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Mediengigant Axel Springer unter Druck

Christine Lehnen | Maria John Sánchez | Sarah Hucal
20. Oktober 2021

Die Affäre um Ex-Bild-Chefredakteur Julian Reichelt schlägt international hohe Wellen. Nun hat sich Konzernchef Mathias Döpfner zu den Vorwürfen geäußert.

Julian Reichelt sitzt an einem SChreibtisch, hält eine ZIgarette
Julian Reichelt ist inzwischen von seinem Amt als Chefredakteur der "Bild"-Zeitung entfernt wordenBild: Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance

Nachdem die "New York Times" über Vorwürfe gegen Julian Reichelt berichtet hatte, wurde der ehemalige Chefredakteur der"Bild"-Zeitung von seinen Aufgaben entbunden: Frauen hätten ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen und er habe seine Machtposition ausgenutzt, um mit jungen Kolleginnen zu schlafen. 

Nun hat auch Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer, der Mutterkonzern von "Bild", eine Stellungnahme abgegeben: Auf YouTube äußert er sich sechs Minuten lang zu den Vorwürfen und begründete die Entlassung Reichelts damit, dass dieser sich wiederholt falsch verhalten habe, indem er immer wieder Beziehungen mit jungen Mitarbeiterinnen der "Bild"-Redaktion einging.

Döpfner betont in der Stellungnahme, dass es sich hierbei um ein Problem der "Bild" und nicht des ganzen Axel-Springer-Konzerns handele. Er erzählt außerdem am Ende des Videos, dass er nun nach Washington fahren werde - Axel Springer hat kürzlich das dort ansässige US-amerikanische Nachrichtenportal "Politico" gekauft.

Aber welche Rolle spielen eigentlich die "Bild"-Zeitung - Europas mächtige Boulevarzeitung - und der dahinterstehende Springer-Verlag in der deutschen und internationalen Medienlandschaft? Und wie hängt die Causa Reichelt mit den Vereinigten Staaten und Mathias Döpfners Reise nach Washington zusammen?

Springer und Bild: Meinungsbildende Giganten

Die "Bild", deren Chefredakteur Reichelt seit 2017 war, ist mit 1,24 Millionen Exemplaren die auflagenstärkste Tageszeitung in Deutschland und prägt seit ihrer Gründung im Jahr 1952 die deutsche Medienlandschaft wie keine andere - ist dabei aber auch umstritten und sorgt regelmäßig für Diskussionen und Rügen seitens des Deutschen Presserats.

Bezichtigte im Jahr 1967 den Verleger Axel Springer der "Hetzpropaganda": Rudi Dutschke.Bild: picture-alliance/dpa/J. Barfknecht

Der milliardenschwere deutsche Axel-Springer-Konzern wurde nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet und verlegte zunächst hauptsächlich Tageszeitungen und Zeitschriften. Ihr Gründer, Axel Springer, war eine umstrittene Persönlichkeit: Aus Protest gegen den offen deklarierten Anti-Kommunismus verübte die Terrororganisation Rote Armee Fraktion (RAF) im Jahr 1972 einen Bombenanschlag auf das Hamburger Springer-Büro. Zuvor hatte sich die Bild-Zeitung aggressiv gegen die Studentenproteste der 1960er Jahre und die von ihnen geforderte gesellschaftliche Erneuerung positioniert. Sie hetzte insbesondere gegen Rudi Dutschke, die Führungsfigur der sogenannten "1968er" in Deutschland, der einem Attentat zum Opfer fiel.

Wie die 68er Deutschland veränderten

05:21

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Heute handele es sich bei Axel Springer jedoch kaum mehr um einen klassischen Verlag, sagt Medienwissenschaftler Christopher Buschow im Gespräch mit der DW. Viel eher sei Springer heute als ein Medienhaus oder ein Digitalkonzern zu verstehen, dessen zentrale Erlöse nicht mehr nur im Journalismus generiert würden, sondern auch in anderen Investments wie digitalen Rubrikenmärkten, etwa dem Jobportal "Stepstone". Über den Vorstandsvorsitzenden Mathias Döpfner sagt Buschow: "Mathias Döpfner hat sicherlich früher als andere Medienmanager verstanden, dass man auch in Märkte abseits des Journalismus investieren muss - und trotzdem ausgewählte Zeitungsgeschäfte beibehalten kann." Durch den Verkauf von Lokalzeitungen wie "Hamburger Abendblatt" und "Berliner Morgenpost" im Jahr 2014 konnte Geld eingenommen werden, dass dann wiederum dafür verwendet werden konnte, um in digitale Neuerungen zu investieren, sagt Buschow.  

Forscht zur deutschen Medienlandschaft in Weimar: Professor Christopher BuschowBild: Matthias Eckert

Der Konzern hat aber nicht nur eine digitale Transformation durchlaufen, er hat sich auch international breiter aufgestellt. So kaufte Springer im Jahr 2010 Medien in Osteuropa auf, verkaufte sie abermit Ausnahme der polnischen Anteile im Sommer diesen Jahres wieder - unter anderem auch deshalb, weil die Situation für den freien, unabhängigen Journalismus dort schwieriger geworden sei, vermutet Buschow.  

Springer will auf der großen Bühne mitspielen

Stattdessen konzentriert man sich zusammen mit dem US-Finanzinvestor KKR nun auf die Vereinigten Staaten, erklärt Buschow: "Das klare Ziel des Unternehmens ist es, auf der ganz großen Bühne mitzuspielen. Man hat erkannt, dass die Vereinigten Staaten in einer Plattform-basierten Medienwelt, wo die großen Tech-Giganten in vielerlei Hinsicht die Regeln machen, der Schlüssel sind, wenn man als Medienunternehmen global Wirkkraft entfalten will.

Nur im Kontext dieser Expansion ist zu verstehen, warum die Vorwürfe gegen den Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt nun solche Wellen schlagen - auch international. Denn es hatte schon früher Vorwürfe gegen Reichelt gegeben: Diese führten bereits im Frühjahr 2021 zu einer Konzern-internen Untersuchung durch eine Anwaltskanzlei. Julian Reichelt wurde damals zunächst freigestellt, aber nach nur zwölf Tagen Abwesenheit wieder eingesetzt.

"Vögeln, fördern, feuern"

Das deutsche Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" hatte schon im März 2021 über die interne Ermittlung berichtet und kam unter der Überschrift "Vögeln, fördern, feuern" zu dem Ergebnis, dass Julian Reichelt bei der "Bild" ein für Frauen feindliches Arbeitsumfeld geschaffen hätte. Wie die "New York Times" berichtet, beschäftigten sich auch Investigativ-Journalistinnen und -Journalisten in anderen deutschen Medien mit Julian Reichelt und den Vorwürfen gegen ihn, darunter die Journalistin Juliane Löffler vom Ippen-Verlag sowie ihre Kolleginnen und Kollegen beim "Handelsblatt". Der Ippen-Verlag ist eine konkurrierende Verlagsgruppe, dem wichtige hauptsächlich regionale Tageszeitungen in Deutschland gehören, unter anderem die "Frankfurter Rundschau" und der "Münchner Merkur".

Laut der "New York Times" wurden beide Recherchen jedoch unterbunden, beim "Handelsblatt" angeblich durch einen Anruf von Julian Reichelt persönlich, im Fall von Juliane Löffler durch den größten Aktionär des Ippen-Verlags, Dirk Ippen, nur Tage vor der geplanten Veröffentlichung - so schildert es zumindest die "New York Times". Während das "Handelsblatt" nicht auf eine E-Mail-Anfrage der "New York Times" antwortete, um Stellung zu nehmen, bekannte der Ippen-Verlag sich dazu, sich gegen eine Veröffentlichung entschieden zu haben. In seiner eigenen Stellungnahme auf YouTube bestreitet Mathias Döpfner, dass man versucht habe, die Berichterstattung zu unterbinden.

Auch in Deutschland wussten also genügend Journalistinnen und Journalisten um die Vorwürfe gegen Julian Reichelt und wollten diese öffentlich machen. Letztendlich brauchte es dazu aber die US-amerikanische "New York Times", die die Vorwürfe der Frauen nun im Detail darlegt. Erst durch die internationale Aufmerksamkeit aus den USA sah sich der Konzern dazu bewegt, den Chefredakteur der "Bild" aus seinem Amt zu entfernen. Mathias Döpfner sagt zu der Frage, ob der Konzern schon früher hätte eingreifen müssen, in seiner Stellungnahme: "Hinterher ist man immer schlauer."

Männer, die ihre Machtposition ausnutzen

Die "New York Times"-Recherchen zeichnen ein Bild von deutschen Redaktionen, in denen noch immer zu häufig Frauen Männern in Machtpositionen gegenüberstehen, von denen sich manche nicht scheuen, diese auszunutzen - und von einer deutschen Medienlandschaft, in der informelle Netzwerke aus Männern in hohen Positionen einander unterstützen, obwohl sie wirtschaftlich zueinander in Konkurrenz stehen. Mathias Döpfner ist nicht nur Vorstandsvorsitzender von Axel Springer, sondern auch Vorsitzender vom Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger. 

Nicht zuletzt zeigt die Enthüllung der Vorwürfe aber, dass die Expansion des Axel-Springer-Konzerns die deutsche Medienlandschaft in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit rückt: Axel Springer dringt zurzeit mit viel Geld auf den polarisierten US-amerikanischen Medienmarkt, insbesondere in die digitalen Medien. So kaufte der Konzern kürzlich für eine Milliarde US-Dollar das US-amerikanische Nachrichtenportal "Politico". Schon 2015 erwarb der Konzern auch das Online-Portal "Business Insider": Mathias Döpfner veröffentlichte seine jüngste Stellungnahme zu Julian Reichelt kurz vor seiner Reise nach Washington zu dem Neuerwerb "Politico". Jetzt, wo der Axel-Springer-Konzern sich auf den Medienmarkt in den Vereinigten Staaten etabliert, werden die Vorwürfe gegen Julian Reichelt auch international ganz genau beobachtet. 

 

Aktualisiert am 20.10.2021. Eine frühere Version dieses Artikels wurde am 19.10.2021 veröffentlicht.

Maria John Sánchez Autorin
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