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Nordmazedonien: Europas Spielball und ewiger EU-Kandidat

Thomas Brey
28. August 2023

Das Westbalkan-Land ist seit 2005 EU-Kandidat. Es wartet so lange wie niemand sonst auf den Beginn der Verhandlungen. Nach dem jahrelangen Namensstreit mit Griechenland stellt sich Bulgarien weiterhin quer.

Mazedonisches und EU-Fähnchen in einem Glas neben Blumen
In Wirklichkeit noch nicht zusammen: Die mazedonische und die EU-FahneBild: Government of North Macedonia

Nordmazedonien hat es schwer in und mit Europa. Erst wurde der Beginn von Verhandlungen über den EU-Beitritt durch den Nachbarn Griechenland verhindert. Nach über zweieinhalb Jahrzehnten Streits willigte Skopje in die Umbenennung seines bisherigen Staatsnamens Mazedonien ein. Das machte den Weg frei für die NATO-Mitgliedschaft, die im Jahr 2020 besiegelt wurde. Doch seit Längerem stellt sich auch Bulgarien bei der Annäherung an die EU quer. Der Nachbar will erzwingen, dass Nordmazedonien seine Geschichte im Sinne Sofias uminterpretiert. Außerdem behauptet Bulgarien, die mazedonische Sprache sei nicht eigenständig, sondern nur ein westbulgarischer Dialekt.

Und schließlich wird die Aufnahme der nur 3000 Menschen umfassenden bulgarischen Minderheit in die Verfassung Nordmazedoniens als "staatsbildende Nation" verlangt - im Gegenzug aber die Existenz einer mazedonischen Minderheit in Bulgarien bestritten. Auch Serbien ist nicht gut auf Nordmazedonien zu sprechen, weil es die frühere serbische Provinz Kosovo, inzwischen unabhängig, als selbstständigen Staat anerkannt hat.

Der mazedonische Premierminister Dimitar Kovacevski während eines feierlichen Empfangs in Skopje am 20.07.2022Bild: Government of North Macedonia

Aller Mutmach-Reden und Lippenbekenntnisse westlicher Politiker zum Trotz: Nordmazedonien ist weiterhin Spielball internationaler Politik - und es ist das EU-Kandidatenland, das so lange wie niemand sonst auf den Beginn von Beitrittsgesprächen wartet. Zwar markiert eine so genannte Beitrittskonferenz vom Juli 2022 den formalen Beginn von Verhandlungen. Echte Beitrittsgespräche, bei denen die Verhandlungskapitel eröffnet werden, sind es wegen der bulgarischen Blockade dennoch nicht.

Verfassungsänderung

Das Parlament in Skopje hat im August 2023 tagelang die Forderung Bulgariens debattiert, die kleine bulgarische Minderheit in der mazedonischen Verfassung nominell zu erwähnen. Weil die Opposition das verweigert, konnte bisher die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit nicht gesichert werden. Denn die Opposition behauptet, es gehe nicht nur um die Verfassung, sondern um das Schreiben neuer Schulbücher sowie um die Infragestellung der eigenen Sprache, Nation, Identität und Geschichte. Bulgarien wolle am Ende Nordmazedonien auf die eine oder andere Weise dominieren. Die Entscheidung der Parlamentarier über die Verfassungsänderung ist deshalb erst einmal verschoben.

Der mazedonische Oppositionsführer und Vorsitzende der Partei VMRO-DPMNE, Hristijan Mickoski Bild: Petr Stojanovski/DW

Der Oppositionsführer und Chef der nationalkonservativen Partei VMRO-DPMNE, Hristijan Mickoski, geht inzwischen noch einen Schritt weiter. "Diese diktierten Verfassungsänderungen kann es nicht geben", sagte er am Montag (28.08.2023) der Belgrader Zeitung Politika - und: "Jetzt sind Wahlen die einzige Option, die bleibt." Die Wähler müssten über die Änderung der Verfassung entscheiden. Demgegenüber hat das populäre Portal A1on darauf hingewiesen, dass die Regierung eine Abstimmung im Parlament mit Hilfe der Geschäftsordnung theoretisch bis zum Ende ihrer regulären Amtszeit im Sommer 2024 hinauszögern könnte. Möglicherweise hofft die Regierung, bis dahin die acht fehlenden Abgeordneten aus der Opposition für die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit loseisen zu können. Was diese Parlamentarier im Gegenzug bekommen könnten, bleibt im Dunkeln.

Exodus

Der innenpolitische Schwebezustand blockiert die eigentlich wichtigen Reformbaustellen und sorgt in breiten Teilen der Bevölkerung für Enttäuschung und Frustration. Die Zeitung Vecer erinnerte vor wenigen Tagen daran, dass eine Änderung der Verfassung zugunsten der bulgarischen Minderheit nicht das wichtigste Thema sei: "Das erste nationale Interesse ist ein Land mit einer starken Wirtschaft, wenig Korruption, einer guten Gesundheitsversorgung, mit Bildung und einem guten Rechtsstaat." Doch statt diese Themen anzugehen, werfen sich die Regierungs- und Oppositionsparteien gegenseitig vor, das Land durch Korruption, Medienzensur und Justizkontrolle abgewirtschaftet zu haben.

Rentner protestieren wegen zu niedriger Pensionen in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje am 14.08.2023Bild: Petr Stojanovski/DW

Insgesamt hat sich unter der Bevölkerung in Nordmazedonien ein Gefühl völliger Stagnation und großer Hilflosigkeit breit gemacht. Von der einheimischen Politik sprechen die meisten nur noch mit abgrundtiefer Verachtung. Auch hat kaum noch jemand eine gute Meinung zur Europäischen Union oder erwartet irgendetwas Positives aus Brüssel. Wer kann, sucht sich einen Job im Ausland. Der Exodus aus Nordmazedonien ist massiv, die Bevölkerung schrumpfte in den vergangenen Jahren um zehn Prozent auf rund 1,8 Millionen.

Keine zeitnahe Lösung

Warum aber hat sich in Bulgarien ein breites Parteienspektrum auf den kleinen Nachbarn Nordmazedonien eingeschossen? Offenbar ist das der fragilen innenpolitischen Lage geschuldet. In den vergangenen zwei Jahren gab es in Bulgarien nicht weniger als fünf Parlamentswahlen. Nach der jüngsten vom April 2023 steht die aktuelle Regierungskoalition wieder einmal auf wackeligen Beinen. Ihr gehören zwei eigentlich unvereinbare Partner an: die konservative GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) des Ex-Premiers Bojko Borissow, der für zahlreiche Korruptionsaffären verantwortlich gemacht wird, und das liberale Reform- und Antikorruptionsbündnis "Wir setzen den Wandel fort" (PP).

Nur die Aufteilung der Macht zwischen den beiden konträren Parteien hat eine Regierung ermöglicht. Zunächst stellt die eine Seite den Ministerpräsidenten, dann folgt eine Regierungschefin der Gegenseite. Bei so viel politischer Zerbrechlichkeit kommt den meisten Politikern ein gemeinsames nationales Großthema in Form von Nordmazedonien gerade recht. Einen Präzedenzfall gab es schon: Als der ehemalige Premier Kiril Petkow von der Partei PP vor anderthalb Jahren auf Nordmazedonien zugehen wollte, wurde er von anderen Parteien und vom Staatspräsidenten Rumen Radew ausgebremst.

Versuchte ein Annäherung mit Nordmazedonien: Der bulgarische Premier Kiril Petkow (li.) am 18.01.2022 in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje mit seinem Amtskollegen Dimitar KovacevskiBild: Reg. Nordmazedonien

Während die allermeisten ausländischen Juristen und Historiker sich auf die Seite Nordmazedoniens stellen, will die EU erzwingen, dass die Verfassung im Sinne ihres Mitglieds Bulgarien geändert wird. Auch der US-Balkan-Sondergesandte Gabriel Escobar hat bei seinem Besuch in Skopje gerade noch einmal klar gemacht, dass Bulgarien über die Verfassungsänderung hinaus keine neuen Forderungen erheben werde. Das habe ihm die bulgarische Außenministerin und zukünftige Regierungschefin Marija Gabriel versichert.

Dennoch sieht es nicht nach einer zeitnahen Lösung der Blockade aus. Selbst wenn Nordmazedonien die innenpolitischen Streitigkeiten um die Verfassungsänderung löst, ist ungewiss, ob der schwer berechenbare Nachbar Bulgarien seine Haltung aufgibt. Das würde nicht nur Nordmazedonien in eine immer tiefere Krise stürzen - es würde auch der EU den Rest ihrer ohnehin nur noch geringen Glaubwürdigkeit in der Region nehmen. Die Folge könnten neue gefährliche Spannungen in dieser Gegend Europas sein.