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Politik

AfD und die NS-Bewältigung

Wolfgang Dick
27. Januar 2017

Der Thüringer Landtag hat Björn Höcke von der Gedenkstunde für die NS-Opfer ausgeschlossen. Der AfD-Landeschef hatte die Holocaust-Gedenkstätte als "Denkmal der Schande" bezeichnet. Welche Erinnerung will die Partei?

Deutschland PK Frauke Petry und Björn Höcke
Derzeit im Streit: Frauke Petry und Björn Höcke Bild: picture-alliance/dpa/R. Jensen

Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus im Thüringer Landtag. Nicht dabei: der Chef der AfD-Fraktion, Björn Höcke. Seine Anwesenheit würde als Provokation empfunden, hatte Landtagspräsident Christian Carius Höcke zuvor mitgeteilt. Höcke, der ebenso wie andere Abgeordnete der AfD-Fraktion erschienen war, habe das akzeptiert, sagte Carius zu Beginn der Feierstunde. 

Der Thüringer Landtag hatte für die Gedenkstunde auch Überlebende des Konzentrationslagers Buchenwald bei Weimar eingeladen, in das die Nationalsozialisten 250.000 Menschen verschleppt hatten. Auch von der Kranzniederlegung in der Gedenkstätte dort war Höcke schon am Donnerstag ausgeladen worden. Höcke wollte laut eines AfD-Sprechers jedoch trotzdem die Veranstaltung am Freitagnachmittag besuchen. Der AfD-Rechtsaußen sorgt damit auch bei den eigenen Parteifreunden für Unmut. Besonders provokant: Höckes Rede vergangene Woche in Dresden, in der er mit Blick auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin von einem "Denkmal der Schande" sprach.

"Dem Höcke sollte man mal vor den Kopf kloppen", sagt ein AfD-Mitglied um die 50. "Da hat er überzogen. Er ist überhaupt nicht in unserem Sinne", sagt eine AfD-Frau gleichen Alters und fügt hinzu: "Mit der Geschichte sollte weiter normal, offen und ehrlich umgegangen werden." Die Dame neben ihr: "Vergessen darf man das nicht, denn wiederholen soll sich sowas nicht noch einmal." Der AfD-Mann Kay Gottschalk bringt es auf den Punkt: "Es hat mich sehr geärgert. Als studierter Geschichtslehrer, der Höcke ist, sollte man wissen, wie man formuliert." 

Erlebt den Meinungsstreit: AfD Sprecher BleekerBild: DW/W.Dick

Lothar Bleeker, der Sprecher des AfD-Kreisverbandes Euskirchen bei Bonn, ist ebenfalls Geschichtslehrer und äußert sich so: "Bei Höcke sind Untertöne dabei, dass ich verstehe, dass man sich unwohl fühlt." Wenn die von Höcke geforderte 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur auf eine Ausblendung "dieser schlimmen Schattenseiten der deutschen Geschichte" hinauslaufe, dann gehe das gar nicht. Bleeker kritisiert aber auch deutlich die "Verengung der deutschen Geschichte auf die zwölf Jahre der Nazi-Zeit". Bleeker bringt damit zum Ausdruck, was beinahe alle der AfD-Mitglieder denken, die sich am Donnerstagabend eigentlich zu einer AfD-Veranstaltung über das Verhältnis zwischen Deutschland und den USA versammelt haben. Rund 130 Zuhörer im Alter zwischen 30 und 60 sind gekommen. Vor ihrem Versammlungsort demonstriert eine Handvoll Menschen der Euskirchener Fraktion der Linken. Weil mehr Protest angekündigt war, steht rund um die Stadthalle ein großes Polizeiaufgebot.

Polizeieinheiten vor der Stadthalle EuskirchenBild: DW/W.Dick

Mehr Patriotismus gefordert    

Mit dem Blick auf die Polizisten meint eine Frau: "Ich kann es gar nicht begreifen, wie schnell es gegangen ist, dass man hier in Deutschland nicht mehr sagen darf, was man denkt. Wir sind eine Generation, wir haben kein Verbrechen begangen." Damit spricht die Frau mittleren Alters etwas an, was immer wieder geäußert wird. Ein AfD-Mitglied formuliert es als Frage: "Was kann ich dafür, was irgendwelche Leute vor drei Generationen getan haben?" Ein anderer pflichtet ihm bei: "Wir haben diesen Krieg nicht mitgemacht." 

Damit wird immer deutlicher, dass der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke wohl etwas angesprochen hat, was trotz aller Kritik an ihm im Kern geteilt wird. Man möchte die "Selbstbeschädigung des deutschen Selbstwertgefühls", wie es viele formulieren, nicht länger hinnehmen. Warum, das bleibt unbeantwortet. "Das kann doch nicht immer so weitergehen", sagen viele der Befragten einfach nur. Ein Geschäftsmann erzählt von seinen Kontakten in Großbritannien, die nicht verstünden, warum die Deutschen sich immer so "rückwärtsgewandt" verhielten.

Ein anderer sagt, der jüdische deutsch-französische Publizist Alfred Grosser habe angeblich auch gefragt, warum die Deutschen so "bescheuert" seien und kein Nationalbewusstsein mehr hätten. Selbst die Kritik eines Deutschen an Israel sei statthaft. "Überall sind sie stolz auf ihr Land, nur wir nicht", beschwert sich ein AfD-Mann. Die Sorge, dass mit einer zurückgefahrenen Erinnerung an die Nazi-Greuel die Gefahr wieder steigen könnte, dass sich ähnliches wiederholt - besonders beim derzeitigen Aufstieg der Rechtspopulisten –, wird nicht geteilt. Eine Frau dazu: "Das Leben geht weiter und ändert sich. Dass sich das nochmal wiederholen sollte, so wie es immer dargestellt wird, ist unrealistisch."      

AfD-Veranstaltung in Euskirchen am 26. Januar Bild: DW/W.Dick

Irgendetwas stimmt nicht

Bekommen die Deutschen die Erinnerung an die Verbrechen der Nazi-Zeit aufgenötigt? Und kann man dazu nicht mehr anderer Meinung sein? "Diktatur", ruft einer dazu empört ins Mikrofon. Offenbar denken etliche AfD-Mitglieder so. AfD-Kreissprecher Bleeker berichtet vom Geigenlehrer seines Sohnes. Der habe als Russlanddeutscher in den 60er und 70er Jahren in Russland gelebt und sich dort nur von den Nachrichten der Deutschen Welle frei informieren können. "Der war überrascht über die Situation hier und sagt heute, jetzt gebe es wieder diese 'Nur-in-der-Küche-Gespräche', wie es damals bei ihm war." Über bestimmte Dinge könnte man wohl in Deutschland nicht mehr offen nachdenken.

Ein Mann mit Hut und gepflegtem Bart empfiehlt ausländische Medien als Informationsquelle: "Wir haben nur durch Zufall erfahren, dass es in Innsbruck zu Silvester auch Vorfälle gab wie in Köln mit Übergriffen von Ausländern auf Frauen." Er fragt dann: "Haben Sie davon irgendwas in der deutschen Presse gehört oder gesehen?" In Deutschland bekomme man solche Informationen nicht mehr, meint der Mann und vermutet, dass etwas nicht mehr stimme.

AfD-Anhänger und Mitglieder -mehrheitlich Menschen zwischen 40 und 60 JahrenBild: DW/W.Dick

Bedeutung der Meinungen

Natürlich ist bei dieser Abendveranstaltung unter AfD-Mitgliedern nur eine Momentaufnahme, eine Meinungsstichprobe möglich. Sie gilt nach Einschätzung von AfD-Sprecher Bleeker sicherlich auch mehrheitlich für die West-AfD. Aber selbst in Ostdeutschland verfüge Björn Höcke nur über Anhänger eines relativ kleinen Landesverbandes.

Viele der hier in Euskirchen geäußerten Gedanken und Meinungen würden so auch in der Ost-AfD geteilt. Das würde auch die deutliche Kritik an Höcke einschließen, wie sie auch AfD-Chefin Frauke Petry mehrfach geäußert hat.

Was den am Sonntag bevorstehenden nordrhein-westfälischen Landesparteitag der AfD in Oberhausen angeht, würde sich dort auch zeigen, dass die "patriotische Plattform", die einen störenden Einfluss gebildet habe und einst ein Viertel der Delegierten umfasste, "pulverisiert" sei. Bleeker: "Die gibt es nicht mehr." Frauke Petry schreibt dennoch von einer "gemeinsamen Sorge um die Partei".

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