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Musik

Oksana Lyniv: "Tragödie in Ukraine betrifft jeden"

Gero Schließ
6. August 2022

Mit ihrer Leitung des "Fliegenden Holländers" bei den Bayreuther Festspielen hat Oksana Lyniv 2021 Publikum und Kritiker überzeugt. 2022 ist sie wieder da - doch die Welt hat sich verändert.

Oksana Lyniv mit Dirigentenstab in der Hand und verschränkten Armen. Sie blickt in die Ferne und lächelt leicht.
Oksana Lyniv gehört zu den ganz Großen am DirigentenpultBild: picture alliance/dpa/Bayreuther Festspiele

Die ukrainische Dirigentin Oksana Lyniv machte 2021 Schlagzeilen: Sie war die erste Frau, die ein Orchester bei den Bayreuther Festspielen dirigierte - in 145 Jahren Festivalgeschichte. In diesem Jahr ist sie wieder dabei und übernimmt - wie 2021 - die musikalische Leitung des "Fliegenden Holländers". Die Aufführung feiert am 6. August Premiere. Oksana Lyniv arbeitet zurzeit als Künstlerische Direktorin des von ihr mitbegründeten internationalen Festivals LvivMozArt im ukrainischen Lviv/Lemberg und ist die Leiterin des Ukrainischen Jugendsymphonieorchesters. Die DW hat Oksana Lyniv am Rande der Bayreuther Festspiele getroffen und mit ihr über ihre Rolle als Dirigentin, über Bayreuth und die Sexismusdebatte, sowie über ihre Gefühle angesichts des russischen Angriffskrieges auf ihre Heimat gesprochen.

Deutsche Welle: Frau Lyniv, wie fühlt es sich an, ein Jahr nach Ihrem Debüt nach Bayreuth zurückzukehren?

Oksana Lyniv: Sehr schön. Ich bin sehr froh, dass mein so wichtiges Bayreuther Debüt schon letztes Jahr gewesen war. Dieses Jahr wäre das unter den gegebenen Umständen viel schwieriger geworden.

Und fühlt sich das zweite Mal ein bisschen komfortabler und einfacher an - mit weniger Druck?

Auf jeden Fall. Jetzt kann ich mich nur auf die Musik konzentrieren und nicht mehr auf diese wahnsinnige Medienpräsenz und Publicitywelle. Und ehrlich gesagt, dieser Genderfrage wird viel zu viel Bedeutung beigemessen. Mann, Frau, Mann, Frau - das hat überhaupt nichts mit unserer Arbeit zu tun. Ich habe mich sehr gefreut, als ich in die erste Probe reinkam, und viele Musiker haben mich angesprochen und gesagt: 'Wir freuen uns so sehr, dass wir auch dieses Jahr miteinander musizieren dürfen.' Den Musikern ist es gleich, ob ich eine Frau bin oder nicht; das Wichtige ist uns allen, dass wir wirklich tolle Vorstellungen machen und dass wir alle Spaß haben, zusammenzuarbeiten.

Dirigieren mit Botschaft: Oksana Lyniv im März in Bologna

Hier in Bayreuth tobt ja eine Sexismusdebatte. Es soll Übergriffe auf Frauen gegeben haben. Selbst die Festspielleiterin Katharina Wagner war davon betroffen und will damit aufräumen. Welche Erfahrung haben Sie persönlich gemacht und wie sehen Sie diese Debatte?

Ich war sehr überrascht, davon zu lesen. Ich habe damit überhaupt keine schlechten Erfahrungen gemacht. Von meinem ersten Tag in Bayreuth an habe ich immer großen gegenseitigen Respekt gefühlt. Von allen Mitarbeitern und vom Orchester. Wenn Katharina Wagner das bestätigt, dann muss da was dran sein. Es ist sehr schlimm, wenn das der Wahrheit entspricht. Und das muss untersucht werden, weil solche Sachen weder in unsere Branche gehören noch in unsere Gesellschaft.

Wenn man in die gesamte klassische Musikszene blickt - was können Sie zum Thema Sexismus, zu Ihrer eigenen Erfahrung und auch generell sagen?

Es ist kein Geheimnis, dass Sexismus in der klassischen Szene früher sehr verbreitet war. Natürlich hatte das mit dem Mythos Maestro zu tun, mit den Männern, die eine gewisse Übermacht haben und wovor alle sozusagen die Augen verschließen. Das ist natürlich schlimm. Ich als junge Dirigentin hatte allerdings mehr mit diesem Spruch zu tun, von älteren Kollegen oder männlichen Dirigenten: Das wirst du sowieso nicht schaffen. Was probierst du da? Was träumst du da? Also vielleicht eher so etwas.

Und ja, das ist sehr beleidigend. Und ich freue mich, dass wir jetzt die Zeit erleben, wo so was nicht sein darf, wo respektvoller Umgang zwischen Dirigent und Orchestermusikern erwartet wird. Ich freue mich auch, dass unsere Branche immer multinationaler wird, auch immer mehr Diversity stattfindet. Wenn wir als Gesellschaft nicht an unseren Fehlern arbeiten, dann wird so etwas nicht funktionieren.

Die Bayreuther Festspiele öffnen sich mehr und mehr Neuem und scheinen auch die Nähe zu einem neuen Publikum zu suchen...

Picknick mit Wagner: das Open Air-KonzertBild: Gaby Reucher/DW

Ja, ich bin begeistert davon, dass die Bayreuther Festspiele immer offener werden und sie immer nach neuen Formaten suchen. Dieses Jahr war es das ganz neue Open Air-Format im Festspielpark. Die Idee dahinter ist, die Musik direkt zu den Menschen zu bringen, keine Eintrittskarten, keine festen Sitzplätze. Jeder kann kommen mit Decken, mit Picknick, mit Familien. Und das Konzept ist sehr schön, unter dem Motto "Glaube, Liebe, Hoffnung."

Ein sehr schönes Motto angesichts der Situation in Ihrer Heimat, der Ukraine...

Ja, das ist wirklich eine Tragödie. Und ich glaube, diese Tragödie betrifft jetzt auch jeden, nicht nur in der Ukraine Wohnende, aber überhaupt jeden Menschen, der für europäische Werte, demokratische Werte, humanistische Werte steht.

Man wird mit Tod und Angriff und Gewalt und Brutalität einfach konfrontiert. Und ja, das ist emotional sehr, sehr schwer und man sucht dann auch irgendwelche Erklärungen. Für mich ist es auch hilfreich, daran zu denken, dass es auch in früheren Jahrhunderten Kriege und Revolutionen gab. Aber trotzdem haben großartige Komponisten Musik geschrieben und uns Werke hinterlassen, die immer noch für uns jetzt relevant sind.

Was kann Musik wirklich verändern in so einer verzweifelten Situation, in der sich die Ukraine momentan befindet?

Oksana Lyniv: Musik ist die Sprache unserer HerzenBild: privat

Leider können wir als Künstler den Krieg nicht stoppen. Wir können keinen Einfluss auf Politiker nehmen, aber die Musik und die Kunst sind unglaublich nachhaltig. Das ist die Sprache unserer Herzen, unserer Seelen - und das ist die Sprache, die auch direkt ins Herz von anderen dringt. Wenn wir schon nicht direkt helfen können, so können wir empathisch sein. Und Empathie gibt Hoffnung, und Hoffnung gibt die Kraft, solche schlimmen Sachen auszuhalten und nicht verzweifelt zu sein. Wenn wir uns jetzt nur mit Aggression und Verzweiflung beschäftigen und auf der anderen Seite kein Licht sehen, dann haben wir keine Zukunft.

 

Das Gespräch führte Gero Schließ. 

Redaktion: Silke Wünsch

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