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Politik

Frauenhäuser am Limit

Helle Jeppesen
10. Dezember 2017

Jede dritte Frau weltweit erlebt Gewalt - auch in Deutschland. Häufig ist der Täter der eigene Partner oder Ehemann, Tatort das eigene Zuhause. Frauenhäuser bieten Zuflucht, doch die Plätze sind begrenzt.

Häusliche Gewalt gegen Frauen Serbien
Bild: DW/J. Dukic-Pejic

"Ich habe gespürt, dass während der Beziehung eine Leere in meiner Seele entstanden ist, dass er meine Seele geklaut und gegessen hat". Wiktoria (Name von der Redaktion geändert) ringt nach Worten um zu beschreiben, welche Wunden ihr erster Mann ihr zugefügt hat, psychisch und physisch. Er hat sie tagelang in der Wohnung eingesperrt, gedemütigt und kontrolliert. Dann bekommt sie zufällig einen Flyer in die Hand, mit Adressen von Hilfsangeboten für Gewaltopfer. Sie versteckt den Flyer und flieht, als die Wohnungstür einmal nicht abgeschlossen ist.

Nach der Trennung baut sich Wiktoria ein neues Leben auf. Sie geht eine neue Beziehung ein, der neue Mann ist liebevoll, kocht für sie. Wiktoria beginnt, das Abitur nachzuholen, wird schwanger - doch dann beginnt die Gewalt zu Hause  erneut. Tägliche Beschimpfungen, Erniedrigungen, auch körperliche Gewalt. Einmal versucht ihr Mann sie zu erwürgen. Sie stand kurz vor dem Selbstmord.

"Ich habe danach immer gedacht, das ist meine Schuld. Und ich habe immer die Fehler bei mir gesucht", erzählt die heute 28-jährige im DW-Gespräch.

Wiktoria lebt jetzt mit ihrem Sohn in einem Frauenhaus in Köln. Erst hier ist ihr klar geworden, dass sie ihre Erfahrungen mit vielen anderen Frauen teilt.

Jede dritte Frau weltweit erfährt in ihrem Leben psychische oder physische sexuelle Gewalt. Viele erleben Gewalt über Jahre hinweg. 

Die schleichende Gewalt

Auch für Paula (Name von der Redaktion geändert) aus Rumänien fing die Ehe mit ihrem zweiten Mann rosig an. Er lebte in Deutschland. Sie hatten sich über die Familie kennengelernt, man verstand sich auf Anhieb, und er sei so fromm gewesen, erinnert sich Paula.

Die heute 37-Jährige kündigte ihren Job als Erzieherin und zog mit ihrer Tochter aus erster Ehe nach Köln.

Doch nach ein paar Monaten veränderte sich ihr Mann. Er wurde immer aggressiver, beschimpfte Paula, und hetzte seine drei Töchter aus erster Ehe gegen sie auf. Einmal schaffte sie es auszuziehen, er bettelte, dass sie zurückzukommt. Paula ist zu der Zeit schwanger, lässt sich überreden, es noch einmal zu versuchen. Doch der Psychoterror fängt nach ein paar Monaten wieder an.

#JedenDrittenTag

Paula und Wiktoria haben Glück gehabt.

Vor allem: Sie haben überlebt. Allein in Deutschland wurde 2015 statistisch gesehen jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner umgebracht.

"Wenn wir diese Zahl sagen, denkt jede/r sofort an andere Länder. Aber Deutschland hat wie alle anderen Länder ein Gewaltproblem", erzählt Bettina Metz, Geschäftsführerin des nationalen Komitees von UN Women, der UN Frauenrechtsorganisation in Deutschland.

"Die neuesten Zahlen sind sogar noch erschreckender", erklärt Metz im DW-Interview und fügt hinzu: "Wir gehen ja bei dieser Zahl nur von Tötungsdelikten aus, der versuchte Mord und Totschlag ist hier gar nicht mitgezählt."

Unter dem Hashtag #JedenDrittenTag wurde deshalb eine Kampagne gestartet, um gegen die weltweite Gewalt gegen Frauen zu mobilisieren.

Nachdem zwei Frauen in Belgrad auf offener Straße von ihren Ehemännern ermordet wurden, versammelten sich Frauen in ganz Serbien, um gegen häusliche Gewalt zu demonstrieren.Bild: DW/J. Dukic-Pejic

"Es ist in allen Kulturen, in allen Gesellschaftsschichten verbreitet", so Metz. "Wir sehen es ja jetzt in der #MeToo Kampagne. Es gibt immer mehr Frauen, die sagen, ja, mir ist es auch passiert. Und ganz erstaunt sind, wie viel anderen das auch passiert ist und dass sie nicht die einzigen sind."

Gewalterfahrungen teilen

Wiktoria hat es sehr geholfen, sich mit anderen Frauen auszutauschen, und sich nicht mehr so allein zu fühlen. Dabei wollte sie zuerst gar nicht ins Frauenhaus: "Weil das Frauenhaus ist für Frauen, die richtige Gewalt erleben und nicht für mich. Ich bin nicht verprügelt worden, mein Gesicht sieht gut aus und ich habe keine blauen Flecken."

Doch die psychische Gewalt, die viele Frauen erleben, ist ebenso gefährlich wie körperliche Gewalt und hätte Wiktoria beinahe bis zum Selbstmord getrieben.  

Wiktoria und Paula haben Glück gehabt, in einem der beiden Kölner Frauenhäuser aufgenommen zu werden. Die Plätze sind rar, berichtet Hamila Vasiri, Mitarbeiterin des Vereins FrauenHelfenFrauen, die die beiden autonomen Frauenhäuser betreiben.

"Für eine Millionenstadt wie Köln haben wir insgesamt 20 Plätze. Im ersten Haus ist Platz für zehn Frauen mit zwölf Kindern. Im zweiten Haus für zehn Frauen mit vierzehn Kindern. Das ist für eine Stadt mit mehr als eine Million Einwohner sehr, sehr wenig."

Notstand in den Frauenhäusern

Auch die Finanzierung der rund 350 Frauenhäuser in Deutschland ist nicht immer einfach. Teils werden sie aus Spenden finanziert, teils mit den Tagessätzen, die Stadt oder Kommune für die Unterbringung der misshandelten Frauen bewilligen. Personal und Finanzierung sind überall knapp.

"Wir fordern eine flächendeckende, bundesweite Regelung zur Finanzierung von Frauenhäusern", so Metz vom nationalen UN Women Komittee. "Die Kommunen tun, was sie können, aber es muss einfach mehr vom Bund kommen."

Zwar finden viele Frauen Zuflucht bei Familie oder Freunden - oder schaffen es, eine neue Wohnung für sich und ihre Kinder zu finden. Doch das Risiko, dass der Ex-Partner die Adresse herausbekommt, ist groß. Die Frauenhäuser sind anonym, sie bieten Schutz vor weiterer Verfolgung.

Gewalt gegen Frauen ist ein weltweites Problem. Der Mangel an Frauenhäuser (Bild: Frauenhaus in Pakistan) ebenso. Bild: DW

Im Internet zeigt eineKarte, welches von den 62 Frauenhäusern im Bundesland Nordrhein-Westfalen noch Kapazitäten hat. Die meisten sind immer rot - denn besonders in den Großstädten sind fast immer alle Plätze belegt.

"Die Kölner Frauenhäuser sind über das ganze Jahr nur ein paar Stunden grün",  erzählt Hamila Vasiri vom Büro der autonomen Frauenhäuser in Köln. Im letzten Jahr haben sie über 700 Frauen wegen Platzmangel abweisen müssen.

Neuer Mut

Die meisten Frauen, die Schutz im Frauenhaus suchen, bleiben ein paar Wochen oder Monate. Paula ist jetzt seit siebeneinhalb Monaten hier. Kurz nach der Trennung von ihrem Mann und ihrer Ankunft hier merkte sie, dass sie wieder schwanger war - und rutsche in eine Depression.

Doch durch die Unterstützung der anderen Frauen und Mitarbeiter im Frauenhaus hat sie neuen Mut gefasst. "Ich bin nicht alleine, ich bin jetzt glücklich", sagt sie und erzählt, dass sie sich nun auf das dritte Kind freut. "Ich bin jetzt bereit alleine weiterzugehen. Ich spüre das!"

Wiktoria pflichtet ihr bei: Das Frauenhaus sei so etwas wie eine zweite Familie. "Die Stärke, die man hatte, um aus der Gewalt heraus zu kommen, das verbindet uns alle", erzählt sie. "Man unterstützt sich gegenseitig und baut diese schwache Seele auf, die durch die Gewalt fast zerstört war. Man baut das ganze kaputte Gerüst wieder auf."

 

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