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Ohne Sicherheit

Ratbil Shamel1. Dezember 2007

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist katastrophal. Kaum eine Woche vergeht ohne einen neuen Anschlag. Die Taliban und Al-Kaida sind noch längst nicht verschwunden aus dem Land. Doch die Regierung verschließt die Augen.

Zerstörte und brennende Autos. (Foto: AP Photo/Musadeq Sadeq)
Bombenanschläge, Selbstmordattentate und Morde - das Handwerk der TalibanBild: AP

Er ist um seine Aufgabe nicht zu beneiden: Zemarai Baschari, Sprecher des afghanischen Innenministeriums in Kabul. Während alle anderen Verantwortlichen für die Sicherheitsfragen in Afghanistan ziemlich kamerascheu geworden sind, muss er Rede und Antwort stehen. Zum Beispiel über die Zahl der Opfer in verschiedenen Kampfgebieten oder über die Hintermänner eines Selbstmordanschlages irgendwo im Land - und das seit über einem Jahr fast täglich.

Taliban sind allgegenwärtig

Muss Rede und Antwort stehen: Zemarai BashariBild: AP

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist alles andere als zufriedenstellend. Die Taliban und ihre Helfer agieren mittlerweile im ganzen Land. Bombenanschläge, Selbstmordattentate, Morde an Lehrern, Polizisten und so genannten Regierungsspitzeln gehören genau so zu ihrem Handwerk wie Angriffe auf Militärstützpunkte und Bezirksregierungen. Baschari hat inzwischen bei der Fülle der Ereignisse in seinem Land Standard-Antworten für die vielen lästigen Fragen parat. Er spricht von Feinden des afghanischen Volkes, von Fehlinformationen, von Missverständnissen und von Journalisten, die alles übertreiben und mit Absicht eine Sicherheitskrise in Afghanistan herbeidichten. In Wahrheit sei alles halb so schlimm, wie allgemein angenommen werde.

Polizisten laufen über zu den Taliban

Unterbezahlt: Afhanische PolizistenBild: AP

So ähnlich lautete auch seine Antwort als er zum jüngsten Überlaufen von 13 Polizisten samt ihrer Ausrüstung zu den Taliban im Südwestprovinz Farah gefragt wurde: "Hier liegt ein Missverständnis vor", erklärt er. "Die Polizisten sind nicht zu den Taliban übergelaufen. Sie hatten Urlaub bekommen und sind mit ihren Waffen und Fahrzeugen zu ihren Wohngebieten gefahren. Später wurden sie von ihrem Kommandanten zurück beordert und kamen zu ihren Dienststellen zurück."

Die Agenturmeldungen berichten aber das Gegenteil. Selbst der verantwortliche Offizier für die Südwest-Provinzen lehnt die Version des Sprechers vom Innenministerium ab: "Soweit ich informiert bin, sind einige Polizisten, die mit ihren Vorgesetzten unzufrieden waren und angeblich einige Zeit kein Gehalt bekommen haben, nicht mehr bei ihrer Dienststelle erschienen."

Schlecht bezahlt, schlecht ausgerüstet

Es ist nicht das erste Mal, dass Polizisten und Soldaten sich den Taliban ergeben. Die afghanischen Sicherheitskräfte sind schlecht bezahlt und noch schlechter ausgerüstet. Viele von ihnen haben anscheinend keine Motivation mehr, sich für 50 bis 100 Dollar im Monat einem Feind entgegen zu stellen, der von Tag zu Tag stärker und brutaler wird. Zudem werden ihre Gehälter nicht einmal pünktlich bezahlt. Doch auch Polizisten müssen Miete zahlen und für ihre Familien sorgen. Nur wie? Immer mehr Polizisten tun das offenbar auf dem illegalen Weg. Sie greifen den Bürgern, die sie eigentlich beschützen müssten, so oft es geht in die Tasche.

"Lieber zu den Taliban"

Machtlos stehen die Polizisten den vielen Anschlägen gegenüberBild: AP

Oder wie der Afghanistan-Experte Fahim Daschti es erklärt, machen die Sicherheitskräfte gemeinsame Geschäfte mit kriminellen Banden und Drogenschmugglern. "Die Bevölkerung hat längst kein Vertrauen mehr zu den offiziellen Sicherheitskräften und Regierungsbehörden. Mancherorts gehen sie bei Streitigkeiten lieber zu den Kämpfern von Taliban und ihren Mullahs, als die offiziellen Dienststellen zu konsultieren. Sie wissen, dass die Staatsbeamten nur denjenigen Recht geben, die mehr Bakschisch zahlen können”.

Augen verschließen vor der Realität

Die Regierung in Kabul lehnt aber solche Beschwerden kategorisch ab. Sie verschließt die Augen vor den Realitäten des Landes. Dashti zufolge gehen die Machthaber in Kabul davon aus, dass ihnen nichts passieren kann, solange sie die Unterstützung der westlichen Länder genießen. Diese Politiker verstehen sich als natürliche Partner der USA; Partner, auf die der Westen im zentralasiatischen Durcheinander nicht verzichten kann, ja nicht verzichten darf. Also lautet ihre Divise: Zufriedene Amerikaner seien besser als zufriedene Afghanen.

Doch dies ist keine Lösung. Die Bevölkerung fühlt sich nicht ernst genommen und von der eigenen Regierung im Stich gelassen. Viele glauben nicht mehr, dass diese Regierung in der Lage sein wird, das Problem der Taliban zu lösen. Sie haben aber auch ihr Vertrauen in die Stärke der amerikanischen Streitkräfte verloren, die auf Anschläge der Taliban mit immer mehr Luftangriffen reagieren. Das Ergebnis: viele zerstörte Dörfer und zahlreiche Opfer unter der Zivilbevölkerung.

Die Stammesältesten der acht südlichen Provinzen haben noch Anfang dieser Woche erneut die Regierung aufgefordert, mit den Taliban über eine Zusammenarbeit zu verhandeln. Sie forderten Aufbauprojekte für ihre Regionen und ein Ende der Militäraktionen. Die Antwort der Regierung steht bislang noch immer aus. Fahim Daschti warnt vor einer Unterschätzung der wachsenden Stärke der Taliban: "Wenn die Regierung und die helfenden Staaten ihre Strategie nicht ändern und nicht endlich brauchbare Konzepte zum Wiederaufbau des Landes liefern, so besteht die Gefahr, dass wir in ein oder spätestens zwei Jahren mit dem Sieg der Taliban im ganzen Land rechnen müssen." Zemarai Baschari, der Sprecher des afghanischen Innenministeriums, sieht das natürlich ganz anders.

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