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Persönliche Schuld und Staatsversagen

Marcel Fürstenau30. Dezember 2013

Im spektakulären Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) sitzen fünf Rechtsextremisten auf der Anklagebank. Jenseits der Strafprozessordnung geht es auch um die Verantwortung des Staates.

Ein Plakat-Text, fotografiert auf einer Demonstration gegen Rechtsextremismus in Berlin: "NSU-Mordserie: Offene Fragen - Alltagsrassismus: Was kann der NSU-Prozess daran ändern?" (Foto: Imago / Christoph Mang)
Bild: Imago/Christian Mang

Es ist ein Prozess von historischem Ausmaß - und das in mehrfacher Hinsicht. Seit dem 6. Mai 2013 müssen sich fünf Angeklagte wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung vor dem Münchener Oberlandesgericht (OLG) verantworten. Das Strafverfahren gegen Beate Zschäpe und ihre mutmaßlichen Helfer, denen zehn fremdenfeindlich motivierte Morde zur Last gelegt werden, dauert also schon länger als sieben Monate. Mindestens bis Ende 2014 wird der Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund laufen, schon jetzt hat der 6. Strafsenat unter dem Vorsitzenden Richter Manfred Götzl weitere 113 Verhandlungstage für das kommende Jahr angesetzt.

Damit erreicht der NSU-Prozess zeitlich eine Dimension wie der gegen die linksextremistische Rote Armee Fraktion (RAF) Mitte der 1970er Jahre. Wegen der vermeintlichen Parallelen war kurz nach dem Auffliegen des NSU am 4. November 2011 vereinzelt sogar von einer "Braunen Armee Fraktion" die Rede. Eine unpassende Wortwahl, denn tiefergehende Gemeinsamkeiten lassen sich bei genauerer Betrachtung kaum finden.

Keine Ähnlichkeit mit der RAF

Die Linksterroristen von der RAF gaben sich vom ersten Tag an zu erkennen. Sie entführten und ermordeten hochrangige Vertreter aus Politik, Justiz und Wirtschaft. Erklärtes Ziel war die Beseitigung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Der NSU hingegen mordete von 2000 bis 2007 im Verborgenen. Neun der zehn Opfer hatten ausländische Wurzeln und alle wurden mit derselben Waffe erschossen, aber die ganze Zeit über bekannte sich niemand zu den Morden. Kein Hinweis darauf, dass die Taten gegen den Staat gerichtet sein könnten.

Opfer-Gedenken vor dem Rathaus in RostockBild: picture-alliance/dpa

Über Täter und Motive wurde jahrelang spekuliert. Ermittler verfolgten fast nur Hinweise, die zur These von milieubedingter Kriminalität unter Ausländern passten. In zahlreichen Medien war unreflektiert von "Döner-Morden" die Rede. Rassistische Motive, die hinter der Mordserie stecken könnten, kamen nur wenigen Ermittlern und mit dem Thema Rechtsextremismus vertrauten Journalisten in den Sinn. Die tatsächlichen Hintergründe kamen erst ans Licht, als sich die mutmaßlichen Täter Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach einem Banküberfall in Eisenach (Sachsen) das Leben nahmen, um ihrer Festnahme zu entgehen.

Videos zu "Propaganda- und Selbstbezichtigungszwecken"

Ihre Komplizin Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte im NSU-Prozess, hat nach Überzeugung der Anklage unmittelbar nach dem Freitod der beiden Männer mehrere Bekenner-Videos verschickt. Empfänger waren unter anderem Medien. Das geschah zu "Propaganda- und Selbstinszenierungszwecken im Sinne des NSU", heißt es in der Anklageschrift. In dem Video rühmen sich die Täter auf makabere Weise der Morde, indem sie die Comic-Figur Paulchen Panther Bilder der getöteten Opfer präsentieren lassen. Die Fotos sollen die Täter selbst gemacht haben.

Warum sich die Terror-Gruppe erst im Moment ihrer Auflösung zu erkennen gab, gehört zu den vielen offenen Fragen. Die einzige Überlebende des NSU-Trios hat sich anscheinend vorgenommen, ihr Wissen für sich zu behalten - Beate Zschäpe schweigt seit dem ersten Prozesstag. In der Anklageschrift wird der 38-Jährigen und ihren toten Komplizen vorgeworfen, unter der Maxime "Taten statt Worte" Mord- und Sprengstoffanschläge verübt zu haben. Sie hätten ihre "nationalsozialistisch geprägten völkisch-rassistischen" Vorstellungen von einem "Erhalt der deutschen Nation" verwirklichen wollen.

"Serienmäßige Hinrichtungen" sollten Migranten verunsichern

Durch die Verwendung ein und derselben Schusswaffe sollten die Taten in der Öffentlichkeit bewusst als "serienmäßige Hinrichtungen" wahrgenommen werden. Sprengstoff-Anschläge mit vielen, zum Teil lebensgefährlich Verletzen hätten dem Ziel gedient, die durch die Mordanschläge hervorgerufene Verunsicherung in den Bevölkerungsteilen mit Migrationshintergrund zu verstärken. Damit sollten "das Vertrauen in den Staat geschwächt und die ausländischen Mitbürger zum Wegzug veranlasst werden", heißt es in der Anklageschrift weiter.

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Bei denAngehörigen der Opfer haben die Morde - aber auch die Reaktionen der staatlichen Behörden - tiefe, oft traumatische Spuren hinterlassen. Ermittler suchten die Täter überwiegend im familiären Umfeld, rassistische Motive wurden trotz entsprechender Hinweise weitgehend ignoriert. Das fatale Versagen von Polizei und Verfassungsschutz hatte vor Beginn des NSU-Prozesses bereits ein Untersuchungsausschuss des Bundestages herausgearbeitet.

Enttäuschte Angehörige und ein schlimmer Verdacht

Die Hoffnung, in dem Strafverfahren vor dem OLG München könnten alle Aspekte der Mordserie aufgeklärt werden, ist aus Sicht der Opfer-Angehörigen bisher unerfüllt geblieben. Dass die Hauptangeklagte Beate Zschäpe auspacken würde, damit haben sie vielleicht nicht einmal gerechnet. Allerdings verstehen sie überhaupt nicht, warum etliche fragwürdige Zeugen aus dem rechten Milieu ohne Anklage davon gekommen sind. Darunter Männer und Frauen, die dem NSU-Trio mutmaßlich die Tatwaffe und Papiere für falsche Identitäten besorgt haben.

Anwälte von Opfer-Familien hegen inzwischen offen den Verdacht, bestimmte Personen sollten zum eigenen Wohle und dem einzelner Behörden geschützt werden. Das trifft besonders auf den früheren Verfassungsschützer Andreas T. zu, der zum Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat im Sommer 2006 unmittelbar am Tatort in Kassel (Hessen) war. Mehrere Anträge, womöglich belastende Akten für den NSU-Prozess freizugeben, wurden vom Gericht abgelehnt. Das verstärkt vor allem bei den Eltern des 21-jährigen Todesopfers die Vermutung, der Staat habe etwas zu verheimlichen.

Bei ihnen steht der Schmerz über den Verlust des Sohnes im Vordergrund. Darüberhinaus besteht die Gefahr, dass sich eine Wahrnehmung verfestigt, die sich schon imNSU-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages abzeichnete: dass der Verfassungsschutz unter Hinweis auf den Schutz seiner Informanten im rechtsextremen Milieu die Aufklärung der rassistischen Mordserie behindert.

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