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Olaf Scholz entgleitet die Taurus-Debatte

20. März 2024

Bundeskanzler Scholz hat entschieden, dass die Ukraine keine Taurus-Marschflugkörper aus Deutschland bekommt. Aber die Diskussion zieht immer weitere Kreise und entzweit seine Koalition.

Mann im dunklen Anzug spricht am Rednerpult vor schwarzem Hintergrund, sein Gesicht wird von der Sonne angestrahlt
Bundeskanzler Olaf Scholz hat der Ukraine in einer Regierungserklärung erneut Hilfe "so lange wie notwendig" zugesichert - die Marschflugkörper Taurus gehören aber nicht dazuBild: Liesa Johannssen/REUTERS

Waffenzusagen an die Ukraine sind auch eine Gelegenheit für die Bundesregierung, vom Streit um die Taurus-Marschflugkörper abzulenken, die sich die Ukraine so sehr wünscht. Deutschland will Kiew weitere 500 Millionen an Militärhilfe geben, darunter dringend benötigte Artilleriemunition.

Das war ein Ergebnis eines Treffens der westlichen Ukraine-Unterstützer auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein. Was die Ukraine nach wie vor nicht bekommt, sind die Taurus mit einer Reichweite von 500 Kilometern. Sie könnten auch Ziele in Moskau treffen.

Die Lenkflugkörper vom Typ Taurus sind eine Hochleistungswaffe aus deutscher Produktion. Sie können auch mehrstöckige Betonbunker zerstören, hier bei einer ÜbungBild: Luftwaffe

Bundeskanzler Olaf Scholz lehnt eine Lieferung ab. Er sieht die Gefahr, dass Deutschland dann in den Krieg hineingezogen würde. Doch er wird die Diskussion nicht mehr los, auch nicht innerhalb seiner Dreiparteienkoalition aus SPD, Grünen und FDP.

Was bedeutet "einen Konflikt einfrieren"?

Für Empörung im In- und Ausland sorgte vor allem der Satz des SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich in einer parlamentarischen Aussprache der vergangenen Woche: "Ist es nicht an der Zeit, dass wir nicht nur darüber reden, wie man einen Krieg führt, sondern auch darüber nachdenken, wie man einen Krieg einfrieren und später auch beenden kann?"

Das "Einfrieren" haben Kritiker als Preisgabe der Ukraine gedeutet. Friedrich Merz, Chef der größten Oppositionspartei CDU, sagte: "Der Krieg in der Ukraine ist schon einmal eingefroren worden, nämlich im Jahr 2014 durch die beiden Minsker Abkommen. Und was Putin von Einfrieren hält, das können Sie bis zum heutigen Tag jeden Tag in den Nachrichten sehen."

Die Kritik kommt aber erneut auch von innerhalb der Koalition. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann hat der SPD im Deutschlandfunk "Appeasement"-Politik vorgeworfen; also eine Beschwichtigungspolitik. Strack-Zimmermann hat bereits zwei Mal bei Bundestagsabstimmungen zu Taurus gegen die Regierung gestimmt, obwohl ihre Partei Teil der Koalition ist.

Der Politikwissenschaftler Johannes Varwick von der Universität Halle verteidigt die Idee des Einfrierens: "Einen Konflikt 'einzufrieren' bedeutet keineswegs, ihn zu lösen, aber ihn an einer weiteren Eskalation zu hindern", so Varwick gegenüber der DW.

"Ein unter den bestehenden Bedingungen 'unlösbarer' Konflikt wird nicht durch das Anstreben einer Ideallösung überfrachtet, sondern durch einen beiden Seiten zu vermittelnden Minimal-Kompromiss 'auf Eis' gelegt. Das bedeutet natürlich keine Erfolgsgarantie, ist aber angesichts der Alternativen eine verantwortbare Strategie."

Lob von den Falschen

Heikel für Scholz ist das Lob von Leuten, mit denen er politisch nicht das geringste zu tun haben will. Das kam zum Beispiel von Björn Höcke, vom äußersten rechten Rand der rechtspopulistischen AfD. Oder von Sahra Wagenknecht, die kürzlich eine nach ihr benannte Partei gegründet hat; beide Parteien würden die Ukraine militärisch am liebsten gar nicht unterstützen.

Die russischen Zerstörungen ukrainischer Wohnviertel gehen weiter, hier Anfang März in OdessaBild: Ukrainian Emergency Service Office/AP Photo/picture alliance

Und dann lobte auch noch der ehemalige SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder den aktuellen Amtsinhaber. Schröder hat zwar den russischen Einmarsch in der Ukraine kritisiert, ist aber nach wie vor mit Russlands Präsident Wladimir Putin befreundet.

"Von Gerhard Schröder gelobt und vereinnahmt zu werden, zeigt eindeutig, dass er auf dem falschen Weg ist", sagte Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder und meint damit Olaf Scholz.

Braucht Deutschland die Taurus selbst?

Inzwischen wird weiter über die Hintergründe von Scholz‘ Weigerung spekuliert. Der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter nannte die vorgebrachten Gründe, Deutschland vor einer Kriegsbeteiligung zu bewahren, gegenüber der DW "Scheingründe".  Er mutmaßt, der Bundeskanzler sei möglicherweise bereit, einen "Diktat-Scheinfrieden" Russlands für die Ukraine zu akzeptieren. Er fordert seit langem die Taurus für Kiew.

Taurus-Raketen für die Ukraine?

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Doch Johannes Varwick meint, die Taurus würden für den Fortgang des Krieges überschätzt: "Solidarität mit der Ukraine ist keine Frage von möglichst vielen und schweren Waffenlieferungen, sondern eine Frage des Grades der diplomatischen Initiativen, diesen Krieg mit unpopulären, aber realistischen Ansätzen zu beenden."

Mutmaßliche Äußerungen von Bundeswehr-Generalinspekteur Carsten Breuer in einer geheimen Sitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages haben die Spekulationen weiter angeheizt. Der oberste Offizier der Bundeswehr soll im Fall einer Taurus-Lieferung von einer Fähigkeitslücke für die deutschen Streitkräfte gesprochen haben, wie das Portal "t-online" berichtete. 

Es kracht in der Koalition: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), die Vorsitzende des VerteidigungsausschussesBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Mehrheit der Deutschen gegen Taurus-Lieferung

Scholz spürt zwar sowohl von seinen Koalitionspartnern FDP und Grüne als auch von der CDU/CSU-Opposition starken Gegenwind, kann sich bei seiner Position zu Taurus aber der Zustimmung der Mehrheit der deutschen Bevölkerung sicher sein. Einer neuen Forsa-Umfrage zufolge lehnen 66 Prozent eine Taurus-Lieferung ab.

Ende Februar waren 35 Prozent dafür; nach der neuen Erhebung nur noch 28 Prozent. Nur bei den Anhängern der Grünen gibt es für eine Lieferung eine Mehrheit. Die meisten FDP-Anhänger (54 Prozent), SPD-Anhänger (70 Prozent) und Unions-Anhänger (60 Prozent) sind dagegen.

Solche Ergebnisse werden sich sowohl Olaf Scholz als auch die Chefs derjenigen Parteien genau ansehen, die für eine Taurus-Lieferung eintreten. Vor allem angesichts der anstehenden Europawahlen Anfang Juni. Dabei dürfte der Krieg in der Ukraine und wie man ihn beenden kann, ein wichtiges Thema sein.

Der Bundeskanzler hat sich zuletzt abfällig über die Taurus-Debatte selbst geäußert, die er offenbar nicht mehr kontrollieren kann. Sie sei "an Lächerlichkeit nicht zu überbieten" und "peinlich". Doch dass sein Taurus-Machtwort "Ich bin der Kanzler, und darum gilt das", noch nicht einmal in den eigenen Reihen wirkt, zeigt seinen Autoritätsverlust.

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