"Parteienlandschaft ist in Bewegung"
15. Mai 2017Deutsche Welle: Herr Faas, das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) gilt als die Herzkammer der SPD. Woran hat es gelegen, dass sie ein so schlechtes Ergebnis eingefahren hat?
Thorsten Faas: Wenn wir die Wahl mit früheren Wahlen vergleichen, auch auf Landtagsebene, dann war die Regierung von Hannelore Kraft schlicht nicht beliebt genug - weder die persönlichen Werte der Ministerpräsidentin noch die Bewertung der Koalition haben als Rückenwind gereicht. Auch vom sogenannten "Schulz-Effekt" kam nicht genug. Mit Armin Laschet kam dann jemand, der sich auf der Zielgeraden als glaubwürdige Alternative präsentiert hat.
Martin Schulz hat im Vorfeld gesagt, wenn die SPD in NRW gewinne, dann würde er im Herbst Kanzler. Wie klug war das von der SPD, diese beiden Wahlen verbal so eng miteinander zu verknüpfen?
Man hatte natürlich gehofft, dass das Ergebnis ein anderes sein würde. Man hat geglaubt, dass es ein kluger Schachzug ist, man könne aus der Landtagswahl ableiten, wie die Bundestagswahl im Herbst ausgehen wird. Das hat nicht funktioniert. Insofern wird man sicherlich rückblickend sagen, dass das ein strategischer Fehler der SPD war. Die SPD von Schulz hat noch keine Landtagswahl gewonnen, jetzt muss man eine Geschichte erzählen, warum er im Herbst trotzdem eine Chance hat Angela Merkel nicht nur herauszufordern, sondern auch zu besiegen.
Das Verhältnis zwischen der SPD und ihrer klassischen Kernklientel, der Arbeiterschicht, ist brüchig geworden. Was läuft da schief?
Wenn man sich die Wahlanalysen des Sonntagsabends anschaut, dann sieht man, dass solche Wahlergebnisse gar nicht mehr so sehr in Sozialstrukturen verankert sind. Sie sehen eigentlich vergleichsweise geringe Unterschiede im Wahlverhalten bei Angestellten, Arbeitern, Selbstständigen. Die Frage, wo jemand beschäftigt ist und wie er lebt, ist gar nicht mehr so entscheidend für das Wahlverhalten – so wie das früher mal gewesen ist.
Das Verhältnis zwischen Arbeitern und SPD ist eine lange und auch wechselhafte Geschichte. Das hört die SPD zwar nicht gerne, aber dieser programmatische Einschnitt in der Sozialpolitik der Bundesrepublik, hat zu einer nachhaltigen Verstörung zwischen Arbeiterschaft und SPD geführt. Dazu kommt: Es gibt heute auch schlicht weniger Arbeiter als früher. Das heißt, selbst wenn die SPD eine Arbeiterpolitik in Reinform machen würde, dann würde das trotzdem nicht reichen, um eine Wahl zu gewinnen. Das schafft ein Dilemma: Die SPD braucht die Arbeiter als Basis, aber eben auch weitere Unterstützung, um mehrheitsfähig zu werden. Da hat die Partei noch keinen perfekten Mittelweg gefunden.
Die CDU hat offenbar viele Wähler auch noch zusätzlich mobilisiert. Haben sich die Wähler denn für Armin Laschet oder die CDU entschieden?
Es ist bemerkenswert, dass es der CDU gelingt von der gestiegenen Wahlbeteiligung stark zu profitieren. Das ist eher ungewöhnlich, weil man eigentlich immer dachte, dass linke Parteien wie SPD und "Die Linke" sehr sensibel auf eine steigende oder sinkende Wahlbeteiligung reagieren. Ansonsten hat man einen großen Strom von der SPD hin zur Union sehen können. Die Bevölkerung differenziert durchaus, wen sie an der Spitze einer Regierung sehen will. Armin Laschet kann aus dem Ergebnis durchaus ein Mandat für sich reklamieren.
Was hat Laschet denn mehr geholfen, dass er als Unterstützer Angela Merkels in den Wahlkampf zog oder dass er am Ende eigentlich eher als innenpolitischer Hardliner aufgetreten ist?
Das ist eine hochspannende Frage, denn das ist ein starker Gegensatz zu dem, was wir 2016 in Rheinland-Pfalz erlebt haben. Julia Klöckner (CDU) hatte eigentlich auch versucht, sich an die Seite hinter Angela Merkel zu stellen, sich dann aber in der Landtagswahl als Hardlinerin präsentiert. Das ist ihr letztlich auf die Füße gefallen, weil man gesagt hat, man wisse nicht mehr, wofür sie steht. Dass es bei Armin Laschet anders gelaufen ist, deutet vielleicht darauf hin, dass wir eine gewisse Akzentverschiebung erleben. Es ist nicht mehr so sehr die Flüchtlingskrise, wo Laschet deutlich hinter der Kanzlerin gestanden hat, sondern es geht um die Aspekte der inneren Sicherheit. Und mit einem härteren Kurs in diesen Fragen hat man die Menschen in NRW offenbar gewinnen können.
Wieso haben die Liberalen von der FDP einen solchen Zuwachs verzeichnen können?
Ich glaube schon, dass man ableiten kann, dass die FDP ein Sichtbarkeitsproblem hat und sie dieses Problem mit prominenten sichtbaren Kandidaten in den Griff kriegt. Das war in Schleswig-Holstein mit Wolfgang Kubicki und in NRW mit Christian Lindner der Fall. Lindner hatte ja zudem, den durchaus klugen Schachzug gewählt, zu sagen, dass er nach Berlin wolle. Und umso stärker er aus NRW komme, umso stärker könne er dann auch auf Bundesebene agieren. Dieses Mandat haben ihm Bürger NRWs gegeben. Ich würde trotzdem gleichzeitig jetzt nicht zu viel Sekt auf Seiten der FDP trinken. Es gab bei der NRW-Wahl auch eine bundesweite Umfrage, da lag die FDP bei sechs Prozent. Das ist immer noch verdammt nah an fünf Prozent dran. Mit dem tatsächlichen Wahlergebnis war das für die FDP ein toller Abend, aber überhaupt keine Garantie, dass man im Herbst mit Sicherheit in den Bundestag einziehen wird.
CDU und SPD können sich mit diesem Ergebnis von jeweils über 30 Prozent noch als Volksparteien behaupten. Bleibt die Parteienlandschaft in Deutschland vergleichsweise stabil?
Im historischen Vergleich sind die Ergebnisse von CDU und SPD eigentlich schlecht. Die Parteienlandschaft ist in in Bewegung. Da kommen wir automatisch auf die AfD zu sprechen. Sie ist eine zerstrittene Partei, erstmals in NRW angetreten, das Flüchtlingsthema ist derzeit nicht mehr so dominant und trotzdem hat sie deutlich über sieben Prozent erreicht. Das deutet darauf hin, dass da eine Basis ist, die von der AfD angesprochen wird, die nicht nur das Flüchtlingsthema als Motivationsschub braucht, um die Partei zu wählen. Was in der Summe dann durchaus die Schlussfolgerung zulässt, dass die Partei auch im Herbst eine sehr gute Chance hat, im nächsten Bundestag präsent zu sein. Und das ist, glaube ich, die eigentliche Verschiebung im Parteiensystem, die wir gerade erleben. Es macht eben auch die Koalitionsbildungsprozesse so schwierig, wenn wir mit der Linkspartei auf der einen Seite und der AfD auf der anderen Seite zwei Akteure haben, mit denen die anderen Parteien entweder gar nicht oder zumindest nur sehr ungerne koalieren wollen.
Den Wunsch nach einem echten politischen Wechsel bedient Laschet eigentlich aber auf Dauer noch nicht. Schließlich gehörte er stets eher dem gemäßigten, linken Flügel der CDU an. Was ist denn von ihm zu erwarten - egal in welcher Koalition?
Ich glaube zunächst einmal, dass für die CDU ein etwas gemäßigter nicht ganz so konservativer Kandidat eine notwendige Bedingung ist, um in NRW erfolgreich zu sein. Und dann wird er sich, glaube ich, sehr genau anschauen, wie es Jürgen Rüttgers ergangen ist, der 2005 CDU-Ministerpräsident von NRW wurde und dann aber nur fünf Jahre regierte. Er wird sich sehr genau anschauen, warum es Rüttgers damals nicht gelungen ist, daraus ein nachhaltiges CDU-Erfolgskonzept zu machen. Er sagt ja auch ganz bewusst, er werde nicht alles anders machen, sondern erstmal darauf Wert legen, das Land einfach besser zu regieren.
Thorsten Faas ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Wahlforscher. Er ist Universitätsprofessor am Institut für Politikwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.