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Obergrenze für Migranten an Schulen - eine gute Idee?

11. Juli 2025

Bildungsministerin Karin Prien kann sich vorstellen, den Anteil von Einwandererkindern an Deutschlands Schulen zu begrenzen. Sie erntet Zuspruch und Kritik.

Schüler und Schülerinnen mit Rucksäcken auf einer Straße, man sieht sie von hinten
Das Thema einer Migrationsquote an deutschen Schulen sorgt für hitzige DebattenBild: Wolfram Steinberg/dpa/picture alliance

Als Sabine Schwarz (Name von der Redaktion geändert) durch eine WhatsApp einer Freundin von dem Vorstoß der Bundesbildungsministerin erfährt, hält sie dies zunächst für einen schlechten Scherz. Eine Migrationsquote an deutschen Schulen sei ein "denkbares Modell", hatte Karin Prien geäußert, man müsse sich andere Länder anschauen, "ob das dann am Ende 30 oder 40 Prozent sind". 

Wenn sich von dieser Idee jemand angesprochen fühlen muss, dann ist es Schwarz: Sie ist Leiterin einer Grundschule in Nordrhein-Westfalen mit knapp 350 Schülern, davon mehr als 80 Prozent aus Einwandererfamilien.

Priens Idee würde in der Realität aber gar nicht funktionieren, sagt sie der DW: "Ich denke, sie hat weder über Wohnungspolitik nachgedacht noch über die Einstellung der Menschen, noch hat sie eine Ahnung, wie es tatsächlich in einigen Vierteln aussieht. Denn dann müssten Menschen in unseren Stadtteil ziehen, zumindest wenn man wohnortnah in die Schule gehen möchte. Wir kommen ja hier gar nicht auf die Quote an Menschen, die man als deutschsprachig oder deutsch bezeichnet."

Migrationsanteil für viele Eltern wichtiges Kriterium für Schulwahl

60 Prozent beträgt der Migrationsanteil im Viertel ihrer Grundschule. Aber die Deutschen, die in den Einfamilienhäusern direkt neben ihrer Schule wohnen, würden ihre Kinder lieber zu anderen Schulen bringen, erzählt Schwarz, das sei traurig.

Beim Thema Bildung bleibt man in Deutschland lieber unter sich: Nordrhein-Westfalen hat vor knapp 20 Jahren die Pflicht aufgehoben, sein Kind auf eine Schule im Umkreis zu schicken, selbst bei den Grundschulen gilt das Prinzip der freien Schulwahl. Die Konsequenz: Bildungsbewusste deutsche Familien meiden Schulen wie die von Schwarz - aus Angst, dass ein hoher Migrationsanteil den schulischen Erfolg ihrer Kinder negativ beeinflussen könnte.

"Wir müssen im Umgang mit dem Thema Migration in unserem Bildungssystem besser werden" - die deutsche Bundesbildungsministerin Karin PrienBild: Daniel Bockwoldt/dpa/picture alliance

"Was man immer heraushört, ist, dass Migration mit einem niedrigeren Bildungsniveau gleichgesetzt wird und dass die Kinder auch langsamer lernen. Doch das stimmt gar nicht. Wir haben zum Beispiel von der Flüchtlingswelle 2015 profitiert, weil wir viele Kinder bekamen, die sehr an einer guten Ausbildung interessiert waren."

Schwarz kritisiert, dass alle Kinder in einen Topf geworfen würden: "Traumatisierte Kinder mit Fluchterfahrung, die erst einmal gar nicht an Bildung denken können, sehr bildungsinteressierte Kinder und Kinder, die aus Armut geflohen sind." Das Motto ihrer Schule kommt nicht von ungefähr: Jedes Kind ist willkommen, egal, woher es kommt. Und kein Kind wird aufgegeben.

Deutschland beim Thema Bildung nur Mittelmaß

Beim Thema Bildung ist in Deutschland eines gewiss: Eigentlich sind sich Lehrer, Eltern, Schüler und Experten alle einig, dass das System dringend reformiert werden muss und es so nicht weitergehen kann. Zu schlecht schneidet Deutschland in vielen Kategorien ab: Bei der letzten PISA-Studie 2022 landete Deutschland im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld. Die Kompetenz der 15-Jährigen beim Lesen, in Mathematik und Naturwissenschaften fiel auf die niedrigsten Werte, die je gemessen wurden.

Jeder vierte Viertklässler in Deutschland hat laut der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung IGLU aus dem Jahr 2023 Schwierigkeiten beim Lesen. Und 56.000 Schülerinnen und Schüler verließen die Schule im selben Jahr hierzulande ohne Abschluss. Mehr als sieben Prozent, Tendenz steigend. Doch wagt sich ein Experte oder eine Politikerin mit einem Verbesserungsvorschlag aus der Deckung, ist der Aufschrei traditionell groß.

Auch Zustimmung für Priens Initiative für Schulen

Dabei gibt es nicht wenige, welche den Ansatz Priens gut verstehen können. Ein Argument: Auch die ukrainischen Kinder seien schließlich nach ihrer Ankunft möglichst gleichmäßig auf Schulen verteilt worden. Der bekannte deutsche Bildungsforscher, Klaus Hurrelmann, schreibt der DW: "Der Vorschlag der Ministerin ist nachvollziehbar, weil eine gut nach Herkunft gemischte Zusammensetzung von Schulklassen und Lerngruppen eindeutig zu einem besseren Arbeiten führt."

Nach der Flucht: ukrainische Schüler in Berlin

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Doch der Vorstoß sei in der Praxis kaum umzusetzen, weil er eine von vielen Eltern und Schülerinnen und Schülern als diskriminierend empfundene Identifizierung der Herkunft notwendig mache. "Die dadurch entstehenden Missverständnisse und als solche empfundenen Diskriminierungen wiegen mögliche Vorteile nicht auf. Besser wären Ansätze, die Schulen mit einem sehr hohen Anteil von Kindern und Jugendlichen mit Sprachproblemen unterstützen."

Startchancen-Programm: Förderung für Chancengleichheit

Ins gleiche Horn bläst auch Stefan Düll: Schulen mit einem hohen Migrationsanteil bräuchten eine "130-prozentige" Ausstattung mit Lehrkräften über die reine Unterrichtsabdeckung hinaus, um Fördermaßnahmen anbieten zu können. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes lobt in diesem Zusammenhang das Startchancen-Programm von Bund und Ländern: Für 4000 Brennpunktschulen machen sie in den nächsten Jahren 20 Milliarden Euro locker. Düll begrüßt die Debatte, die Prien angestoßen hat. Ihr Vorschlag jedoch würde an der Umsetzung scheitern und das Problem verlagern, vermutet er: Deutsche Eltern würden dann ihre Kinder auf Privatschulen schicken.

Er schreibt der DW: "Der Deutsche Lehrerverband weist schon seit Jahren darauf hin, dass es den Unterricht erheblich erschwert, wenn viele Schülerinnen und Schüler nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügen. Es bringt aber aus unserer Sicht wenig, Schülerinnen und Schüler umzuverteilen, nur um eine bestimmte Quote in einzelnen Klassen zu erreichen. Das ist organisatorisch kaum umsetzbar und fördert nicht den sozialen Zusammenhalt einer Schulgemeinschaft."

"Es geht nicht ausschließlich um Kinder mit Migrationshintergrund - auch andere Kinder haben sprachliche Defizite" - Stefan Düll, Präsident des Deutschen LehrerverbandsBild: Andreas Gebert/bpv

Schülerinnen und Schüler kritisieren Stigmatisierung

Die Bundesschülerkonferenz hat die Idee Priens von einer Migrationsquote an deutschen Schulen scharf kritisiert, weil sie ein gefährliches Signal setze: Nicht alle Kinder seien gleich willkommen, solche Quoten förderten kein gerechteres Bildungssystem, sondern Stigmatisierung. Herkunft dürfe niemals zum Kriterium der Bildungschancen werden. Und: Schulen müssten Orte der Teilhabe sein, nicht der Ausgrenzung. Kritik gibt es auch vom türkisch-deutschen Politiker Hakan Tas.

Aber die Schülerinnen und Schüler können sich mit einem Vorschlag der Bundesbildungsministerin anfreunden: "Wir befürworten die von Karin Prien angeregten Deutsch-Eignungstests für vierjährige Kinder. Diese müssen jedoch flächendeckend und verpflichtend für alle Kinder in Deutschland eingeführt werden. Bei unzureichenden Ergebnissen müssen gezielte, umfassende Fördermaßnahmen greifen - früh, verbindlich und wirksam. Nur so stellen wir sicher, dass jedes Kind mit gleichen Chancen in die Bildungslaufbahn startet."

Kindergärten entscheiden über Bildungserfolg

Denn die Realität ist häufig so wie an der Grundschule von Sabine Schwarz in Nordrhein-Westfalen. 60 Prozent der Kinder kämen mit unterschiedlichen Lernrückständen an ihrer Schule an, berichtet die Schulleiterin. Die Herausforderungen für die deutschen Schulen haben ihren Ursprung also viel früher, sie sind Folge der Probleme in den deutschen Kindergärten, ein Domino-Effekt.

Laut einer Studie fehlen deutschlandweit 125.000 Erzieherinnen und Erzieher in Kindertageseinrichtungen (Kitas), mehr als zwei Fachkräfte pro Einrichtung.

Schwarz kann dies aus eigener Erfahrung bestätigen: "Wir arbeiten sehr eng mit den Kindergärten zusammen, aber wir können mangelndes Personal dort nicht auffangen. Dort muss die Sprache mit ausgebildeten Fachkräften und den entsprechenden Ressourcen gefördert werden. Aber das geschieht im Moment leider nicht so, sodass wir einen Bruch zwischen Kindergarten und Grundschule haben." Die Schulleiterin betont: "Dabei ist die Arbeit in den Kindergärten ein Schlüssel für den Bildungserfolg in der Grundschule."

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