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Oktoberfest im Urwald

Marc von Lüpke-Schwarz18. August 2013

Schweinshaxe und Kirschtorte isst man nicht nur in Deutschland. Auch Brasilianer kommen in den Genuss dieser Spezialitäten. Denn ein Deutscher gründete dort Mitte des 19. Jahrhunderts die Kolonie Blumenau.

Oktoberfest in Blumenau (Foto: Marcelo Martins)
Bild: Marcelo Martins

Männer in krachledernen Hosen, Damen in weit ausgeschnitten Dirndln. Und alle trinken miteinander raue Mengen Bier aus gewaltigen Maßgläsern: Ganz klar, es ist Oktoberfest. Doch wem es auf der traditionellen Münchner "Wiesn" beim größten Volksfest der Welt dann doch etwas zu voll ist, der kann es auch eine Nummer kleiner haben - eine Schönwettergarantie inklusive. In der kleinen Stadt Blumenau werden jedes Jahr im Oktober ebenfalls etliche Fässer Bier geleert. Nur befindet sich Blumenau weit südlich des Äquators, in Brasilien. 1850 haben sich hier mitten im Urwald deutsche Siedler niedergelassen - und wären fast gescheitert.

Ein reiselustiger Apotheker

Tausende Deutsche verließen Mitte des 19. Jahrhunderts ihre Heimat auf der Suche nach Freiheit und Wohlstand. Doch auszuwandern war eine riskante Angelegenheit. Betrüger und Halsabschneider witterten in den Emigranten leichte Beute. Der Chemiker und Apotheker Hermann Blumenau wollte seinen auswanderungswilligen Landsleuten helfen. 1819 in einer kleinen provinziellen Stadt im Harz geboren, hatte er schnell mächtiges Fernweh entwickelt.

Vor allem die Reisen des berühmten Naturforschers Alexander von Humboldt, der viele Jahre Südamerika erforscht hatte, begeisterten ihn. Brasilien wurde das Land seiner Träume, 1846 reiste er das erste Mal dorthin. "Ich habe am Rio Benedito die herrlichsten Waldlandschaften gesehen. Und um und über alles dies der Ausdruck einer unbeschreiblichen Ruhe und Majestät, eine warme, würzige Luft und ein köstlich blauer Himmel", schwärmte er in einem Brief.

Pharmazeut und Auswanderer: Denkmal des Stadtgründers Hermann BlumenauBild: picture-alliance/dpa

200 Quadratkilometer Urwald

In dieses herrliche Land wollte er fortan auch seine Landsleute locken. Sein Werben war erfolgreich, 17 Deutsche kamen 1850 tatsächlich in Brasilien an. Am Fluss Rio Itajaí, rund 50 Kilometer vom Atlantik entfernt, beschlossen sie, ihre Ortschaft zu errichten und von der Landwirtschaft zu leben. Rund 200 Quadratkilometer Urwald hatte Blumenau zu diesem Zweck von der Regierung erworben. Mitten im brasilianischen Urwald errichteten die Siedler Fachwerkhäuser, wie sie auch in zahllosen deutschen Städten zu sehen waren.

Doch Hermann Blumenau hatte einen zwar landschaftlich idyllischen, ansonsten aber überaus gefährlichen Ort für seine Siedlung gewählt. Bei dem erworbenen Land hatte es sich nämlich keineswegs um einen zuvor unbewohnten Landstrich gehandelt. Die ursprünglichen Bewohner wehrten sich nach Kräften gegen die Eindringlinge. 1855 eskalierte der Konflikt, zwei deutsche Einwanderer wurden nicht weit von ihren Häusern entfernt von Indianern ermordet. Hermann Blumenau war schockiert: "Was ich bei meiner Ankunft an der Unglücksstelle sah, war schrecklich und vielleicht das Schmerzlichste meines ganzen bisherigen Lebens."

Am Rande des Ruins

Gegen den Widerstand der Indianer errichteten die Deutschen Sägewerke und Ölmühlen, bauten Häuser und Bauernhöfe. 1855 jedoch lernten sie zu allem Überfluss die Unberechenbarkeit des Rio Itajaí kennen. In einem gewaltigen Hochwasser verloren die Siedler fast alles, was sie bis dahin aufgebaut hatten. Blumenau stand vor dem Nichts, doch mit viel Glück konnte sich die Siedlung behaupten - allerdings oft am Rande des Ruins. Erst 1860 besserte sich die Lage. Blumenau wurde von der Regierung zur bestverwalteten Siedlerkolonie des Landes erklärt. Und der brasilianische Staat übernahm die Verantwortung für die kleine Gemeinde.

Fachwerkhäuser in BlumenauBild: picture-alliance/dpa

Hermann Blumenau erhielt nun den offiziellen Titel eines Direktors der Kolonie. Wie in einem Wirtschaftsunternehmen konnte er allein über die Angelegenheiten von Blumenau entscheiden. Und anscheinend hatte der Apotheker aus dem Harz dafür durchaus Begabung. Nach und nach zog die Siedlung immer mehr Einwohner an. Als Hermann Blumenau 1884 nach Deutschland zurückkehrte, hatte der Ort, der einst mit 17 Kolonisten angefangen hatte, über 18.000 Einwohner.

Deutsch sprechen verboten!

Eine Art Kleindeutschland mitten in Brasilien war entstanden. Die als fleißig geltenden Deutschen waren im Land hoch angesehen. 1942 jedoch war damit Schluss: Brasilien zog in diesem Jahr in den Krieg gegen das nationalsozialistische Deutschland. Deutsch zu sprechen wurde verboten. Wer es trotzdem tat, konnte in dieser Zeit festgenommen werden.

Feiern wie auf der Wiesn in München: Oktoberfest in BlumenauBild: Marcelo Martins

Bis heute jedoch gibt es noch viele Menschen in Blumenau und Umgebung, die des Deutschen mächtig sind. Und viele deutsche Traditionen - echte und vermeintliche - stehen heute in Brasilien hoch im Kurs. Seit 1983 wird auch das Oktoberfest in Blumenau gefeiert. Hunderttausende Besucher strömen jedes Jahr dorthin. Die Idee, ein Oktoberfest auszurichten, entstand 1983, als der Rio Itajaí wieder einmal verheerende Zerstörungen angerichtet hatte. Mit den Erlösen finanzierte man damals den Wiederaufbau. Hermann Blumenau wäre wohl zufrieden gewesen mit dem Einfallsreichtum seiner Nachfolger.

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