Urteil im NSU-Prozess erwartet
11. Juli 2018Hunderte Prozesstage, Hunderte Zeugen, Hunderte Aktenordner: Der Prozess gegen den "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) ist schon jetzt ein Fall für die Geschichtsbücher. An diesem Mittwoch soll das Mammutverfahren nun zu Ende gehen. Die große Frage ist: Bekommt Beate Zschäpe lebenslänglich oder nicht?
Die Bundesanwaltschaft sieht die 43-Jährige als Mittäterin an allen Verbrechen des NSU, also an den neun Morden an türkisch- und griechischstämmigen Gewerbetreibenden, an dem Mord an einer deutschen Polizistin, an zwei Bombenschlägen, bei denen Dutzende verletzt wurden, sowie insgesamt 15 Raubüberfällen. 2011 setzte Zschäpe zudem die letzte Wohnung des NSU in Zwickau in Brand. Die Forderung der Anklage: lebenslange Haft, die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld sowie anschließende Sicherungsverwahrung.
Zschäpes zwei Verteidiger-Teams haben dagegen den Freispruch von allen Morden und Anschlägen gefordert. Zschäpe sei keine Mittäterin, sie sei keine Mörderin und keine Attentäterin. Verurteilt werden könne sie aber wegen der Brandstiftung in Zwickau kurz nach dem Auffliegen des NSU-Trios. Ihre Komplizen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt hatten sich am 4. November 2011 nach einem gescheiterten Banküberfall in Eisenach selbst erschossen. Zschäpe, die seit 2011 in Untersuchungshaft sitzt und im Prozess lange geschwiegen hatte, will stets erst nachträglich von den Taten ihrer Freunde erfahren haben.
Ihre Vertrauensanwälte verlangten am Ende eine Haftstrafe von unter zehn Jahren, ihre drei Pflichtverteidiger beantragten sogar die sofortige Freilassung, weil die Haftstrafe für die Brandstiftung mit der Untersuchungshaft schon abgegolten sei.
Vier weitere Angeklagte
Auch für die vier Mitangeklagten hat die Bundesanwaltschaft teils langjährige Haftstrafen gefordert, unter anderem zwölf Jahre für den mutmaßlichen Waffenbeschaffer Ralf Wohlleben wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen. Wohlleben soll die Pistole beschafft haben, mit der der NSU später mordete. Seine Verteidigung hat dagegen auf Freispruch plädiert. Auch der Mitangeklagte André E. soll zwölf Jahre in Haft, unter anderem wegen Beihilfe zum Bombenanschlag auf ein Lebensmittelgeschäft in Köln. E. soll damals das Wohnmobil gemietet haben, mit dem die Täter nach Köln fuhren.
Für Carsten S., der die Pistole zusammen mit Wohlleben beschafft haben soll, fordert die Bundesanwaltschaft eine Jugendstrafe von drei Jahren. Und für den Mitangeklagten Holger G. fordert sie fünf Jahre wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. G. soll unter anderem falsche Dokumente für den NSU besorgt haben.
Unzufriedenheit bei Hinterbliebenen
Trotz des über fünf Jahre dauernden Prozesses sind die Angehörigen der Opfer mit der Aufarbeitung unzufrieden. So fordert Gamze Kubasik, die Tochter des in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik, weitere Aufklärung des rechtsextremen Terrornetzwerks, weil die Mörder vor Ort Unterstützer gehabt hätten. "Ich möchte, dass alle Helfer, die man kennt, angeklagt werden", sagte sie am Dienstag.
Rechtsanwalt Sebastian Scharmer, der Kubasik im Prozess vertritt, bezeichnete die These vom "abgeschotteten, isolierten NSU-Trio", das allein für alle zehn Morde verantwortlich sein solle, als "Mythos". Helfer und möglicherweise weitere Mittäter "laufen auch heute noch frei herum", vermutete Scharmer.
wo/AR (dpa, afp, rtr)