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Zielloses Verhandeln?

Baha Güngör26. Juni 2007

Obwohl die Chancen bei den Verhandlungen mit der Türkei zum EU-Beitritt nicht gut stehen, muss weiter verhandelt werden. Sonst sonst verlieren die Europäer den Kontakt zu den Türken, findet Baha Güngör.

Bundespräsident Horst Köhler hat in der Abschiedssendung von Sabine Christiansen seine Meinung über die Türkei vertreten, die nicht nur in Deutschland von einer immer größer werdenden Mehrheit geteilt wird: “Ein kleiner Zipfel der Türkei liegt auf dem europäischen Kontinent. Die Türkei ist ein anderer Kulturkreis. Das ist ein Fakt.”

Baha Güngör

Seit seinem Wahlsieg beweist auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, dass er den Ausschluss der Türkei vom europäischen Integrationsprozess nicht nur im Wahlkampf verkündet hat. Vielmehr unternimmt er viele Schritte, um den Verhandlungsprozess der EU mit der Türkei zum Scheitern zu bringen. Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht wieder lauter über die von ihr angebotene "privilegierte Partnerschaft" statt einer EU-Mitgliedschaft der Türkei. Der scheidende britische Premier Tony Blair und die polnischen Gebrüder Kaczynski gehören als Sorgenkinder der EU nicht zu denjenigen Staatsmännern, die mit der Befürwortung des Türkei-Beitritts sich noch durchsetzen könnten.

Argumente gehen aus

Dennoch setzt die EU die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fort und macht zwei weitere Kapitel auf. Damit wurde oder wird über vier der insgesamt 35 Einzelkapitel verhandelt. Nach Zypern hat nun auch Frankreich es geschafft, dass einzelne Kapitel vorerst auf die lange Bank geschoben werden. Andere Länder, die die Türkei aus verschiedenen Gründen nicht als Teil Europas betrachten, verstecken sich hinter Zypern und Frankreich. Die Befürworter des türkischen EU-Beitritts werden derweil immer kleinlauter, weil ihnen die Argumente ausgehen.

Der 1963 mit dem Assoziationsabkommen eingeleitete und 1999 mit der Aufnahme der Türkei in die Reihen der Beitrittskandidaten in eine ernsthafte Phase eingetretene EU-Beitritt des Landes an der geographischen Peripherie Europas kann ernsthaft nur noch in der Phantasie vollzogen werden. In absehbarer Zeit, das können 15-20 Jahre sein, kann jede Forderung nach einer Aufnahme der Türkei in die EU unter der Rubrik “Utopie” abgehakt werden.

Trotzdem nicht sinnlos

Dass nur ein “kleiner Zipfel” von ihrer Fläche auf dem europäischen Kontinent liegt, ist ein hinkendes Argument gegen die Europa-Zugehörigkeit der Türkei. Die EU-Mitglieder Zypern und Malta werden geographisch auch nicht zum europäischen Kontinent gerechnet. Das zweithäufigste Argument, dass nämlich die Türkei ein anderer Kulturkreis ist, ist auch kein starkes. Griechenland und Irland gehören auch nicht zum gleichen Kulturkreis, Finnen und Spanier ebenso wenig. Überzeugender sind aber andere Argumente wie die Bevölkerungszahl, die bald größer ist als die deutsche. Keine noch so witzige Quadratwurzelformel könnte verhindern, dass die Türkei das größte Kontingent an Stimmen und Sitzen im europäischen Parlament für sich verbucht.

Wer aber jetzt die Auffassung vertreten sollte, die Beitrittsverhandlungen hätten keinen Zweck mehr, begeht einen Irrtum mit ungewissen Folgen. Gerade jetzt sollte daran gearbeitet werden, die Heranführung der Türkei an Europas Werte und Normen fortzusetzen und die brüchige Demokratie sowie die wirtschaftliche Entwicklung unter dem türkischen Halbmond nicht im Stich zu lassen.

Auch wenn die Verhandlungen am Ende nicht den Beitritt nach sich ziehen werden, so ist es von großer Bedeutung, dass der Austausch nicht unter- oder gar abgebrochen wird. Immerhin haben in den letzten zwei Jahren seit der Aufnahme der Verhandlungen mehr als 1.200 türkische Experten Brüssel aufgesucht, wo die Zahl der mit der Türkei beschäftigten Diplomaten und Bürokraten fast 400 beträgt. Die EU-Kommission beschäftigt in ihrer Vertretung in Ankara rund 100 Mitarbeiter. Das Hauptziel ist, dass die Türkei ihre europäische Vision nicht verliert und zu verhindern, dass sie, nach Alternativen suchend zwischen Großmächten wie USA, Russland oder China oder islamistischen Diktaturen umherirrt.

Kontakt nicht verlieren

Europa muss einen Weg finden, die Türkei als Partner in politischem, kulturellem, wirtschaftlichem oder militärischem Feld nicht zu verlieren. Es ist auch für die Türkei sehr gut, zu wissen, dass Europa ihr in einer geostrategisch ungemein wichtigen und von Unruheherden umgebenen Region zur Seite steht. Andernfalls riskieren Europäer, dass die Türkei nicht mehr mit der Stimme der europäischen Vernunft spricht und von Großmächten ohne größeres Interesse an Demokratie und Menschenrechten instrumentalisiert wird. Deshalb geht es mehr als je zuvor darum, nicht die trennenden, sondern die verbindenden Faktoren im Verhältnis EU-Türkei in den Vordergrund zu rücken.

Die Türkei, die seit 1949 Mitglied im Europarat und in der OECD ist und seit 1952 und damit drei Jahre vor Deutschland als NATO-Mitglied westliche Werte verteidigt, gehörte geographisch schon immer nur geringfügig dem europäischen Kontinent an. Auch sind die Türken seit Jahrhunderten Moslems, denen statt einer nicht näher definierten “privilegierten Partnerschaft” eine privilegierte Heranführung an Europa zusteht. Es geht nicht um die EU-Mitgliedschaft, sondern um die Koexistenz zwischen der Türkei und der EU, aus der beide Lager die mehr als je zuvor wichtige gegenseitige Synergie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und bei der Lösung der vielfältigen Probleme gewinnen sollten.

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