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Offensive gegen Taliban tritt auf der Stelle

30. September 2015

Binnen weniger Stunden haben die radikal-islamischen Taliban die nordafghanische Stadt Kundus erobert. Sie zurückzudrängen, erweist sich als schwierig und das, obwohl die Regierungstruppen klar in der Überzahl sind.

Afghanistan Kämpfe um Kundus
Bild: picture-alliance/AP Photo/N. Rahim

Zwar vertrieben afghanische Sicherheitskräfte nach eigenen Angaben die Islamisten aus dem Polizeihauptquartier der Stadt. Auch ein Angriff auf den Flughafen wurde nach einem Hilfseinsatz der US-Luftwaffe abgewehrt. Ein großer Teil des ehemaligen Bundeswehrstandortes blieb jedoch in der Hand der Aufständischen.

Wo bleibt der Wille zum Kampf?

Vertreter der Behörden vor Ort warfen den etwa 5000 einheimischen Soldaten, die am Flughafen stationiert sind, mangelnden Kampfeswillen vor. So sagte der Bürgermeister des Bezirks Chardara, Mohammed Sahir Niasi, den eigenen Truppen fehle die Kampfbereitschaft.

"Wir hätten genug Soldaten, um die Taliban anzugreifen, aber leider fehlt der Wille zum Kampf", sagte er. "Wir verteidigen uns nur." Auch bei der Organisation und Logistik hapert es offensichtlich: Hunderte afghanische Sicherheitskräfte, die zur Verstärkung kommen sollten, steckten in der Nachbarprovinz Baghlan fest, weil die Taliban Straßen mit Steinen und Sandsäcken blockiert hatten.

Die Einnahme von Kundus ist der größte Erfolg der Islamisten in ihrem seit 14 Jahren anhaltenden Aufstand gegen die Regierung in Kabul. Der Überraschungserfolg der Taliban löste massive Kritik auch an Präsident Aschraf Ghani aus. Aufgebrachte Abgeordnete des Kabuler Parlaments forderten seinen Rücktritt. "Es ist beschämend, wie sie mit der Lage in Kundus umgegangen sind", erklärte der Abgeordnete Ikbal Safi während einer turbulenten Sitzung, die direkt im Fernsehen übertragen wurde.

Unklar ist, wieviele Taliban-Kämpfer am Sturm auf Kundus beteilgt waren. Zwischen 400 und 2000 von ihnen sollen Kundus binnen weniger Stunden erobert haben. Ihnen standen 5000 bis 7000 afghanische Soldaten in der gleichnamigen Provinz gegenüber. Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, der als ein Spezialist bei der Bewertung des Afghanistan-Konflikts gilt, nannte es ein "Desaster" für Präsident Ashraf Ghani, dass die zahlenmäßig weit überlegenen, aber "völlig desorganisierten" Soldaten die Islamisten nicht zurückzudrängen vermochten.

Die Straßen voller Leichen

Wieviele Tote es bislang bei dem Sturm auf Kundus gegeben hat, ist noch offen. "Hunderte Taliban wurden getötet. Ihre Leichen liegen auf der Straße", sagte ein Sprecher der Polizei ohne genauere Angaben zu machen. Er betonte, es gebe weiter heftige Kämpfe. Aus afghanischen Sicherheitskräften hieß es, US-Luftangriffe hätten dabei geholfen, weitere Vorstöße der Taliban abzuwehren.

In die Kämpfe wurden nach Angaben der US-geführten Militärallianz auch Nato-Spezialkräfte verwickelt. Am Dienstag waren elf Bundeswehr-Soldaten als Teil eines internationalen Teams nach Kundus geflogen, um in der umkämpften
nord-afghanischen Provinzmetropole Informationen aus erster Hand zu bekommen. Ob auch sie in die Gefechte hineingezogen wurden, ist unklar.

Eine Gruppe von Beratern habe sich in der Nacht in der Nähe des Flughafens ein Gefecht mit Aufständischen geliefert, auch um sich selbst zu verteidigen, sagte ein Sprecher. Zur Nationalität der Soldaten machte er keine Angaben. Aus afghanischen Sicherheitskreisen verlautete, etwa 100 schwerbewaffnete und mit Nachtsichtgeräten ausgerüstete US-Soldaten hätten einen drohenden Durchbruch der Taliban gestoppt.

Kundus war 2011 die letzte größere Stadt, die die Taliban nach ihrem Sturz durch US-geführte Streitkräfte verloren hatte. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) betonte, es dürfe keinen überhasteten Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan geben. Erfahrungen aus der Region hätten gezeigt, "dass es wichtig ist, nicht zu früh ein Land gerade bei der Herstellung der Sicherheit sich selbst zu überlassen, das noch fragil ist".

EU warnt vor IS auch in Afghanistan

Der EU-Sonderbeauftragte für Afghanistan warnte vor einem Erstarken der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS). "In den vergangenen Wochen hat sich der IS in Afghanistan neu formiert", betonte Franz-Michael Mellbin in der Zeitung "Die Welt". Die sunnitischen Extremisten hätten unter anderem Stammesführer brutal ermordet und ganze Familien gefangen genommen.

haz/se (rtr, dpa, afp)

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