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NSU: Staatsversagen erneut bestätigt

Marcel Fürstenau21. August 2014

Nach dem Bundestag hat das Thüringer Parlament seinen Untersuchungsbericht über die rechtsextremistische Terrorgruppe und die Rolle der Behörden vorgelegt. Es gibt viele Parallelen, aber auch Unterschiede.

Heilbronn - NSU Wohnmobil
Bild: picture alliance/dpa

Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag nahm kein Blatt vor den Mund. Von einem "historisch beispiellosen Behördenversagen" sprach der Sozialdemokrat Sebastian Edathy, als er exakt vor einem Jahr den Abschlussbericht des von ihm geleiteten Gremiums präsentierte. Die Kritik bezog sich auf Verfassungsschutz und Polizei, aber auch politisch Verantwortliche durften sich angesprochen fühlen. Ins gleiche Horn blasen nun die parlamentarischen NSU-Aufklärer in Thüringen: Von "Fiasko" und "Desaster" ist in dem fast 1900 Seiten dicken Text die Rede.

Beide Ausschüsse versuchten akribisch zu ergründen, wie es zu der unheimlichen Mordserie an neun Migranten und einer aus Thüringen stammenden Polizistin kommen konnte. Vor allem wollten sie herausbekommen, warum faktisch alle Sicherheitsbehörden trotz klarer Anhaltspunkte für einen rassistischen Hintergrund der zwischen 2000 und 2007 begangenen Taten länger als ein Jahrzehnt im Dunkeln stocherten. Erst 2011 flog das mutmaßliche Mörder-Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos auf - eher zufällig. Unter dem Eindruck der unfassbaren Ahnungslosigkeit von Verfassungsschutz und Polizei scheut sich der Thüringer NSU-Ausschuss nicht, den "Verdacht gezielter Sabotage" zu äußern.

Grüne: "Wie groß war das Unterstützer-Netzwerk?"

Für die Grünen saß Anja Siegesmund als stellvertretende Vorsitzende des Gremiums im Untersuchungsausschuss. Ihr Fazit gleicht dem der Bundestagsabgeordneten: "Wir haben ein umfangreiches Behörden- und Staatsversagen", sagte sie im Gespräch mit der DW. Siegesmund fordert die Auflösung des Thüringer Verfassungsschutzes in seiner bestehenden Form und einen "Neustart" innerhalb des Innenministeriums. Und trotz 68 Ausschuss-Sitzungen mit 123 Zeugen stellt sich die Grünen-Politikerin vor allem eine Frage: "Wie groß war das Unterstützer-Netzwerk des NSU-Trios?"

Im Fokus des Medieninteresses: Beate ZschäpeBild: picture-alliance/dpa

Dass die drei zahlreiche Helfer im rechtsextremen Milieu hatten, zeigt schon ein Blick nach München. Dort findet vor dem Oberlandesgericht (OLG) seit Mai vergangenen Jahres der NSU-Prozess statt. Neben der Hauptangeklagten Zschäpe müssen sich vier Männer wegen Beihilfe zum Mord verantworten. Nach inzwischen mehr als 130 Verhandlungstagen mit zum Teil dubiosen Zeugen aus der Nazi-Szene, aber auch aus Sicherheitskreisen stellen sich eher mehr als weniger Fragen. Wohl auch deshalb ist kein Ende des NSU-Strafverfahrens in Sicht. Bis Mitte 2015 wird es mindestens dauern.

Verfassungsschutz zahlte "übermäßig hohe Prämien" an Neo-Nazis

Im Herbst soll eine zentrale Figur der Neonazi-Szene in Thüringen ein zweites Mal als Zeuge befragt werden. Tino Brandt war bis Anfang des Jahrtausends hochrangiger Funktionär der rechtsextremen NPD und baute den "Thüringer Heimatschutz" auf. Zugleich war er Spitzel des Verfassungsschutzes und kassierte nach eigenen Angaben für seine Tätigkeit als sogenannter V-Mann von 1994 bis 2001 mindestens 50.000 Euro. Da ist es nur allzu verständlich, wenn der Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss in seinem Abschlussbericht von "übermäßig hohen Prämien" für Brandt und seine Gefolgsleute im Sold des Verfassungsschutzes spricht.

Über die klaren Worte der Thüringer Parlamentarier freut sich der frühere Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth. Er stammt selbst aus dem ostdeutschen Bundesland und saß für die Liberalen im Berliner NSU-Untersuchungsausschuss. Immer wieder besuchte er auch die öffentlichen Sitzungen des Ausschusses in seiner Heimat. Den Abgeordneten dort attestiert Kurth im Gespräch mit der DW, sie hätten ihre Kritik "drastischer" formuliert als die Bundestagsabgeordneten. In der Tat: Den Verdacht, Sicherheitsbehörden hätten die Beobachtung und Verfolgung der rechten Szene gezielt sabotiert, äußerte der Untersuchungsausschuss des Bundestages am Ende nicht. Zur Ehrenrettung seiner inzwischen aufgelösten Bundestagsfraktion verweist Kurth auf das Sondervotum der FDP. Die fand mit ihrer Forderung, in der neuen Legislaturperiode einen weiteren NSU-Ausschuss einzusetzen, allerdings kein Gehör.

Lobt seine Thüringer Landsleute: Patrick Kurth (FDP)Bild: picture-alliance/dpa

Barbara John: "Highlight der Aufklärung"

Am Freitag wird sich der Thüringer Landtag mit dem Abschlussbericht des gerade fertiggestellten NSU-Untersuchungsausschusses befassen. Auf der Zuschauer-Tribüne werden Angehörige der Mordopfer sitzen, die vom Landtag extra eingeladen wurden. Um deren Sorgen und Belange kümmert sich seit längerem die von der Bundesregierung eingesetzte Ombudsfrau Barbara John. Die frühere Ausländerbeauftragte Berlins würdigte im vergangenen Jahr den Untersuchungsausschuss des Bundestages auch im Namen der Opfer-Angehörigen als "Highlight" der Aufarbeitung. Das gleiche Lob, so scheint es, haben sich die Parlamentarier in Thüringen verdient.

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