schaffen.

Nun dürfte Kim Yo Jong wieder voll ins Rampenlicht rücken. Die Schwester von Machthaber Kim Jong Un ist nordkoreanischen Angaben zufolge für die Politik gegenüber Südkorea verantwortlich. Aber ihr Einfluss geht weit darüber hinaus: Südkoreas Geheimdienst beschrieb die Schwester, deren Alter auf 34 Jahre geschätzt wird, schon vor einem Jahr als die "De-facto-Nummer zwei".

Kims Schwester mit Südkoreas Präsident Moon (l.) am 26. Mai 2018 an der innerkoreanischen GrenzeBild: Getty Images/South Korean Presidential Blue House

In der offiziellen Hierarchie ist Kim gerade aufgestiegen. Die Oberste Volksversammlung wählte sie mit sechs anderen Funktionären in die Kommission für Staatsangelegenheiten. Nordkoreas höchstes Regierungsorgan wird von ihrem Bruder geleitet. In der Arbeiterpartei hält Kim den Posten einer Vizeabteilungsleiterin im Zentralkomitee. Im nächsten Schritt könnte sie in das Politbüro aufrücken. Beim Parteikongress Anfang dieses Jahres blieb diese Beförderung entgegen manchen Erwartungen noch aus.

Geschwister Kim 2017Bild: picture-alliance/Yonhap

Enges Vertrauen seit Kindheit

Ihr Aufstieg beruht auf der engen Vertrauensbeziehung zu ihrem Bruder, die über viele Jahre gewachsen ist. Gemeinsam verbrachten die Geschwister die Jahre zwischen 1996 und 2000 an einer Privatschule in Bern, der Hauptstadt der Schweiz, wo sie die besseren Noten gehabt haben soll. Dort mussten sie mit der Flucht ihrer Tante und deren Familie in die USA sowie der Brustkrebserkrankung ihrer Mutter klarkommen. Nach der Rückkehr und dem Schulabschluss arbeitete Kim Yo Jong als persönliche Sekretärin für ihren Vater Kim Jong Il.

Den damaligen Führer beeindruckte sie laut einem Bericht der Zeitung Joong Ang Ilbo mit ihrem politischen Talent so sehr, dass er ihr sagte, wenn sie ein Mann wäre, würde er sie zu seiner Nachfolgerin machen. Nach dem Tod des Vaters Ende 2011 soll sie - ebenfalls als persönliche Sekretärin - ihrem Bruder geholfen haben, seine Macht zu konsolidieren. Ihre förmliche Karriere begann in der Abteilung der Arbeiterpartei für Propaganda und Agitation, die die öffentliche Darstellung ihres Bruders und seiner Politik organisiert. 2015 übernahm sie die Leitung.

Kim Yo Jong mit Südkoreas Präsident Moon (r.) und Nordkoreas Parlamentspräsident Kim Yong Nam beim Konzertbesuch 2018 in SeoulBild: Getty Images/AFP/KCNA

"Prinzessin mit der giftigen Zunge"

Auch der junge Führer scheint von den Fähigkeiten seiner Schwester überzeugt zu sein. Als seine Vertreterin reiste Kim Yo Jong zur Eröffnungszeremonie der Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang und zur Beerdigung der Frau von Südkoreas Ex-Präsident Kim Dae Jung. An den beiden Gipfeltreffen mit Präsident Donald Trump nahm sie jeweils an der Seite ihres Bruders teil. Deswegen jubelten Südkoreas Medien sie zu einer "Friedensbotschafterin" hoch.

Nach dem gescheiterten Hanoi-Gipfel kühlten die innerkoreanischen Beziehungen jedoch schnell ab. Im Juni 2020 sprengte Nordkorea das Liaison-Büro an der innerkoreanischen Grenze symbolisch in die Luft, weil der Süden die UN-Sanktionen gegen Nordkorea nicht aufgeben wollte. Auch kappte Pjöngjang die Hotlines wegen der Propagandaballons, die Aktivisten in Südkorea nach Norden fliegen ließen.

Dabei wandelte sich das Image von Kim Yo Jong von einer "Ikone der innerkoreanischen Beziehungen" zu einer "Prinzessin mit der giftigen Zunge", wie der japanische Nordkoreakenner Yoji Gomi schreibt. Die Schwester drohte Seoul zum Beispiel mit militärischen Maßnahmen wegen der Ballonflüge. Die US-Regierung von Präsident Joe Biden ermahnte sie zur Vorsicht, falls Washington nachts noch ruhig schlafen wolle. Kürzlich kritisierte sie Südkoreas Präsident Moon Jae In scharf, weil er einen Raketentest als "Provokation" bezeichnet hatte. Falls Moon Nordkorea weiter "verleumde", werde es eine "totale Blockade" der innerkoreanischen Beziehungen geben.

Das Foto zeigt Kim Yo Jong bei der Feier anlässlich des 70-jährigen Bestehens der herrschenden Arbeiterpartei 2015 hinter den nordkoreanischen Generälen und chinesischen StaatsgästenBild: picture-alliance/dpa/Yonhap/North Korean Central TV

Schwester stimmt Schalmeienklänge an

Doch vor einer Woche änderte Kim ihren Ton. Nordkorea könnte an einem weiteren innerkoreanischen Gipfeltreffen teilnehmen, das Liaison-Büro wiederaufbauen und das offizielle Ende des Koreakrieges erklären, falls der Süden seine "feindliche Politik" aufgebe, erklärte sie. Zuvor hatte sie Präsident Moons Vorschlag für eine solche Erklärung, den er vor der UN-Vollversammlung machte, als eine "interessante und gute Idee" bezeichnet. Ihre Schalmeienklänge sind ein untrügliches Signal dafür, dass das Kim-Regime die Beziehungen zum Süden verbessern will, solange Moon noch Präsident ist. Das Fenster dafür schließt sich bald. Moons Amtszeit endet im Mai 2022. Danach könnte ein Vertreter der konservativen, traditionell nordkoreakritischen Opposition ins Blaue Haus, das Präsidialamt von Seoul, einziehen.

Für die kommenden Monate zeichnet sich eine Arbeitsteilung zwischen den Geschwistern ab. Führer Kim Jong Un dürfte mit weiteren Waffentests und scharfer Rhetorik die USA unter Druck setzen, Zugeständnisse bei den Sanktionen zu machen. Währenddessen könnte Kim Yo Jong als neuerliche "Friedensbotschafterin" ein mögliches Gipfeltreffen von Moon und ihrem Bruder auszuhandeln versuchen. Das mutmaßliche Ziel: Für die Begegnung mit Kim soll Südkorea die Wirtschaftssanktionen lockern. Sollte der Schwester ein solcher Deal gelingen, hätte sie ihr erstes politisches Meisterstück abgeliefert.

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