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Politik

Schuld von KZ-Helfern schwer nachweisbar

22. August 2018

Die Abschiebung des früheren KZ-Aufsehers Palij nach Deutschland rückt die Verfolgung von SS-Verbrechern in den Fokus. Doch Chefaufklärer Jens Rommel spricht im DW-Interview von einer schwierigen Beweislage.

SS Lager-Aufseher Jakiv Palij
SS-Reichsführer Heinrich Himmler begrüßt neue Wachen im Lager Trawniki, in dem auch Jakiv Palij Aufseher warBild: picture-alliance/AP Photo

Die USA haben den ehemaligen KZ-Wächter Jakiv Palij (95) am Dienstag nach Deutschland abgeschoben. Er wurde mit einem Krankentransport in eine Altenpflegeeinrichtung im Münsterland gebracht. Palij wurde 1923 in Pjadyky geboren. Der Ort gehörte damals zum Staatsgebiet von Polen, liegt heute jedoch in der Ukraine. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war Palij polnischer Staatsbürger, heute ist er staatenlos.

Er war 1941 im Zwangsarbeiter- und Ausbildungslager Trawniki in der Nähe von Lublin im Osten Polens zum Helfershelfer der SS ausgebildet worden. Er soll in am Massenmord an 6000 Juden beteiligt gewesen sein. Nach dem Krieg wanderte Palij in die USA aus und gab bei der Einreise an, ein einfacher Bauer gewesen zu sein. 

Als Jahrzehnte später seine SS-Mitgliedschaft ans Licht kam, entzogen ihm die USA die Staatsbürgerschaft. Seit 2005 versuchten sie, ihn abzuschieben. Deutschland hatte sich jahrelang geweigert ihn aufzunehmen, weil Palij kein deutscher Staatsbürger ist. Er selbst behauptet, dass er zum Dienst in den SS-Hilfstruppen gezwungen worden sei. Der deutsche Außenminister Heiko Maas sagte dazu: "Wir stellen uns der moralischen Verpflichtung Deutschlands, in dessen Namen unter den Nazis schlimmstes Unrecht getan wurde."

Über den Fall Palij und die allgemeinen Ermittlungen sprach die DW mit dem Leiter der Zentralstelle für die Verfolgung von NS-Verbrechen, Jens Rommel.

DW: Herr Rommel, seit 2005 hatten die US-Behörden versucht, Palij abzuschieben. Doch Berlin wies 14 Jahre lang jedes Gesuch aus Washington ab, weil er kein deutscher Staatsbürger ist. Warum der Gesinnungswandel, warum erst jetzt?

Rommel: Dazu kann ich von strafrechtlicher Seite nur sagen, dass die Überstellung nicht auf Wunsch der deutschen Justiz erfolgt. Es gab also keinen deutschen Haftbefehl mit dem Wunsch nach Auslieferung, sondern das war ein Wunsch der US-Regierung, dem nun die Bundesregierung nachgekommen ist.

Vor seiner Abschiebung lebte Jakov Palij in New York. Das Foto ist von 2013Bild: picture-alliance/AP Photo/S. DeChillo

Die Bundesregierung will mit der Aufnahme Palijs ein klares Zeichen setzen und spricht von der moralischen Verantwortung Deutschlands. Wird  dieser Verantwortung im Falle Palijs tatsächlich entsprochen?

Für uns als zentrale Stelle geht es um die juristische Verantwortung. Das heißt, unser Maßstab ist das Strafgesetzbuch und wir müssen nachweisen, dass eine Person eigenhändig einen Mord begangen hat oder durch seine Handlungen, durch seinen Dienst die Morde der Nationalsozialisten unterstützt hat. Und das ist eben der Maßstab, an dem wir auch diesen Fall zu messen haben.

Und genau das scheint sehr schwierig zu sein. Denn ob es in diesem Fall zu einer Anklage kommt, scheint derzeit fraglich zu sein. Die Staatsanwaltschaft Würzburg hatte 2015 Ermittlungen gegen ihn mangels Beweisen eingestellt und bisher sind keinerlei Unterlagen gefunden worden, die seine Beteiligung an der Shoa nachweisen. Was kann man also von diesem Fall erwarten? Was ist Ihre Einschätzung?

Derzeit laufen in Deutschland keine Ermittlungen gegen ihn. Es gibt also auch keinen Haftbefehl. Und allein die Überstellung aus den USA ändert nichts an der Beweislage und an der Verdachtslage in Deutschland. Die Staatsanwaltschaft Würzburg könnte ihr Verfahren theoretisch wieder aufnehmen, wenn sie zu einer anderen Bewertung kommt. Aber dafür wären insbesondere Beweismittel notwendig, die die Person mit den einzelnen Verbrechen in Verbindung bringen. Und daran hat es bislang gefehlt.

Warum ist es so schwer, Beweise zu finden, die Palij und anderen Nazi-Helfern Beihilfe zum Mord nachweisen?

Chefaufklärer Jens RommelBild: picture-alliance/dpa/B. Weißbrod

Die Schwierigkeit besteht weniger darin, die Morde, die einzelnen Massaker, die Tätigkeiten in einem Lager an sich zu beschreiben, sondern die Verantwortung des Einzelnen zu bestimmen: Durch welche Handlung, durch welche Dienst-Ausübung, durch welche Funktion hat der Einzelne diese Morde erleichtert? Das ist das, was wir beweisen müssen. Und das ist bei mobilen Einheiten, in denen zum Teil diese Trawniki-Männer waren, äußerst schwierig. Wir wissen nicht genau, in welcher Einheit der Betroffene nach seiner Ausbildung im Lager eingesetzt war.

Welche Rolle spielen KZ-Wächter wie Palij und andere Mitglieder von Hilfstruppen wie die Trawniki-Männer in der SS und KZ-Maschinerie?

Trawniki war zunächst ein Lager für die Ausbildung dieser Hilfsmannschaften. Daneben war ein Zwangs-Arbeitslager und von dort wurden die Trawniki-Männer eingesetzt. Zum Teil in den Vernichtungslagern wie Treblinka oder Sobibor. Da kennen wir den Fall Demjanjuk*, der dort als Wachmann eingesetzt war. Da ist die Beweislage relativ klar, denn in diesem festen Lager, wo jeder angekommene Häftling sofort getötet werden sollte, hat jede Funktion diese Morde unterstützt.

Dementsprechend ist Demjanjuk auch verurteilt worden. Aber bei anderen Einheiten, die an verschiedenen Orten mit verschiedenen Aufgaben betraut waren, ist das deutlich schwieriger. Zum Teil haben die Trawniki-Männer auch nur Zwangsarbeiter bewacht und das allein ist noch keine Beihilfe zu einem Mord.

Es heißt, mutmaßlich sei mit Palij der letzte noch in den USA lebende SS-Scherge nach Deutschland abgeschoben worden. Wie schätzen Sie das weltweit ein? Weiß man von weiteren Nazis oder Helfern des Unrechtsregimes, die ihren Lebensabend bisher unbehelligt verbringen können?

Auch da müssen wir unsere Maßstäbe beachten. Solange wir keinen Verdacht oder gar dringenden Verdacht haben, dass jemand an einem Mord beteiligt war, bemüht sich Deutschland auch nicht um die Auslieferung der Personen. Deswegen ist es schwer zu sagen, ob es noch andere gibt, die wie jetzt im aktuellen Fall in anderen Staaten ausgebürgert wurden, aber möglicherweise doch nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.

Herr Rommel, Sie beschäftigen sich als Leiter der Zentralen Stelle seit Jahren mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Was haben Sie empfunden, als Sie von Abschiebung erfuhren?

Mir war der Zwiespalt sofort bewusst, dass es für die US-Regierung andere Maßstäbe gibt, als für die Strafverfolgung in Deutschland. Für die Amerikaner reicht es, dass er in der Einbürgerung gelogen hat, nämlich über seine Mitgliedschaft in der SS, seine Unterstützung der SS. Dass das aber für uns für ein Strafverfahren wegen Mordes nicht ausreichend sein wird. Das ist natürlich eine missliche Lage.

Gefangene im früheren Konzentrationslager Trawniki im besetzten Polen. Hier war Palij Aufseher Bild: picture-alliance/dpa/US Department of Justice

Was könnte passieren, wenn Palij keine Schuld nachweisbar wäre?

Dann passiert strafrechtlich gar nichts. Es gibt im Strafrecht den Grundsatz, dass jemand persönlich verantwortlich sein muss und nur dann kann er eben auch zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. Das müssen wir aushalten, dass es verschiedene Maßstäbe gibt: einmal das Aufenthalts-Verfahren in den USA und dann die hohen Anforderungen an eine Verurteilung wegen Mordes.

Dann würde Palij in Deutschland bleiben?

Die Ausländer-rechtlichen Fragen kann ich von Strafrechts-Seite nicht zuverlässig beantworten. Aber ich würde mich wundern, wenn ihn die USA zurück nähmen. Das wahrscheinlichste wäre - sollte es je zu einer Verurteilung kommen - dass er die Strafe in Deutschland zu verbüßen hätte.

Sollte es zu einer Verurteilung kommen - was könnte ihm dann als Höchststrafe drohen? Der Mann ist mittlerweile 95 Jahre alt.

Man muss noch mal sagen, es gibt derzeit keine Ermittlungen. Deswegen ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass es zu einer Verurteilung kommt. Der Strafrahmen für die Beihilfe zum Mord beginnt bei drei Jahren Freiheitsstrafe und reicht bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe.

Das Interview führte Ralf Bosen.

Oberstaatsanwalt Jens Rommel  (geboren 13. September 1972) leitet die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg seit Oktober 2015.

(* John Demjanjuk war ein ehemaliger KZ-Wächter und verurteilter NS-Kriegsverbrecher. Er war 2011 wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28.000 Juden zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Das Urteil wurde nicht rechtskräftig: Demjanjuk starb im Alter von 91 Jahren in einem oberbayerischen Pflegeheim, bevor über die von ihm und von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil eingelegte Revision entschieden war. Mit der gegen Demjanjuk verhängten Haftstrafe hatte das Landgericht München dennoch Justizgeschichte geschrieben. Denn erstmals wurde ein nichtdeutscher Wachmann eines NS-Todeslagers verurteilt - ohne konkreten Tatnachweis.)

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