NS-Raubkunstwerk bleibt in Lost-Art-Datenbank
21. Juli 2023Die Abendsonne versinkt hinter hohen Bergen, Fischer holen ihre Netze ein, Wellen branden ans Ufer. Der Maler Andreas Achenbach (1815-1910) malte dieses idyllische Landschaftsgemälde 1861 während einer Italienreise und nannte es nach seinem Entstehungsort: "Kalabrische Küste - Sicilia". Fast zwei Jahrhunderte später wurde sein Werk 2016 in einer Ausstellung im Museum für Kunst und Technik in Baden-Baden ausgestellt. Dort erfährt der aktuelle Besitzer, ein deutscher Kunstsammler, dass dieses von ihm 1999 ahnungslos erworbene Gemälde auf der Fahndungsliste des Lost-Art-Registers für NS-Raubkunst zu finden ist. Der Eintrag bedeutet, dass ein Kunstwerk dem früheren Eigentümer NS-verfolgungsbedingt entzogen wurde. Öffentliche Einrichtungen müssen Raubkunst zurückgeben, doch im privaten Bereich ist das meist nicht der Fall.
BGH: "Eintrag bedeutet kein Makel am Eigentum"
Der Eintrag missfiel dem Kunstsammler, und so versuchte er gerichtlich zu erwirken, es dort löschen zu lassen. Dafür klagte er sich durch mehrere Instanzen bis zum Bundesgerichtshof. Der entschied nun, dass der Eintrag nicht automatisch ein Makel am Eigentum bedeute. Solange die behaupteten Tatsachen wahr seien, müsse der Besitzer dies hinnehmen, befand der fünfte Zivilsenat am Freitag (21.07.2023).
An der Herkunft besteht kein Zweifel: Von 1931 bis 1937 gehörte das Gemälde dem jüdischen Kunsthändler Max Stern, der in Düsseldorf eine von seinem Vater gegründete Galerie führte. Stern wurde bereits im Jahr 1935 durch die Reichskammer der bildenden Künste die weitere Berufsausübung untersagt, die Verfügung wurde jedoch zunächst nicht vollzogen. 1937 verkaufte Stern das Achenbach-Gemälde an eine Privatperson aus Essen. Im September des gleichen Jahres wurde er gezwungen, seine Galerie aufzugeben. Stern emigrierte zwei Monate später über England nach Kanada, wo er 1987 verstarb. Deshalb verwaltet ein kanadischer Trust seinen Nachlass.
Diese Geschichte kannte der Kläger 1999 noch nicht, als er die "Kalabrische Küste" bei einer Auktion ersteigerte. Denn die Treuhänder ließen ihre Suchmeldung in der Lost-Art-Datenbank erst am 29. Juni 2016 mit dem Hinweis "Verlustumstand gemeldet als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut" veröffentlichen. Und so lautet der Eintrag auch weiterhin.
Klagt der Kunstsammler weiter?
Um doch noch eine Löschung zu erwirken, könnte der Besitzer nun allerdings noch gegen die Betreiberin der Datenbank selbst vorgehen, das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste mit Sitz in Magdeburg, sagte die Vorsitzende Richterin Bettina Brückner in Karlsruhe. Diese müsse entscheiden, ob sie eine Suchmeldung veröffentlicht und ob beziehungsweise wann sie diese wieder löscht. "Es liegt in ihrer Verantwortung, die fortdauernde Einhaltung des Zwecks der Veröffentlichung zu überwachen und sicherzustellen, dass die Aufrechterhaltung der Veröffentlichung gegenüber dem Eigentümer des Kunstwerks weiterhin zu rechtfertigen ist", so der BGH.
Ob der Kläger diesen Schritt gehen und gegen die Stiftung vorgehen will, sagte er zunächst nicht. Misslich sei die Lage, weil das Gemälde, vor allen in Ländern wie den USA, mit einer solchen Geschichte schwer zu verkaufen sei, räumte Brückner ein.
Wirtschaftliche Interessen Einzelner spielen laut BGH keine Rolle
Die Internet-Datenbank "Lost Art" des Zentrums für Kulturgutverluste in Magdeburg zählt mehr als 175.000 Kunstwerke, sie soll Kulturgüter dokumentieren, die unter den Nazis insbesondere jüdischen Eigentümern entzogen wurden. Frühere Eigentümer beziehungsweise deren Erben sollen den Angaben zufolge mit heutigen Besitzern zusammengeführt und beim Finden einer gerechten und fairen Lösung über den Verbleib der Werke unterstützt werden.
Das war laut Richterin Brückner im vorliegenden Fall gescheitert. Das Interesse früherer Eigentümer beziehungsweise ihrer Rechtsnachfolger und das allgemeine öffentliche Interesse an der Provenienz durch die Nazis geraubter Kulturgüter überwiegen laut dem Urteil das auf wirtschaftlichen Erwägungen beruhende Interesse des aktuellen Eigentümers an der Geheimhaltung wahrer Tatsachen.
Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste teilte mit, die ausführliche schriftliche Begründung der Entscheidung abwarten zu wollen, um möglichen Handlungsbedarf zu prüfen. Das Urteil an sich begrüßte es. Mit dem Betrieb der Datenbank leiste das Zentrum seinen Beitrag zur Verpflichtung der Bundesrepublik zur Aufarbeitung des NS-Unrechts.