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Politik

Ohne Regierung: Nordirlands Weltrekord

Peter Geoghegan tön
13. September 2018

Im Januar 2017 platzte Nordirlands traditionell große Regierungskoalition. Über 600 Tage später hat die Region noch immer keine Regierung, während der Brexit existenzielle Fragen aufwirft. Peter Geoghegan aus Belfast.

Nordirland Belfast Parlament
Bild: picture-alliance/PA Wire/L. McBurney

Ende August demonstrierten in ganz Nordirland hunderte Menschen. Viele schwenkten selbstgemachte Banner mit der Botschaft: "Wir haben Besseres verdient." Nordirland hatte gerade einen ungewollten Weltrekord aufgestellt: Niemals zuvor war ein Land länger ohne Regierung. Da waren es 589 Tage, und die Zählung läuft weiter.

Das Karfreitagsabkommen, das 1998 den bewaffneten Nordirlandkonflikt beendete, sieht vor, dass sich Nationalisten und Unionisten im Belfaster Regionalparlament im Stadtteil Stormont die Macht teilen. Bis Januar 2017 regierten die katholische irisch-republikanische Sinn Fein und die protestantischen Hardliner der Democratic Unionist Party (DUP) als Koalitionspartner. Seitdem brachten eine Reihe von Gesprächen keine Verständigung über eine neue Regierung.

#WeDeserveBetter - "Wir haben Besseres verdient": Protest am 28. August in NordirlandBild: picture-alliance/PA Wire/D. Young

Kaum jemand erwartet, dass eine funktionsfähige Regierung vor dem EU-Austritt im März 2019 zustande kommt. "Vor dem Brexit wird nichts passieren", sagt Claire Hanna, Abgeordnete der irisch-nationalistischen Sozialdemokratischen und Labour Partei (SDLP). "Nordirlands Öffentlichkeit hat die Nase voll. Alle sind wütend."

Gemeinhin werden gescheiterte Regierungsparteien vom Wähler abgestraft. Nicht so in Nordirland. Das bleibt weiterhin tief gespalten zwischen denen, die im Vereinigten Königreich bleiben, und jenen, die Teil der Republik Irland werden wollen. Sowohl die DUP als auch Sinn Fein erreichen in Umfragen weiter Spitzenwerte. Und beide konnten bei den britischen Unterhauswahlen vom Sommer 2017 zulegen. 

"Die Schuld an der gescheiterten Regierungsbildung wird je nach Parteizugehörigkeit verteilt", sagt Hanna der DW. "DUP-Wähler zeigen auf Sinn Fein, Sinn Fein-Wähler zeigen auf die DUP."

Westminster hält sich raus

Wenn es früher einen politischen Patt in Stormont gab, hatte die Londoner Zentralregierung Nordirland unter ihre Direktverwaltung gestellt. Das aber gilt derzeit als politisch unmöglich. Denn Theresa Mays konservative Minderheitsregierung bleibt auf die Stimmen der DUP-Abgeordneten im Parlament von Westminster angewiesen.

Stattdessen kündigte Mays Nordirland-Ministerin Karen Bradley an, die Kompetenzen der nordirischen Verwaltung auszuweiten. "Damit haben wir schon vor einem Jahr gerechnet. Jetzt scheint es was zu werden", so ein ranghoher nordirischer Beamter, der anonym bleiben will, gegenüber der DW. "Der DUP-Einfluss in London bedeutet, dass sie keine Direktverwaltung verordnen können."

Nordirland-Ministerin Bradley war zwischenzeitlich selbst unter Druck geraten, nachdem sie einem Journalisten erzählt hatte, dass sie vor ihrem Amtsantritt wenig über Nordirland gewusst habe und es ihr auch ein wenig unheimlich sei.

Sinn Fein und DUP machen sich derweil gegenseitig für das Patt verantwortlich. Im August entrollte die DUP in Stormont ein Spruchband, das Sinn Fein den Stillstand ankreidete und DUP-Chefin Arlene Foster forderte Sinn Fein auf, "den Boykott zu beenden und eine Regierung hier in Nordirland möglich zu machen".

Arlene Foster, Vorsitzende der protestantischen und unionistischen DUP Bild: picture alliance/ZUMAPRESS

Sinn Fein-Politiker Conor Murphy spielte den Ball zurück und erwiderte, seine Partei habe im Februar eine Übereinkunft mit der DUP erzielt, von der diese kurz darauf zurückgetreten sei.

Für Steve Aiken, Abgeordneter der kleinen Ulster Unionist Party, sind sowohl Sinn Fein als auch die DUP für den Stillstand verantwortlich.

Ex-Premierministerin Arlene Foster ist in einen langwierigen Skandal um die Kostenexplosion bei der Einführung von Heizsystemen mit erneuerbaren Energien verwickelt, der sie nach Meinung vieler Beobachter auch den DUP-Vorsitz kosten könnte.

"Foster war verheerend für den Unionismus. Und verheerend für ganz Nordirland", meint Aiken. Der Ulster Unionist plädiert für einen Umbau der Machtteilung in Stormont, der zufolge bislang Nationalisten und Unionisten gemeinsam regieren müssen. "Es sollte möglich sein, eine Koalitionsregierung unter der jeweils stärksten Partei bilden zu können, auch wenn Sinn Fein oder DUP nicht mitziehen", sagte Aiken der DW.

Der Brexit und Irlands Grenzen 

Der Brexit erschwert die Regierungsbildung in Belfast zusätzlich. Die Nordiren hatten mehrheitlich für den Verbleib in der EU gestimmt. Und während die DUP vehement einen EU-Austritt unterstützt, fordert Sinn Fein ein Referendum darüber, ob Nordirland sich als Folge des Brexit der Republik Irland anschließen soll.

Unterdessen ist die Frage nach dem Status der inner-irischen Grenze zum zentralen Knackpunkt der Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU geworden. 20 Jahre nach dem Karfreitagsabkommen pocht London darauf, dass der Brexit Nordirland nicht schaden werde. Dublin dagegen befürchtet Veränderungen an der bisher offenen Grenze.

Manche Beobachter entdecken eine zielführendere Politik in Nordirland ohnehin jenseits der Regierungsstrukturen: "Auch wenn das Parlament derzeit suspendiert ist, passieren zurzeit viele kreative Dinge in Nordirland", so Peter Shirlow, Direktor des Institute of Irish Studies an der Universität Liverpool, zur DW.

Shirlow arbeitet an einem Projekt, das neue Räume für einen Dialog in der nordirischen Zivilgesellschaft ausloten will - durch "Mini-Öffentlichkeiten" in verschiedenen Communities, jenseits der oftmals stark parteipolitisch geprägten Debatten. "Was wir zu zeigen versuchen, sind die anderen, die ungehörten Stimmen, die sich normalerweise kaum bemerkbar machen können", sagt Shirlow. In einem Belfast ohne Regierung haben sie vielleicht eine Chance, gehört zu werden. 

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