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NS-Plakate: Kunstvolle Propaganda

29. November 2020

Hitler und Goebbels setzten auf Werbepsychologie, um ihre Terrorherrschaft zu zementieren. Das zeigt ein Bildband der Kunsthistorikerin Sylke Wunderlich.

Ausstellung "Jud Süß" - Propagandafilm im NS-Staat
Ausschnitt des Plakats für Veit Harlans antisemitischen Film "Jud Süß" aus dem Jahr 1940 Bild: Bernd Weißbrod/dpa/picture-alliance

"Ist die Propaganda, wie wir sie verstehen, nicht auch eine Art von Kunst?" Joseph Goebbels, Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, stellte diese rhetorisch gemeinte Frage im Juni 1935. Zu diesem Zeitpunkt waren die Nationalsozialisten schon fast zweieinhalb Jahre an der Macht und hatten das Fundament für ihre erst 1945 endende, in Weltkrieg und Holocaust mündende Terrorherrschaft längst gelegt. Mit Verboten, Einschüchterung, Mord und Totschlag.

Propaganda-Plakate als Waffe für Krieg und Heimatfront

Adolf Hitler rüstete im Eiltempo auf - militärisch und zivil. Für die Soldaten gab es neue Panzer, Flugzeuge und U-Boote. Für die Menschen an der Heimatfront die Wochenschau im Kino, den Volksempfänger zu Hause und Plakate an jeder Straßenecke. Der Bedeutung des Plakats ist jetzt die Kunsthistorikerin Sylke Wunderlich in ihrem mit über 200 Motiven bebilderten Buch "Propaganda des Terrors" auf den Grund gegangen. Durchaus ein Wagnis, weil es um zwei sehr unterschiedliche Sphären geht: Ideologie und Kunst.

Wahlplakate für die letzte Reichstagswahl im November 1933 (l.) und für die Reichspräsidentenwahl im März 1932 (r.)

"Ich denke, dass der künstlerische Duktus der Plakate wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Beeinflussung der Masse der Bevölkerung auch so gut gelungen ist", sagt die Autorin im DW-Interview. "Gut im Sinne der Politik der Nationalsozialisten." Dabei hatten die Nazis schon vor ihrer Machtübernahme 1933 keine Scheu, erfolgreiche Strategien der Sozialisten und Kommunisten zu kopieren. Auf Adolf Hitler zugeschnittene Plakate hätten mit dem Konterfei Rosa Luxemburgs oder Karl Liebknechts auch von der revolutionären Linken stammen können.

Ludwig Hohlwein war überzeugter Nazi

Gestaltet wurden sie von überzeugten Nazis wie dem erfolgreichen Grafiker und Architekten Ludwig Hohlwein, aber auch von Bauhaus-Schülern wie Herbert Bayer. Während Hohlwein nach dem Zweiten Weltkrieg vorübergehend Berufsverbot erhielt, emigrierte Bayer 1938 in die USA. Bis dahin entwarf er Plakate für das NS-Regime. Den Vorwurf, er habe sich zumindest vorübergehend von den Nazis vereinnahmen lassen, hält Sylke Wunderlich für zu kurz gegriffen. Freiberufliche Grafiker hätten auch an ihr eigenes "Durchkommen" denken müssen.

Neuer Volksempfänger: Propaganda-Minister Goebbels (Mitte) auf der Internationalen Funkausstellung (IFA) 1939 in Berlin Bild: akg-images/picture-alliance/dpa

Sie seien vielleicht sogar gezielt angesprochen worden - "wegen ihrer Modernität". Denn die Nationalsozialisten hätten sich in Abgrenzung zur Weimarer Republik als ein Staat zeigen wollen, "der modern ist, der neu ist, der anders ist." Deshalb sieht die Buchautorin auch keinen Widerspruch zwischen den oft modern anmutenden Plakat-Motiven zur völkisch-rassistischen Ideologie des Dritten Reiches: "Da waren Fotomontagen, klare Schriften, klare Bildsprache durchaus etwas, was man gut gefunden hat."

Ein Bauhaus-Schüler, der für das NS-Regime arbeitete

Herbert Bayer, zu dessen Lehrmeistern am Bauhaus Johannes Itten, Paul Klee und Wassily Kandinsky gehört hatten, fiel dann trotzdem in Ungnade: Einige seiner Werke landeten 1937 in der Schmäh-Ausstellung "Entartete Kunst". Das war der letzte Anstoß eines sich selbst als unpolitisch empfindenden Künstlers, dem Deutschen Reich den Rücken zu kehren. Bayers gebrochene Vita ist ein extremes Beispiel für die mitunter verblüffende Widersprüchlichkeit der Nazi-Kulturpolitik einerseits - und das opportunistisch anmutende Verhalten mancher Plakat-Künstler andererseits.

Antisemitisch-rassistisch wurde Jazz verpönt (l.) und im Bauhaus-Stil für die Ausstellung "Entartete Kunst" geworben (r.)

Da studierte einer am Bauhaus, leitete später sogar die Werkstatt für Druck und Reklame und ließ sich dann ab 1933 mit denen ein, die das Bauhaus immer bekämpft hatten. Die Plakat-Kunst, sagt Sylke Wunderlich, sei damals nicht nur in Deutschland "ziemlich spektakulär" gewesen, "sehr modern, konstruktiv". An diese Formensprache knüpften die Nationalsozialisten an, um die Massen zu verführen und aufzuhetzen: gegen Juden und Bolschewisten von Beginn an, später gegen alle Kriegsgegner. Die Fassade des schönen Scheins hielt lange - erste Risse bekam sie erst später, als sich im Krieg das Blatt wendete.

Werbung für Leni Riefenstahls Filme

Nach dem Überfall auf Polen im September 1939 funktionierte die Propaganda noch bis zur Niederlage in Stalingrad reibungslos. Eine prägende Rolle spielte dabei Leni Riefenstahl. Ihre Filme von den Nürnberger Reichsparteitagen und den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin wurden weit über die Grenzen des Deutschen Reichs hinaus im Wortsinn plakativ beworben. Und das mit so viel Raffinesse, dass sich auch das Ausland hinters Licht führen ließ. Riefenstahls zwiespältige Meisterwerke wurden vielfach prämiert, unter anderem mit einem ersten Preis bei den Filmfestspielen in Venedig und einer Goldmedaille des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).

NS-Ideologie in Hohlweins Plakat-Arbeit: Ein Skispringer streckt den Arm wie zum sogenannten Deutschen Gruß aus (r.)

Die Strategie der Nazis hatte funktioniert. "Sonst wären die Menschenmassen dieser Politik nicht hinterher gerannt", sagt Kunsthistorikerin Sylke Wunderlich. Bei Leni Riefenstahl ging die Saat der Verführung besonders gut auf. "Triumph des Willens" oder "Fest der Schönheit" waren technisch und ästhetisch perfekt inszeniert. Propagandistisch begleitet und befeuert mit entsprechenden Plakaten. Da sei man wieder beim Thema "Moderne", sagt Expertin Sylke Wunderlich: Die Nazis hätten sie benutzt, "um diesem schrecklichen, diktatorischen Staat einen schönen, modernen, sauberen Anschein zu geben."

Wichtige Zielgruppen: Hitlerjugend und BDM

So lange keine Bomben auf Berlin und andere Städte fielen, konnte sich der NS-Staat auf die Mehrheit der Deutschen verlassen. "Ein Volk, ein Reich, ein Führer!" - der Personenkult um Adolf Hitler spiegelte sich durchgehend auf Plakaten wider. Dabei stets im Visier: Kinder und Jugendliche. Aus dem Anspruch auf totale Verfügbarkeit wurde nie ein Hehl gemacht. Niemand sollte der Hitlerjugend (HJ) oder dem Bund Deutscher Mädel (BDM) entkommen. Und die allermeisten machten begeistert mit.   

Führerkult auf Plakaten, mit denen die Nazis für die Hitlerjugend (l.) und den Bund Deutscher Mädel (r.) warben

Die Plakat-Propaganda war auf den ersten Blick über all die Jahre oft harmlos, ja verlockend und künstlerisch mitunter auf hohem Niveau. Sich damit nach dem Ende der Nazi-Diktatur unbefangen zu beschäftigen, war lange kaum möglich. Noch 2012, also 67 Jahre später, löste eine Ausstellung in München heftige Debatten aus. Vielleicht gut gemeint, aber "pure Propaganda", urteilte die linksliberale "Süddeutsche Zeitung" über "Typographie des Terrors - Plakate in München von 1933 bis 1945".

Das Thema Nationalsozialismus ist immer heikel

Der Ausstellungstitel erinnert an Sylke Wunderlichs in deutscher und englischer Sprache publiziertes Buch "Propaganda des Terrors". Dass Rechtsextremisten an ihrer Analyse Gefallen finden könnten, darauf hat die in Berlin lebende Kunsthistorikerin und Gründerin der Stiftung "Plakat Ost" keinen Einfluss. Alte und neue Nazis würden ihren Kauf aber spätestens dann bereuen, wenn sie die klaren und entlarvenden Analysen über Plakatkunst in der NS-Zeit lesen. Den Vorwurf der Verharmlosung kann man der Autorin jedenfalls nicht machen - ganz im Gegenteil.

Kunsthistorikerin Sylke Wunderlich Nazi- und DDR-Plakate

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Kritiker der Münchener Ausstellung von 2012 warfen den Kuratoren seinerzeit eine unzureichende Einordnung der Plakate vor: Man würde die Besucher mit den Bildern allein lassen. "In der Hoffnung darauf, dass deren einstige suggestive Kraft nur noch zu erahnen ist, sich ihre Lächerlichkeit von selbst entlarvt." Thomas Weidner, damals Leiter der Abteilung Grafik und Gemälde, verwies auf Bildlegenden mit Angaben zum dargestellten Ereignis, den Auftraggebern sowie den Künstlern und ihrer Arbeitsweise. Trotzdem dürfte noch immer gelten, was er 2012 sagte: "Ausstellungen zum Nationalsozialismus sind immer heikel." Auf Bücher zu diesem Thema könnte das ebenfalls zutreffen.            

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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