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Psychiatrisches Gutachten zu Zschäpe

20. Dezember 2016

Dreieinhalb Jahre nach Beginn des Strafverfahrens äußert sich ein Mediziner öffentlich zur Persönlichkeit der Hauptangeklagten. Sein vorläufiges Gutachten lässt viel Spielraum für Spekulationen.

Deutschland NSU-Prozess Zschäpe meldet sich zum ersten Mal zu Wort
Bild: picture-alliance/dpa/M. Schrader

Wie glaubwürdig ist Beate Zschäpe? Hat sie wirklich erst im Nachhinein von den zehn Mordtaten erfahren, die ihre rechtsextremistischen Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos begangen haben sollen? Wie steht es um ihre Schuldfähigkeit? Endgültige Antworten auf diese und andere schwer zu beantworte Fragen im NSU-Prozess wird der 6. Strafsenat des Münchener Oberlandesgerichts vermutlich im Frühjahr oder Sommer 2017 geben. Dann wird das Urteil erwartet in diesem beispiellosen Strafverfahren, das im Mai 2013 begonnen hat.

Beim Strafmaß dürfte auch die Einschätzung des Sachverständigen Henning Saß eine wichtige Rolle spielen. Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen wird sich an diesem Dienstag und Mittwoch äußern. Den Verfahrensbeteiligten hat er bereits im Oktober sein vorläufiges Gutachten übermittelt. Darin zeichnet Saß auf 173 Seiten ein Bild von Zschäpe, das er sich vor allem als Prozess-Beobachter von ihr gemacht hat. Ein persönliches Gespräch mit ihm verweigerte die Hauptangeklagte nämlich.

Der Gutachter hält Zschäpe für voll schuldfähig

Saß geht auf Zschäpes Mimik und Gestik ein, beschreibt ihre Reaktion auf Zeugen-Aussagen und analysiert natürlich ihre späte Aussage. Es handelt sich zwar um keine abschließende Bewertung, eine Tendenz ist klar erkennbar: Der Gutachter stellt fest, dass Anhaltspunkte für körperliche oder psychische Erkrankungen "nicht vorliegen". Dieser Befund ist auch deshalb von Bedeutung, weil Zschäpe nach eigener Darstellung über Jahre zum Teil sehr viel Alkohol getrunken haben will. Trotzdem geht Saß davon aus, dass Zschäpe uneingeschränkt schuldfähig ist.

9. Dezember 2015: Beate Zschäpes Wahlverteidiger Hermann Borchert (l.) verliest die Aussage seiner Mandantin; rechts daneben Pflichtverteidiger Mathias GraselBild: Reuters/M. Dalder

Ausführlich geht der Gutachter auf die schriftliche Aussage der 41-Jährigen im Dezember 2015 ein. Dabei findet er Hinweise für "egozentrische, wenig empathische" Züge. Im Vordergrund stünden die eigene Situation und Kritik am Verhalten der Partner. Weniger entstehe dagegen der Eindruck einer authentischen Auseinandersetzung mit den Geschehnissen, "mit den Empfindungen der von den Taten betroffenen Personen und ihrer Angehörigen sowie den Konsequenzen für deren Leben".

Disziplin, Rafinesse und "extrem hohe Fähigkeit zu Camouflage"

Gutachter Saß lässt deutlich durchblicken, dass er einen erheblichen Widerspruch sieht zwischen dem Bild, das er von Zschäpe im NSU-Prozess gewonnen hat, und dem Bild der Angeklagten von sich selbst. Seine Eindrücke aus dem Gerichtssaal scheinen die Aussagen vieler Zeugen zu bestätigen. Die haben Zschäpe als "energisches, wehrhaftes, eigenständiges und anerkanntes Mitglied in der rechten Szene" charakterisiert. In diesem Zusammenhang ist auch von Zschäpes Doppelleben im Untergrund die Rede. Das Aufrechterhalten einer Legende über viele Jahre spreche für Disziplin, Raffinesse und eine "extrem hohe Fähigkeit zu Camouflage".

Die Ruine des letzten NSU-Unterschlupfs in Zwickau, nachdem Beate Zschäpe die Wohnung in Brand gesetzt hatBild: picture-alliance/dpa

Saß bescheinigt der Angeklagten über die gesamte Prozessdauer von inzwischen dreieinhalb Jahren ein selbstbewusstes Auftreten. Auch und gerade gegenüber ihren anfänglich drei Pflichtverteidigern, mit denen sich Zschäpe im Sommer 2015 endgültig überworfen hat. Die Fähigkeit, ihren Willen durchzusetzen, hält der Gutachter insgesamt für stark ausgeprägt. Das spricht nach seiner Einschätzung in Bezug auf die Mordserie "eher gegen die Annahme", dass sich Zschäpe "dem Willen ihrer Lebenspartner gebeugt hätte".

Es geht auch um die Möglichkeit einer Sicherheitsverwahrung

Die Bundesanwaltschaft wirft Zschäpe, der einzigen Überlebenden des NSU-Kerntrios, zehnfachen Mord und mehrfachen versuchten Mord vor. Sollte sie am Ende dafür verurteilt werden, könnte es auch um die Frage einer anschließenden Sicherheitsverwahrung gehen. Eine konkrete Empfehlung dazu gibt es in dem vorläufigen Gutachten nicht. Allerdings lassen ein paar Sätze am Ende aufhorchen, wo es um mögliche Taten nach NSU-Vorbild geht. Die äußeren Bedingungen, so heißt es, "hätten sich nicht so weit geändert, dass so etwas nicht mehr möglich wäre". Vielmehr dürfte es weiterhin eine potentielle Unterstützer-Szene für rechtsradikale und insbesondere fremdenfeindliche Gesinnungsdelikte geben.

 

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