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Notstand in den Heimen

20. Oktober 2011

Deutschland altert, immer mehr Menschen brauchen Pflege. Die Politik fördert mit einem neuen Gesetz die Versorgung durch Angehörige, doch vielen bleibt nur das Heim. Dort aber wächst den Profis die Arbeit über den Kopf.

Pflegekraft hebt alte Frau vom Rollstuhl ins Bett (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Diana Andrzejewski sitzt mit mehreren alten Menschen im Aufenthaltsraum von St. Konrad in Berlin, einem Seniorenzentrum des Katholischen Wohlfahrtsverbandes Caritas. Der Fernseher läuft, aber Diana Andrzejewski nutzt die Zeit am Vormittag, um einige der Bewohner mit einem Konzentrationsspiel herauszufordern. Die gelernte Altenpflegerin hat sich einen Beruf ausgesucht, der in Deutschland als denkbar unattraktiv gilt. Diana Andrzejewski aber liebt ihre Arbeit. "Ich bin so reingeschlittert", erzählt sie. "Über ein Sozialprojekt bin ich in ein Seniorenheim gekommen und habe gedacht, o.k, das ist jetzt meine Berufung."

Feilschen um Altenpflege-Absolventen

Menschen mit ihrer Einstellung sind inzwischen so rar, dass die Träger der Häuser um die Absolventen der dreijährigen Ausbildung regelrecht feilschen. Ein paar Zimmer weiter zerbricht sich Heimleiterin Christiane Sievert in ihrem Büro regelmäßig den Kopf, wie sie Personallücken ausfüllen kann. "Es ist geradezu aussichtslos. Viele Träger stehen vor den Altenpflegeschulen Schlange und bieten Gehälter, die wir nicht zahlen können."
 
Schulabgänger machen einen großen Bogen um Pflegeberufe. Schichtdienst, arbeiten in chronisch unterbesetzten Teams, miese Bezahlung. Das ist das Image, das den Pflegeberufen anhaftet. Nach drei Jahren Ausbildung bekommen Altenpfleger durchschnittlich 2200 Euro brutto. Wer wenig verdient, wird automatisch als gering qualifiziert abgestempelt. Jugendliche sagen dankend nein. Dabei versuchen viele Häuser offensiv zu werben. Auch mit Aufstiegschancen, die es in der Pflege durchaus gibt.

Schlechte Bezahlung, schlechtes Image, harte Arbeit: Pflegekräfte in DeutschlandBild: AP

Drohender Pflegenotstand lange bekannt

Seit den neunziger Jahren, erinnert sich Christiane Sievert, sind Ausbildungsplätze abgebaut worden. Und dann blieben nach und nach auch Bewerber aus. Das Problem sei seit Jahrzehnten bekannt, stellt Andreas Westerfellhaus vom Deutschen Pflegerat fest, einer Arbeitsgemeinschaft deutscher Pflegeverbände. "Die Politik hat das verschlafen", kritisiert er. "Wir haben sehr früh von einem Ärztemangel gesprochen, aber vollkommen ausgeblendet, dass es ähnlich große und vielleicht noch viel größeren Mangel an Pflegekräften gibt."

Westerfellhaus weiß von Häusern, die mittlerweise bis zu 5000 Euro zahlen, wenn ein Mitarbeiter einen weiteren Mitarbeiter in die Einrichtung bringt. Kopfprämien, damit Alte und Kranke gepflegt werden können. Er sieht schon jetzt einen Pflegenotstand in Deutschland, aber künftig werde die Zahl der pflegebedürftigen Alten noch dramatisch ansteigen. Allein aufgrund der typischen Alterserkrankungen wie Demenz, schätzen die Verbände, werden schon in zehn Jahren zusätzlich 300.000 Mitarbeiter gebraucht.

Der Pflegerat ist sich sicher: Die Deutschen müssen künftig mehr zahlen, wollen sie im Alter würdevoll versorgt werden. Vor allem für die Ausbildung müsse jetzt schleunigst mehr Geld in die Hand genommen werden, fordert Andreas Westerfellhaus.


Pflegeverbände: Zuwanderung nicht die Lösung


Viele Pflegeorganisationen und auch die Politik setzen auf Zuwanderer, vor allem aus den asiatischen Ländern. Arbeitsministerin Ursula von der Leyen will die Hürden für qualifiziertes Personal aus dem Ausland niedriger legen. Doch Andreas Westerfellhaus bezweifelt, dass das allein der richtige Weg ist. Andere EU-Staaten und asiatische Länder hätten schließlich das gleiche Problem. "Nicht umsonst haben wir als Pflegeverbände einen Ethikkodex unterzeichnet, in dem wir auf Abwerbung aus anderen Ländern deshalb verzichten, damit wir nicht Versorgungslücken in anderen Ländern reißen."

Außerdem zeige sich: Deutschland sei nicht gerade erste Wahl für ausgebildete Altenpfleger. In den skandinavischen Ländern sei die Bezahlung besser und der Beruf genieße dort weitaus mehr Anerkennung. Auch Polen sorge derzeit dafür, dass Pflegeberufe attraktiver werden.

Männliche Pfleger fehlen besondersBild: AP

Arbeiten am Limit

 
Höhere Gehälter in Deutschland, glaubt Heimleiterin Christiane Sievert, könnten auch dafür sorgen, dass Frauen in Pflegeberufen nicht unter sich bleiben. "Männer gehen nur in Berufe, in denen sie auch eine Familie ernähren können", das ist ihre Erfahrung. Doch männliche Pfleger würden dringend gebraucht, weil auch der Anteil an männlichen Heimbewohnern in den vergangenen Jahren von 10 auf 50 Prozent gestiegen ist.

Die Beschäftigten in den Pflegeberufen wünschen neben attraktiveren Gehälter gesellschaftliche Anerkennung und mehr Freiraum für die Arbeit mit den alten Menschen. Ilona Langkeit leitet die Tagespflege in St. Konrad. Der Druck in ihrem Beruf, erzählt sie, sei auch deshalb so groß, weil das Gesundheitssystem ihr immer mehr Bürokratie abverlange. Alles müsse dokumentiert werden. Wenn dann noch Personal fehlt, mache sie eben unbezahlte Überstunden. "Wer hier Schwester mit Leib und Seele ist, der kümmert sich um den Menschen und macht seine Dokumentation dann, wenn er eigentlich Feierabend hat. Da kann man zehn Mal sagen, man möchte seinen Tag strukturieren."


Viele ihrer Mitarbeiterinnen arbeiten am Limit, bestätigt Heimleiterin Christiane Sievert. Und in keiner anderen Branche ist Zahl derer, die den Beruf hinschmeißen, so hoch wie im Pflegebereich. Träger und Beschäftigte setzen auf eine politische Reform des Pflegegesetzes. Der Deutsche Pflegerat glaubt aber auch, dass die immerhin 1,2 Millionen Beschäftigten in der Kranken- und Altenpflege sich gewerkschaftlich stärker organisieren sollten, um so nach dem Beispiel der Ärzte notfalls bessere Arbeitsbedingungen durchzudrücken.

Autorin: Doris Krannich

Redaktion: Peter Stützle

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