OECD: "Deutschland muss sich öffnen"
4. Februar 2013Obwohl es in Deutschland noch immer mehr als drei Millionen offiziell registrierte Arbeitslose gibt, sind 850.000 Stellen unbesetzt. In vielen Handwerker-Berufen wie Sanitär- und Heizungstechniker fehlten Arbeitskräfte, erläuterte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen am Montag (04.02.2013) in Berlin. Ebenso würde Pflegepersonal in Krankenhäusern und in der Altenpflege gesucht. Auf dem inländischen Arbeitsmarkt würden viele kleine und mittelständische Unternehmen nur noch schwer geeignete Arbeitskräfte finden.
"Das wollen wir ändern", sagte von der Leyen. In diesem Segment sei der deutsche Arbeitsmarkt bisher eher geschlossen gewesen. Eine "Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen" soll dies nun ändern. Die Bundesarbeitsministerin kündigte an, dass im Juli 2013 eine neue Beschäftigungsverordnung in Kraft treten soll. Verbesserungen soll vor allem eine sogenannte Positivliste bringen, also eine Liste mit sogenannten Mangelberufen, bei denen Facharbeiter gesucht werden.
Für Akademiker hatte die Bundesregierung eine solche Positivliste im Juni 2011 eingeführt und später erweitert. Im August 2012 wurde zudem durch die Einführung einer Blue Card die Zuwanderung von Akademikern aus EU-Ländern weiter vereinfacht. Bisher gebe es 2500 Bezieher einer solchen Card, sagte von der Leyen.
OECD: Gute Politik zahlt sich zu wenig aus
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schlägt für beide Segmente des deutschen Arbeitsmarkts, also für Akademiker und Facharbeiter, eine stärkere internationale Öffnung vor. Denn nur so könne die Abnahme der Zahl der Arbeitskräfte als Folge des demografischen Wandels abgemildert werden, sagte Yves Leterme, der stellvertretende OECD-Generalsekretär, in Berlin. Seiner Meinung nach seien die Lücken auf dem Arbeitsmarkt nicht allein durch eine stärkere inländische Mobilisierung oder Zuwanderung aus EU-Staaten zu füllen. Auch andere EU-Staaten stünden schließlich vor der Herausforderung des demografischen Wandels, so dass der Wettbewerb um Arbeitskräfte zunehme.
"Deutschland hat eine ganze Reihe von Reformen durchgeführt, die in die richtige Richtung gehen", bewertete Leterme die Politik der vergangenen Jahre. Das Land sei mittlerweile eines der OECD-Länder mit den geringsten Beschränkungen für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Allerdings sind die absoluten Zahlen im internationalen Vergleich eher gering, wie der OECD-Länderbericht zur "Zuwanderung ausländischer Fachkräfte" zeigt. Nur 25.000 Arbeitsmigranten aus Ländern außerhalb der EU und der Europäischen Freihandelsregion EFTA kommen demnach jährlich nach Deutschland - in Australien oder Kanada liegen die Zahlen fünf bis zehn Mal höher.
Viele Unternehmen wollen nicht
Der OECD-Bericht macht deshalb einige Vorschläge. "Die Unternehmen nutzen die neue Offenheit des deutschen Systems nur ganz beschränkt", sagte Leterme. Das zeige eine Umfrage unter 1100 Arbeitgebern, die für den Bericht durchgeführt wurde. Nur jeder Fünfte plane, Arbeitnehmer aus dem Ausland einzustellen. "Das ist zu kompliziert", so laute eine weit verbreitete Ansicht besonders bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. "Diese Grundeinstellung muss sich ändern", forderte Leterme.
Außerdem müssten im Ausland mehr spezifische Deutschkurse zum Beispiel für Auszubildende oder ausgerichtet auf einzelne der sogenannten Mangelberufe wie Krankenschwestern angeboten werden. "Die deutsche Sprache ist ein Hindernis für viele potentielle Arbeitsmigranten", so Leterme. "Denn gute Deutschkenntnisse gelten in vielen Unternehmen als wichtigstes Einstellungskriterium."
"Das System gängig machen"
Der OECD-Bericht wolle dazu beitragen, unterstrich Leterme, das Wissen über die Möglichkeiten auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu erhöhen. "Reformen ändern die Wahrnehmung der Menschen nicht über Nacht." Dafür seien viel Information und Transparenz vonnöten.
Nach Einschätzung der Bundesarbeitsministerin zeichne sich in Deutschland bereits ein Einstellungswandel ab. "Wir fragen nicht, woher jemand kommt, sondern was er oder sie kann und ob er oder sie unser Land voranbringt", so von der Leyen. Um offene Ausbildungsplätze in Deutschland zu besetzen, habe ihr Ministerium jüngst mit vergleichbaren Institutionen aus zehn europäischen Ländern gesprochen. "Wir wollen das System gängig machen", sagte von der Leyen, "so dass Suchende und Anbietende auch zueinander finden". Außerdem werden nun in einem Umfang von 140 Millionen Euro für Interessenten im Ausland Sprachkurse angeboten, deren Reisekosten übernommen und Intensivkurse in Deutschland veranstaltet.
Wenig Zuwanderer aus Krisenländern
Die Anregung der OECD, berufsspezifische Deutschkurse anzubieten, nehme sie gerne mit, sagte die Bundesarbeitsministerin. Insgesamt sei sie der Meinung, dass "so langsam durchsickert, dass es hier Arbeit gibt". Ein Hinweis darauf sei das nun wieder positive Wanderungssaldo, also das Verhältnis von Zu- und Abwanderung in Deutschland.
Auf die Frage nach der Herkunft der meisten Zuwanderer antworteten Leterme und von der Leyen, dass die meisten aus Mittel- und Osteuropa, besonders aus Polen, kämen. Und weniger aus den südlichen EU-Staaten mit extrem hohen Arbeitslosenzahlen, wie man vielleicht vermuten würde. Insgesamt betrachtet, so von der Leyen, wachse das Verständnis dafür, dass der europäische Arbeitsmarkt freizügig ist.