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"NSU 2.0": Prozessbeginn in Frankfurt

Ben Knight
16. Februar 2022

Ein 54-Jähriger steht in Frankfurt vor Gericht, weil er Morddrohungen an Politikerinnen und Anwältinnen verschickt haben soll. Einige Opfer fordern mehr Ermittlungen in Polizeikreisen.

Blick auf ein vierstöckiges herrschaftliches Gebäude mit großem Eingangsportal: das Amts- und Landgericht Frankfurt am Main
Der Angeklagte muss sich vor dem Landgericht in Frankfurt am Main verantwortenBild: Florian Gaul/greatif/picture alliance

Am Frankfurter Landgericht hat an diesem Mittwoch der Prozess gegen den mutmaßlichen Rechtsextremisten Alexander Horst M. begonnen. Ihm wird vorgeworfen, unter dem Namen "NSU 2.0" Dutzende von Drohmails, SMS und Faxnachrichten an Privatpersonen sowie an Behörden und Institutionen verschickt zu haben. Neben Todesdrohungen enthielten sie massive Beleidigungen. Der Beschuldigte wollte damit offenbar in die Fußstapfen der neonazistischen Terrororganisation "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) treten.

Der NSU verübte aus rassistischen Motiven zwischen 2000 und 2007 Nagelbombenanschläge und erschoss mindestens zehn Menschen, bevor er 2011 enttarnt wurde. Das einzige bekannte überlebende Mitglied, Beate Zschäpe, wurde 2018 nach einem der bisher längsten Gerichtsverfahren gegen Neonazis  zu lebenslanger Haft verurteilt.

Eine Demonstrantin in Wiesbaden zeigt sich solidarisch mit den Opfern des "NSU 2.0"Bild: Arne Dedert/dpa/picture alliance

Für diesen Mittwoch stand am Frankfurter Landgericht zunächst die Verlesung der Anklageschrift auf der Tagesordnung. Die Staatsanwaltschaft brachte eine umfangreiche Liste von Vorwürfen gegen Alexander Horst M. vor: Dazu gehören 67 Fälle von Beleidigung. Hinzu kommt Volksverhetzung, illegaler Waffenbesitz, der Besitz von Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern - vom Staat Kinderpornographie genannt -, versuchte Nötigung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener, Ruhestörung durch Androhung einer Straftat, Teilen von Symbolen verfassungsfeindlicher Organisationen, öffentliche Aufforderung zu Straftaten und tätlicher Angriff auf einen Polizeibeamten.

Hass auf Frauen mit Migrationsgeschichte

Der im Mai 2021 verhaftete, heute 54-jährige Berliner soll 116 Drohbriefe zwischen August 2018 und März 2021 per E-Mail, Fax und SMS an Bundes- und Landtagsabgeordnete, prominente Anwälte, Künstler und Menschenrechtsaktivisten verschickt haben, darunter viele Frauen aus Familien mit Migrationsgeschichte. Der Angeklagte soll über Informationen verfügt haben, die nicht öffentlich zugänglich waren.

Die Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız erhielt Drohschreiben mit der Unterschrift "NSU 2.0"Bild: picture-alliance/dpa/B. Roessler

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft unterzeichnete Alexander Horst M. seine Briefe regelmäßig mit "Heil Hitler" und bezeichnete sich als SS-Obersturmbannführer, ein Rang der sogenannten Schutzstaffel SS während der Zeit des Nationalsozialismus. Medienberichten zufolge ist er bereits mehrfach vorbestraft, unter anderem wegen Amtsanmaßung.

Mehr als ein mutmaßlicher Täter

Alexander Horst M. ist einer von mehreren Beschuldigten im sogenannten NSU 2.0-Komplex. Dazu gehören auch Ermittlungen gegen andere mutmaßliche Rechtsextremisten und mehrere hessische Polizeibeamte, gegen die wegen des Austauschs antisemitischer Bilder in einer Chat-Gruppe ermittelt wird.

Eine der zentralen Fragen des Prozesses gilt bereits als geklärt: Wie konnte Alexander Horst M. an die privaten Daten der von ihm bedrohten Personen gelangen? Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wusste der Verdächtige, wie er sich am Telefon als Beamter ausgeben konnte, um Behörden zur Herausgabe von Informationen zu bewegen. Der anfängliche Verdacht, dass Polizeibeamte illegal Informationen an den Verdächtigen weitergegeben haben könnten, hat sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht bestätigt.

Auch bei der Polizei selbst wurde ermittelt - hier das Revier 1 in Frankfurt am MainBild: Getty Images/T. Lohnes

Einigen derjenigen, die die mit "NSU 2.0" unterschriebenen Drohungen erhalten haben, reicht diese Erklärung jedoch nicht aus. Sie fordern eine umfassendere Untersuchung.

So etwa die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız, die mehrere Opfer des ursprünglichen NSU im Prozess gegen Zschäpe vertrat. In einem Interview im vergangenen Juni sagte sie, dass sie zwar im Laufe ihrer Karriere bereits Dutzende von Morddrohungen erhalten habe, sich aber im Fall "NSU 2.0" zu einer Anzeige entschlossen habe, weil "eine persönliche Grenze überschritten war".

"Das Fax enthielt den Namen meiner Tochter und meine private Anschrift", sagte sie der Hessenschau. "Da habe ich mich gleich gefragt: Wie kann der Absender diese Informationen über mich haben? Ich war an diesem Tag beruflich im Ausland unterwegs. Ich kam ins Hotel und da empfing mich dieses Fax. Ich war schockiert. Mein Kind wurde bedroht und ich war tausende Kilometer von ihm entfernt."

Opfer sprechen von Skandal

In einer am Montag veröffentlichten Erklärung äußerten sich Başay-Yıldız sowie die Linkspartei-Politikerinnen Janine Wissler, Anne Helm und Martina Renner, die Kabarettistin Idil Baydar und die Schriftstellerin Hengameh Yaghoobifarah, die ebenfalls Drohschreiben erhielten:

"Für uns ist es ein Skandal, dass die Ermittlungen gegen einen vermeintlichen Einzeltäter geführt wurden." Die Frauen weisen darauf hin, dass es Beweise dafür gebe, dass Polizeicomputer verwendet wurden, um auf einige der Daten zuzugreifen, bevor die Drohungen verschickt wurden.

Das Gericht hat bisher 14 Verhandlungstermine bis Ende April angesetzt. Es wird jedoch erwartet, dass der Prozess sehr viel länger dauern wird.

Dieser Text wurde aus dem Englischen adaptiert.

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