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Norwegen setzt Pläne zum Tiefseebergbau in der Arktis aus

2. Dezember 2024

Norwegen hat die Lizensierung für den Metall-Abbau in der arktischen Tiefsee vorübergehend gestoppt. Ein Prozess des WWF gegen den Staat geht derweil weiter. Kritiker warnen vor Gefahren für sensible Meeresökosysteme.

Ein Schwertwal schwimmt im Meer in Nordnorwegen, die Schwanzflosse ist über Wasser sichtbar
Viele Walarten leben in arktischen Gewässern. Lärm unter Wasser stört ihre KommunikationBild: Audun Rikardsen/eurekalert/dpa

Eine kleine Umweltpartei in Norwegen hat die Pläne des Landes gestoppt, ab 2025 Genehmigungen für den Tiefseebergbau zu erteilen. Die linke SV-Partei hatte von der Regierung gefordert, die Ausgabe erster Erkundungslizenzen vorerst zu streichen und unterstützt im Gegenzug den Haushalt für 2025. 

"Dies wird nur ein Aufschub sein", sagte Ministerpräsident Jonas Gahr Stoere (Arbeitspartei) dem Privatsender TV2. Die Regierung teilte mit, die Vorbereitungsarbeiten würden weiter fortgesetzt, einschließlich der Schaffung von Vorschriften und der Kartierung der Umweltauswirkungen.

Karoline Andaur, Geschäftsführerin des WWF-Norwegen, nannte die Aussetzung in einer Presseerklärung "einen großen und wichtigen Sieg für die Umwelt".

Internationale Wissenschaftler, Umweltgruppen wie Greenpeace  und WWF, die Fischereiindustrie und die Europäische Union kritisieren die norwegischen Abbau-Pläne für die Tiefsee. Sie warnen vor dauerhaften Schäden an den empfindlichen Ökosystemen des Arktischen Ozeans. 

Keine Umweltdaten für 99 Prozent des arktischen Meeresbodens

Der WWF hat die norwegische Regierung verklagt. Die Begründung: Die Folgenabschätzung, die der Gesetzgeber für seine Entscheidung herangezogen hat, enthalte nicht genügend Informationen, um die Auswirkungen des Bergbaus auf die Meeresumwelt zu bewerten. Das hatte auch die norwegische Umweltbehörde bemängelt. Der Prozess läuft derzeit vor dem Bezirksgericht in Oslo.

"In der Umweltverträglichkeitserklärung sagt die Regierung, dass es für 99 Prozent dieses Gebiets keine Umweltdaten gibt", so Kaja Loenne Fjaertoft, Meeresbiologin beim WWF Norwegen zur DW.  

Das vorgesehene Unterwasserbergbaugebiet liegt nördlich des Polarkreises zwischen der Inselgruppe Svalbard und Grönland. Es umfasst 280.000 Quadratkilometer des norwegischen Kontinentalschelfs.

Tektonische und vulkanische Aktivitäten haben entlang des mittelatlantischen Rückens steile Täler und hohe Unterwasserberge geschaffen. Und genau hier, zwischen 700 und 4.000 Metern unter der Meeresoberfläche, will die Bergbauindustrie nach Mineralien wie Kupfer, Kobalt, Zink und seltenen Erden suchen, die in Sulfidlagerstätten und Mangankrusten enthalten sind. 
 
Die Materialien sind für die grüne Energiewende und Technologien wie Batterien, Windturbinen, Computer und Mobiltelefone von entscheidender Bedeutung - und um die Abhängigkeit von ausländischen Mächten zu verringern. 

"In Anbetracht der geopolitischen Entwicklungen ist es wichtig, die strategische Kontrolle über die Ressourcen zu behalten und sicherzustellen, dass die Mineralien aus Ländern mit demokratischen Regierungen stammen", so Astrid Bergmal, Staatssekretärin im norwegischen Energieministerium, zur DW.   

Viele Arten kommen nur im arktischen Meer vor. Löwenmähnen-Quallen etwa leben rund um die Spitzbergen-Inselgruppe, ihre Tenatakel können viele Meter lang werdenBild: © Solvin Zankl / Greenpeace

Gefährdetes Meeresleben in der Arktis

Für Wissenschaftler ist die Region nicht nur eine Quelle unerschlossener Mineralien, sondern auch ein "weitgehend unerforschter biologischer Schatz", sagt Andaur.

Im Wasser über dem vorgesehenen Abbaugebiet leben viele Meerestiere, darunter Fische, Kraken, Krebstiere, Garnelen und Walarten. Auf dem Meeresboden, besonders in der Umgebung von Vulkanschloten, gibt es trotz des fehlenden Lichts eine reiche Artenvielfalt, die von Bakterien bis zu größeren Pflanzen und Tieren reicht.

Ein mögliches Problem beim Tiefsee-Bergbau wäre Lärm unter Wasser, der "bis zu 500 Kilometer weit hörbar sein kann" und die Kommunikation der Meeresbewohner stört, so Fjaertoft. Ein weiteres Problem: Beim Abbau könnten Sedimentfahnen entstehen, die sich über Hunderte von Kilometern ausbreiten und die Gesundheit von empfindlichen Lebewesen wie etwa Schwämmen beeinträchtigen können.  

Meeresbiologen gehen davon aus, dass weitere zehn Jahre Forschung in dieser abgelegenen Zone nötig sind, um die Ökosysteme und mögliche Probleme genauer zu erfassen. Andernfalls könnten Arten aussterben, "bevor sie überhaupt beschrieben wurden", erklärt Fjaertoft.

Umweltschützer wie Greenpeace protestieren gegen den Tiefseebergbau in NorwegenBild: Greenpeace/Bianca Vitale

Können Auswirkungen des Bergbaus verringert werden? 

Stale Monstad ist CEO von Green Minerals, einem der Bergbauunternehmen, die zu den ersten gehören wollen, die metallreiche Sulfidvorkommen am norwegischen Meeresboden abbauen wollen. Er versichert der DW, dass sein Bergbauunternehmen sehr darauf achten wird, die Schädigung der Meeresökosysteme zu minimieren. Und dass sie "sicherstellen werden, dass sie sich von den aktiven hydrothermalen Schloten fernhalten, wo sich das meiste Unterwasserleben konzentriert“.

Der Fokus der Firma liegt auf Sulfidlagerstätten, die sich um inaktive Schlote gebildet haben. Seiner Einschätzung nach würden die potenziellen Abbaugebiete keine riesigen Flächen des Meeresbodens umfassen, sondern sich auf einzelne Gebiete mit jeweils einigen hundert Metern im Durchmesser und vielleicht hundert Meter Tiefe beschränken.

Monstads Unternehmen will Meeresbiologen zur Erkundung mitnehmen und "gleichzeitig biologische und geologische Forschung betreiben". Und: "Wenn sich herausstellt, dass es nicht auf eine gute Art und Weise gemacht werden kann, werde ich es nicht tun," so der CEO.

Die norwegische Regierung teilte der DW mit, das Land werde eine "schrittweise und verantwortungsbewusste Entwicklung der mineralischen Aktivitäten am Meeresboden" anstreben und "hohe Standards für die Umwelt und die Sicherheit" einhalten, so Energie-Staatssekretärin Bergmal. Fjaertoft stellt jedoch die Behauptung in Frage, dass Tiefseebergbau auf nachhaltige und verantwortungsvolle Weise betrieben werden kann. 

Der Abbau in der Tiefsee vor Norwegen könnte schon 2030 starten, das hoffen die BergbaufirmenBild: Solvin Zankl/Greenpeace

Niemand will Bergbau im eigenen Hinterhof

Wie andere Bergbau-Start-ups wurde auch Monstads Unternehmen von Leuten gegründet, die früher in der Gas- und Ölindustrie tätig waren. Er selber, so sagt er, habe den Sektor der fossilen Brennstoffe verlassen, weil er Teil der grünen Transformation sein wollte.

Er findet es paradox, dass die Nachfrage nach Mineralien aufgrund der zunehmenden Elektrifizierung durch erneuerbare Energien steigt - und gleichzeitig "will niemand Bergbau in seinem eigenen Hinterhof".

Der ausgebildete Geologe sagt, dass alle Metalle in der Tiefsee auch an Land vorkommen. Doch wegen strenger Umweltvorschriften, Landrechten und infrastrukturellen Herausforderungen sei es immer schwieriger geworden, sie dort abzubauen. 

"An Land dauert es etwa 17 Jahre, bis ein neues Bergbauprojekt in Angriff genommen wird", so Monstad. In der Tiefsee könnte es schneller gehen. Green Minerals will nach Erhalt einer Explorationslizenz mit ersten Probebohrungen beginnen. Der Abbau könnte schon 2030 starten. 

In Skandinavien gab es früher viele hochgradige Erzminen, doch diese sind inzwischen weit weniger ertragreich. Heute wird in der größten schwedischen Mine zwar noch Erz gefördert, doch der Kupfergehalt im Gestein ist mit 0,16 Prozent nur noch gering. In den großen Lagerstätten etwa in Chile, Indonesien und Nordamerika liegt der Anteil meist zwischen 0,2 und 0,5 Prozent. 

Die norwegische Regierung schätzt, dass die Sulfiderzvorkommen auf dem norwegischen Meeresgrund etwa vier bis sechs Prozent Kupfer enthalten - in einigen Proben sogar mehr - sowie drei Prozent Zink und knapp ein Prozent Kobalt.

Doch Wissenschaftler haben darauf hingewiesen, dass die wenigen bisher entnommenen Proben nicht ausreichten, um Annahmen über das riesige vorgesehene Abbaugebiet zu treffen. 

Umweltschützer und mehr als 30 Staaten fordern mehr Tiefsee-Forschung, um mögliche Auswirkungen auf die Meereswelt besser zu erforschen, ehe sie irreversibel zerstört wird.Bild: Will West/The Nippon Foundation/Nekton/Ocean Census via AP Images

Atempause beim Wettlauf zum Meeresboden

Während die norwegische Regierung argumentiert, die Mineralien des Meeresbodens seien von geostrategischer Bedeutung, haben Umweltgruppen errechnet, dass sie in Zukunft vielleicht gar nicht benötigt werden.

Ein aktueller Greenpeace-Bericht weist darauf hin, dass Hersteller beispielsweise zunehmend von Kobalt und Nickel als Komponenten für Batterien abrücken. Und dass der Abbau von Metallen durch effektives Recycling reduziert werden könnte.

Die Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) der Vereinten Nationen, die für die Meeresbodengebiete zuständig ist, die nicht zu nationalen Territorien gehören, arbeitet seit Jahren an Regeln für den Tiefseebergbau. Diese sind jedoch noch nicht vollständig. Bisher hat die ISA eine Reihe von Explorationslizenzen in verschiedenen Tiefseeregionen erteilt, unter anderem im Pazifik. Einige Länder, darunter China, Russland und Japan möchten mit dem Abbau so bald wie möglich beginnen.

Inzwischen fordern 32 Länder eine vorsorgliche Pause oder ein Moratorium für den internationalen Tiefseebergbau, um mehr Forschung zu ermöglichen. Und mehr als 50 internationale Unternehmen, darunter Apple, Google, Microsoft und BMW, haben erklärt, dass sie keine Komponenten aus dem Tiefseebergbau beziehen werden.

Während die für 2025 geplante Genehmigungsrunde nun pausiert, finden in Norwegen im September nächsten Jahres Parlamentswahlen statt. Die in den Umfragen führenden Parteien Konservative und Progess sind für den Tiefseebergbau.

Die durch die Minderheitspartei SV erzwungene Pause beim Lizensierungsverfahren "gibt dem nächsten Storting (Parlament) die Chance, den übereilten Prozess zu stoppen“, hofft Karoline Andaur vom WWF.

In der Zwischenzeit geht das Gerichtsverfahren in Oslo weiter, der WWF rechnet im Januar mit einem Urteil. Je nach Ausgang des Verfahrens haben beide Seiten bereits erklärt, dass sie bereit sind, in Berufung zu gehen.

Redaktion: Tamsin Walker, Jennifer Collins

Dieser Artikel vom 29.11.2024 wurde am 02.12.2024 aktualisiert, nachdem die norwegische Regierung beschlossen hatte, die Lizenzvergabe vorübergehend auszusetzen.

Anke Rasper Anke ist koordinierende Redakteurin, Autorin und Moderatorin in der DW Umweltredaktion.
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