Schiedsgericht für NS-Raubgut startet mit Arbeit
30. November 2025
Die Rückgabe von NS-Raubkunst soll in Deutschland künftig erleichtert werden. Zum 1. Dezember nimmt die neu eingerichtete Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut ihre Arbeit auf, wie Kulturstaatsminister Wolfram Weimer am Sonntag in Berlin mitteilte.
Die Schiedsstelle soll künftig in strittigen Fällen über die Rückgabe von Kulturgütern entscheiden. Voraussetzung ist, dass diese Güter verfolgungsbedingt während der Nazizeit den Eigentümern entzogen wurden. Dabei geht es vor allem um vormals jüdischen Besitz.
Hochkarätig besetzt
Bereits im September waren insgesamt 36 Schiedspersonen ernannt worden. Das Präsidium der neuen Schiedsgerichtsbarkeit bilden die vormalige Richterin am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, Elisabeth Steiner, und der frühere Ministerpräsident des Saarlands und ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Peter Müller. Im Gremium sind Expertinnen und Experten aus den Rechts- und Geschichtswissenschaften sowie der Kunstgeschichte vertreten.
Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, begrüßte es, dass Opfer und deren Rechtsnachfolger nun verbindlich und auch einseitig den Rechtsweg beschreiten könnten, sofern sich der ehemalige Besitz heute in öffentlicher Hand befindet. Um auch Ansprüche auf Kulturgüter in privatem Besitz erheben zu können, brauche es aber ein weiteres Gesetz.
Schuster betonte: "Um Ansprüchen auf solche Kulturgüter auch in privatem Besitz eine Rechtsgrundlage zu geben, muss nun als nächstes, wie von der Koalition festgeschrieben, ein Restitutionsgesetz in die Tat umgesetzt werden."
"Setzen ein deutliches Zeichen"
Wenn so juristisch auch noch nicht alle Fragen bei der Restitution, also der Rückgabe von Kulturgütern geklärt sind, so erhofft sich Kulturstaatsminister Weimer von dem Schiedsgericht aber "neue Bewegung" bei der Aufarbeitung des historischen Unrechts. "Damit setzen wir ein deutliches Zeichen: Der Staat steht zu seiner historischen Verantwortung", betonte Weimer.
Um eine juristische Klärung hatte sich Deutschland schon in den Vorjahren bemüht. 2003 war für Streitfälle die "Beratende Kommission NS-Raubgut" eingerichtet worden. Sie hat aber nur 26 Fälle abgeschlossen.
"Dass die Kommission nur relativ wenige Raubkunstfälle behandelt hat, beruhte nicht etwa auf einer unzulänglichen Arbeitsweise der Kommission, sondern darauf, dass nicht mehr Fälle an sie herangetragen wurden", sagte der scheidende Vorsitzende Hans-Jürgen Papier. Der Grund sei, dass die Kommission nicht einseitig von der Opferseite angerufen werden konnte.
Oft verliert sich die Spur
Außerdem gebe es viele komplexe, umstrittene Fälle, ergänzte Papier. So wiesen viele Fälle erhebliche "Provenienzlücken" auf - irgendwo in den Wirren der Nazi- und der Nachkriegszeit verliere sich die Spur der Herkunft eines Kunstwerks.
Die Nachfahren der Opfer sehen das Problem der Rückgabe allerdings auch bei der Zögerlichkeit deutscher Institutionen. Viele Familien erlebten seit Jahren ein "Muster aus Ignoranz, Abwehr und Verzögerung", sagte Anwalt Markus Stötzel, der viele von ihnen vertritt.
Um welche Werke wird gestritten?
Schätzungen gehen von bis zu 600.000 geraubten Kunstwerken in der Nazi-Zeit aus. Kaum ein Restitutionsstreit wird dabei erbitterter geführt als der um Werke des jüdischen Galeristen Alfred Flechtheim (1878-1937).
Bei seiner Flucht aus Hitler-Deutschland 1933 musste er seine Sammlung mit Werken berühmter Maler von Pablo Picasso bis Max Beckmann zurücklassen. Verarmt starb er 1937 im Exil in Großbritanniens Hauptstadt London. Museen wie das Museum Ludwig in Köln, das Guggenheim-Museum in New York und das Moderna Museet in Stockholm haben Werke im Millionen-Wert an Flechtheims Erben zurückgegeben.
Doch in den deutschen Bundesländern Bayern und bei weiteren Fällen in Nordrhein-Westfalen (NRW) streiten sie seit Jahren erfolglos um Bilder aus staatlichen Sammlungen. So fordern die Erben-Anwälte seit rund zehn Jahren die Rückgabe des Beckmann-Gemäldes "Die Nacht" (1918/19) aus der landeseigenen Kunstsammlung NRW. Für ganz Nordrhein-Westfalen sehen die Anwälte noch "mindestens ein gutes Dutzend" und deutschlandweit mehr als 100 Kunstwerke aus dem Besitz Flechtheims, bei denen sie Restitutionsfälle vermuten.
An "Madame Soler" hält Bayern fest
Der wohl prominenteste Fall in Bayern ist der Streit um das Picasso-Gemälde "Madame Soler". Seit 2009 fordern Nachfahren des Kunstsammlers Paul von Mendelssohn-Bartholdy von den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen das Gemälde zurück.
An die Beratende Kommission konnten sie sich nicht wenden, weil Bayern nicht zustimmte. Aus Sicht des Bundeslandes dreht es sich nicht um Raubkunst. Nun soll der Fall ans neue Schiedsgericht.
haz/AR (dpa, kna, epd, afp)