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Politik

Scholz: "Hier gilt die Herrschaft des Rechts"

11. August 2021

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz fordert im DW-Interview mit Chefredakteurin Manuela Kasper-Claridge und Moderator Jaafar Abdul-Karim eine neue Ostpolitik für Europa und Integrationsperspektiven für Flüchtlinge weltweit.

DW Interview BTW Olaf Scholz SPD
Bild: Ronka Oberhammer/DW

Manuela Kasper-Claridge (MKC): Herzlich willkommen zum Interview mit dem Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten, Olaf Scholz. Schön, dass Sie da sind.

Jaafar Abdul-Karim (JAK): Herzlich willkommen und Ahlan wa Sahlan Herr Scholz. Sie wollen Angela Merkel als Bundeskanzlerin ablösen. Was können Sie, was Angela Merkel nicht kann?

Olaf Scholz: Zunächst mal haben Angela Merkel und ich sehr lange und sehr gut zusammengearbeitet. Schon einmal in der ersten Regierung Merkel als Arbeitsminister, dann als Bürgermeister auf der Seite der Länder, im Gespräch mit der Bundesregierung, jetzt als Bundesminister der Finanzen und Vizekanzler. Das hilft natürlich für all das, was ich mir vorgenommen habe für die nächste Zeit. Und natürlich habe ich auch einen guten und klaren Plan für die Zwanzigerjahre, für das, was jetzt zu tun ist, wie wir dafür Sorge tragen können, dass in unserer Gesellschaft mehr Respekt herrscht und wie wir die wirtschaftlichen Grundlagen dafür schaffen können, dass wir auch in 10, 20, 30 Jahren noch gute Jobs haben.

JAK: Ich weiß aber immer noch nicht, was Sie können, was Angela Merkel nicht kann.

Ich kann die Regierung führen, eine Koalition aus drei Parteien bilden und dafür sorgen, dass wir genau die Herausforderungen, über die ich eben gesprochen habe, bestehen.

MKC: Herr Scholz, Sie sind wahrscheinlich guter Stimmung, denn die neuesten Umfragen zeigen, dass eine Koalition aus Rot-Rot-Grün möglich wäre. Also Sozialdemokraten, Linken und die grüne Partei. Ist das auch die Koalition, die Sie persönlich favorisieren?

Für mich gibt's eine ganz klare Aussage, wo ich froh bin, dass das nicht nur von mir so kommt, sondern auch von anderen Parteien so gesehen wird. Es wird keine Regierungsbildung mithilfe der AfD geben. Die gehören nicht beteiligt am Regierungsbildungsgeschehen in Deutschland. Und es ist gut, dass der kurze Versuch in Thüringen, so etwas zu machen, dazu beigetragen hat, dass die Überzeugung aller Parteien da ganz entschieden ist. Und zweitens glaube ich, dass wir es hinbekommen müssen, dass CDU/ CSU sich einmal in der Opposition erholen. Da fehlt es an den richtigen Plänen für die Zukunft. Aber auch die Lobbyisten haben zu viel Macht über die Partei bekommen, was nicht gut ist für unser Land.

Im Interview: Kanzlerkandidat Olaf Scholz

26:06

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MKC: Rot-Rot-Grün nur, wenn Sie auch der Kanzler sind?

Ich will die nächste Regierung führen, und deshalb werbe ich um mein klares Mandat der Bürgerinnen und Bürger. Und natürlich -

MKC: Also werden Sie auch Vizekanzler in so einer Koalition, wäre das möglich?

...Kanzler werden - das ist das, worum es geht. Und es ist gut, dass wir mehrere Optionen haben, eine Regierung zu bilden. Wichtig ist, dass man dabei klare Prinzipien hat. Zu meinen zählt zum Beispiel, dass ich mich sehr bekenne zu Deutschlands Verantwortung im Rahmen der transatlantischen Partnerschaft der NATO und dass ich finde, dass wir alles dafür tun müssen, dass Europa stark und souverän ist und dass wir unseren Beitrag als großes Land in der Mitte der Europäischen Union dazu leisten. Und es geht natürlich auch um solides Wirtschaften in Deutschland, wenn es um den Haushalt des Bundes geht. Aber auch wenn es darum geht, wie wir für gute Arbeitsplätze und eine ordentliche Wirtschaftsentwicklung sorgen.

MKC: Wir haben jetzt einen Wahlkampf. Da haben Sie sich ganz klar dazu bekannt, dass der auch mit harten Bandagen geführt werden kann. Das heißt auch Attacken gegen Ihre Konkurrenten. Sie mussten gestern oder haben gestern bekanntgegeben, dass Sie einen Wahlkampf-Spot zurückziehen. Darin wurde Ihrem Konkurrenten vorgeworfen, dass, wer ihn wählt, erzkatholisch wählen würde. Das hat zu Reaktionen geführt -

JAK: - zu sehr viel Kritik in den sozialen Medien. Und einige werfen Ihnen vor, dass Sie einen unfairen Wahlkampf betreiben. Müssen Sie sich dafür entschuldigen?

Wir machen einen sehr fairen Wahlkampf. Und dazu gehört natürlich auch, dass politische Unterschiede diskutiert werden, z.B. dass die CDU/CSU sich fest vorgenommen haben, Steuersenkungen für Leute, die so viel und noch viel mehr als ich verdienen, zu organisieren. Für Unternehmen mit sehr, sehr großen Gewinnen, 30 Milliarden Euro. Und ansonsten bleiben die Beteiligten dort sehr vage, was ja eine klare Botschaft ist. Das geht ja nur, nachdem wir jetzt Wirtschaft und Arbeitsplätze gerettet haben mit einer Kreditaufnahme von knapp 400 Milliarden Euro im nächsten Jahr. Wenn man dann kürzt beim Sozialen, wenn man dann dazu beiträgt, dass Infrastruktur-Investitionen nicht getätigt werden, die für die Zukunft wichtig sind. Und deshalb sage ich klar, das ist ein politischer Unterschied, über den muss auch diskutiert werden. Das gilt auch für die Frage, wenn wir etwa herausfinden wollen, wie können wir die wirtschaftlichen Grundlagen Deutschlands sichern. Das wird nur gehen, wenn wir die Energieerzeugung massiv ausweiten. Etwas, was CDU/ CSU abgelehnt haben. Und wenn wir es schaffen, dann auch die entsprechenden Entscheidungen schnell im ersten Jahr der neuen Regierung zu treffen.

MKC: Aber sie wollen ja den Spot werden Sie zurückziehen. Genau. Und da war der Vorwurf "Erzkatholisch und Unfair" - das war ja jetzt die Frage,

Er ist ein einziges Mal gesendet worden. Deswegen sprechen ja auch ganz viele darüber, die ihn noch nie gesehen haben, weil sie es gar nicht konnten. Und ganz klar ist doch, dass man über die Fragen, die da aufgeworfen werden und die aufgeworfen werden, in der politischen Debatte diskutieren müssen/ muss. Ich zum Beispiel finde schon, dass wir als offene, faire, liberale Gesellschaft dafür Sorge tragen müssen, dass wir ein gutes Miteinander haben und dass jeder nach seiner Fasson glücklich werden kann. Und was auch für mich klar ist, dass natürlich jeder seinen religiösen Bekenntnissen nachgehen kann. Das ist etwas, was ich als jemand, der in diesem Land aufgewachsen ist, immer verteidigt habe. Darum geht es auch nicht. Das weiß auch jeder. Auch Sie.

JAK: Sie haben es trotzdem zurückgenommen und die Kritik, wie reagieren Sie auf die Kritik, die gekommen ist und dass viele das wirklich unfair finden da. Das interessiert viele, vor allem in den sozialen Medien. Was sagen Sie dazu?

Wichtig ist ja, dass die Frage nicht eine Fakten-Behauptung ist. Und das sage ich nochmal: Er ist ein einziges Mal ausgespielt worden. Und das ist eine Entscheidung, die der Kampagnenleiter schon lange getroffen hatte.

MKC: Lassen Sie uns über soziale Gerechtigkeit sprechen. Das ist ja auch ein wichtiges Thema für die Sozialdemokraten. Die Corona-Pandemie, in der wir uns ja mittendrin immer noch befinden, hat für viele Menschen eine besondere Härte bedeutet. Und diejenigen, die wenig hatten, haben jetzt noch weniger. Und das ist sehr schwer, da wieder rauszukommen. Besonders betroffen sind natürlich Frauen. Es gibt ja auch den aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung. Was werden Sie als Bundeskanzler für Frauen tun, damit sich das ändert?

Zunächst mal ist richtig, was Sie sagen, dass die Pandemie natürlich schwierig gewesen ist, vor allem für diejenigen, die wenig Geld verdienen. Deshalb haben wir ja auch dafür gesorgt, dass möglichst viele Jobs erhalten bleiben. Die Kurzarbeit zur Bekämpfung der Krise, die ich ja schon einmal eingeführt hatte als Arbeitsminister in der letzten großen Krise 2008/2009, hat jetzt wieder geholfen und über zwei Millionen Jobs gesichert. Wir haben das getan.

MKC: Aber es reicht vermutlich nicht.

Wir haben was getan für Alleinerziehende, indem wir Freibeträge angehoben haben. Wir haben für Familien und Kinder Bonusse gezahlt, damit gerade da, wo wenig Geld existiert, ein bisschen zusätzliche Mittel zur Verfügung stehen. Aber klar ist: Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine richtige Gleichstellung zwischen Männern und Frauen in Deutschland auch erreichen. Und das hat etwas damit zu tun, dass auch die Löhne besser werden müssen, gerade dort, wo viele Frauen beschäftigt sind. Denn das ist ja eine der Ursachen für den Gender Pay Gap, über den so viel gesprochen wird. Dass, wenn es typische Frauenberufe sind, auch typischerweise weniger gezahlt wird. Und darum bin ich sehr froh darüber, dass wir es auf den letzten Metern im dritten Anlauf geschafft haben, zum Beispiel die Bezahlung von Altenpflegerinnen und Altenpflegern zu verbessern und vorzuschreiben, dass die Altenpflegeeinrichtungen nur dann bei der Pflegekasse abrechnen können, wenn sie auch entsprechend Tarif zahlen. Ein Weg, ein anderer, der mir ganz wichtig ist, ist, dafür zu sorgen, dass wir einen Mindestlohn in Deutschland einführen, der zehn Millionen Bürgerinnen und Bürgern bessere Löhne bescheren wird.

MKC: Aber Herr Scholz, reicht das? Das Armutsrisiko ist da und besonders für Frauen. Was werden Sie da als erstes tun, um die Frauen besser zu schützen und aus dieser Armut, wenn sie sich darin befinden, herauszubringen?

Zwei Dinge habe ich schon genannt: bessere Löhne. Dafür muss man auch kämpfen. Das reicht nicht, das als Literatur zu erörtern, sondern das muss ja real getan werden. Ich habe ein Gesetz gezeigt, das wir schon durchgesetzt haben. Auch den Mindestlohn haben wir schon einmal durchgesetzt. Wir wollen ihn jetzt auf 12 Euro anheben und er wird gerade vor allem Frauen helfen. Und die zweite Sache, die dafür ganz wichtig ist, ist, dass wir vorankommen beim Ausbau der Kinderbetreuung, der Ganztagsbetreuung an den Schulen. Dafür haben wir bereits Mittel bereitgestellt. Und das will ich auch weitermachen, damit wir es erreichen, dass wie das in einigen Ländern in Deutschland auch der Fall ist, es generell so ist, dass wir ein flächendeckendes Angebot von Ganztagsbetreuung haben und Gebührenfreiheit in dem Bereich.

JAK: Wir haben nach Deutschland geschaut, aber die Corona-Pandemie hat natürlich auch weltweit die soziale Ungleichheit verschärft. Wir haben viele Fragen dazu bekommen von unseren Zuschauern. Wir schauen jetzt in die USA und hören eine Frage.

Bild: DW/R. Oberhammer

Frage eines Bürgers aus den USA: Wenn ich der nächsten Kanzlerin oder dem nächsten Kanzler eine Frage stellen könnte, würde ich fragen: Wie wollen Sie mit den wirtschaftlichen Schäden der Pandemie umgehen, und wie wollen Sie Ländern dabei helfen, denen es nicht so gut geht wie Deutschland?

JAK: Das ist klar. Was wollen Sie machen?

Zunächst mal haben wir 400 Milliarden Dollar, 400 Milliarden Euro werden wir eingesetzt haben am Ende des nächsten Jahres, um die wirtschaftlichen Schäden der Pandemie in Deutschland zu bekämpfen. Und wir sehen, dass wir jetzt einen guten Aufschwung haben. Da, wo es besonders schwer ist im Bereich von Veranstaltungswirtschaft, Kultur, im Bereich der Gastronomie. Da müssen wir natürlich noch länger dafür sorgen, dass es wieder einen ordentlichen Aufschwung geben kann und dass niemand vergessen wird. Und dann haben wir, auch das ist ja gut an der Frage, an der Verantwortung für die übrige Welt. Ich habe mich deshalb sehr dafür eingesetzt, dass wir Schuldenerleichterung, Schuldenmoratorien mit beschließen im Bereich der G-7-Staaten, der G20-Staaten, in den Sektoren, wo das möglich ist, das durchzusetzen. Und Deutschland hat in vielen Fällen auch geholfen, insbesondere Milliarden bereitgestellt, um Impfdosen für die Welt beschaffen zu können.

MKC: Das ist das Thema. Die Verteilung von Impfdosen. Während bei uns in Deutschland mehr als jeder zweite bereits eine zweifache Impfung erhalten hat- in Afrika sieht es ganz anders aus, nur als ein Beispiel: da haben gerade mal zwei Prozent der Bevölkerung die Zweitimpfung erhalten. Und gerade Pflegekräfte zum Beispiel haben die in der Regel noch überhaupt nicht. Was werden Sie als Bundeskanzler tun, damit sich das ändert? Also sind Sie bereit, zum Beispiel den Patentschutz aufzugeben oder großflächig Impfdosen nach Afrika liefern zu lassen?

Zunächst haben wir das getan, was ich eben schon angedeutet habe, nämlich Milliarden bereitgestellt für internationale Institutionen, damit sie die ärmsten Länder bei der Impfstoff-Beschaffung unterstützen können. Zweitens bin ich sehr froh, dass Europa niemals einen Export-Stopp gemacht hat für Impfdosen. Das war eine richtige Entscheidung, ganz anders als anderswo in der Welt. Und wir müssen auch weiter dafür sorgen, dass Impfstoffe in alle Welt exportiert werden. Und wir müssen die Produktionskapazitäten so ausweiten, dass auch die übrige Welt mitversorgt werden kann. Dafür haben wir Sorge getragen und wollen auch in der Zukunft weiter Sorge dafür tragen, dass es viele Impfstoffe gibt, die in alle Welt kommen können.

JAK: Scheinbar reicht es ja auch nicht - zwei Prozent geimpft, das ist eine sehr, sehr, sehr geringe Zahl. Das sehen Sie bestimmt auch so.

MKC: Wie sieht es aus mit dem Patentschutz? Das hat ja die Bundeskanzlerin ausgeschlossen, dass wir den aufgeben, damit dann auch vor Ort entsprechend produziert werden kann. Was ist da Ihre Haltung dazu?

Der Aufbau von Produktionskapazitäten mit den neuesten Impfstoffen ist eine Sache, die sich sehr, sehr lange hinziehen wird, wie wir auch hierzulande festgestellt haben. Es gibt jetzt ein Kooperationsabkommen für den Aufbau einer Produktionskapazität im südlichen Afrika. Das finde ich sehr, sehr gut. Und das ist auch der richtige Weg. Aber nochmal: Ich mache mir gegenwärtig große Sorgen, dass es zwar die Milliarden gibt, die wir bereitgestellt haben und wo ich hoffe, dass noch mehr Länder dabei mitmachen, dass Impfdosen beschafft werden können, dass auch die Produktion groß genug ist, um Milliarden Impfdosen in alle Welt zu versenden und dort einzusetzen. Dass aber der nächste Schritt, nämlich dass diese Impfdosen auch vor Ort ankommen, nicht so gut organisiert ist und nicht gelingt.

MKC: Aber wer muss das organisieren?

Das muss eine Verantwortung der internationalen Gemeinschaft sein, dass sie die Länder dabei unterstützt. Und natürlich müssen die Regierungen aller dieser Länder auch ihren Beitrag dazu leisten, dass dann die Möglichkeiten jetzt auch real genutzt werden. Auf alle Fälle haben wir eine Verantwortung für die ganze Welt mit und wir dürfen uns nicht alleine auf uns selber besinnen, sondern wir müssen dafür sorgen, dass alle in dieser Welt geimpft werden können.

MKC: Aber können Sie auch eine Zeitachse sagen, dass Sie sagen innerhalb der nächsten drei Monate oder nächsten sechs Monate, wenn ich Kanzler wäre, würde ich das umsetzen?

Ich habe sogar als Bundesminister für Finanzen und zusammen mit der ganzen Bundesregierung dafür gesorgt, dass wir genau das tun, was ich eben gesagt habe. Also es fehlt nicht an der Bereitschaft, Geld zu geben. Es ist bereits geschehen und es sollte jetzt auch eingesetzt werden. Es fehlt nicht an der Bereitschaft, Produktionskapazitäten so hoch zu organisieren, dass auch genügend Impfstoffe zur Verfügung stehen. Es muss jetzt organisiert werden von all denen, die da Verantwortung haben im internationalen Bereich und von den Ländern, um die es geht, dass die Impfstoffe auch zu den Bürgerinnen und Bürgern dieser Länder im globalen Süden kommen.

Moderator Jaafar Abdul-Karim und DW-Chefredakteurin Kasper-ClaridgeBild: Ronka Oberhammer/DW

JAK: Laut Experten ist die größte Herausforderung, die die Menschheit heute zu meistern hat, ist die Klimakrise und nicht der Kampf gegen die Corona-Krise. Bei der Corona-Krise sind sehr schnell Entscheidungen und Maßnahmen ergriffen worden von der Politik. Warum ist das nicht der Fall bei der Klimakrise?

Bei der Klimakrise -

JAK: Fokus auf sehr schnell.

Ja, es sind in Sachen Klimakrise sehr weitreichende Entscheidungen getroffen worden. Schon viele Jahre lang. Deutschland hat ja auch, gerade weil wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dafür eingesetzt haben, ein weltweit als vorbildlich empfundenes Gesetz über den Ausbau erneuerbarer Energien –

JAK: Das reicht aber nicht, das wissen Sie auch!

- und viele der Technologien dazu entwickelt, die dazu notwendig sind. Wir haben zum zweiten ein Klimaschutzgesetz beschlossen, mit dem wahrscheinlich ehrgeizigsten Programm, nämlich in knapp 25 Jahren bis 2045 CO2-neutral zu wirtschaften, und wir haben drittens gegenwärtig einen harten Streit über die Frage, wie wir das, was für eine CO2-neutrale Industrie notwendig ist, auch hinbekommen. Da bekenne ich mich zu meiner Haltung, die lautet: Wir müssen die Erzeugungskapazitäten für erneuerbare Energien massiv ausbauen, was von CDU/ CSU abgelehnt wurde, noch in den letzten Sitzungstagen des Bundestages vor der Sommerpause. Wir müssen die Gesetze so ändern, dass wir auch schnell fertig werden mit dem Ausbau der Stromnetze und der Erzeugungskapazität mit Windkraftanlagen auf hoher See, an Land mit Solarenergie. Damit das gelingt, nur um Ihnen das einmal an sehr klaren Zahlen festzumachen: Die Chemieindustrie braucht um 2050 so viel Strom wie heute ganz Deutschland, damit es CO2-neutrale Chemie gibt. Und wir brauchen 2030 viel mehr als heute - was allerdings der konservative Koalitionspartner noch vor wenigen Tagen für falsch gehalten hat. Das ist das eine Problem. Das andere Problem ist der fehlende Mut von vielen, die vor Ort Verantwortung haben. Denn man muss, wenn man neue Stromleitungen baut, wenn man Windkraftanlagen errichtet, ja auch bereit sein, das durchzusetzen. Und dass ein von einem grünen Ministerpräsidenten regiertes Land wie Baden-Württemberg im letzten Jahr gerade mal 12 Windkraftanlagen schafft, zeigt, dass es eben auch um die Bereitschaft geht, den Bagger zu nehmen und die Stromleitungen und Windkraftanlagen zu errichten.

MKC: Aber Herr Scholz, als Kanzler müssen Sie sich natürlich auch an die Vorgaben halten und können eben nicht so einfach durchsetzen, wie Sie vielleicht wollen. Wie wollen Sie da radikalere Maßnahmen zum Klimaschutz erreichen? Und vor allen Dingen schneller. Experten haben Ihr Programm analysiert, haben gesagt: Das reicht nicht, um das zu erreichen.

Die Experten, mit denen ich mein Programm entwickelt habe, auch viele aus dem Bereich derjenigen, die sich einsetzen für den Klimaschutz, sagen, das ist das ehrgeizigste, reale faktische Programm, das es in diesem Zusammenhang gibt. Und das unterstreiche ich auch. Wir müssen schon im ersten Jahr der neuen Legislaturperiode die Erzeugungskapazitäten für Strom per Gesetz so hoch festlegen, dass der Ausbau entsprechend erfolgen kann. Und wir müssen alle Gesetze ändern, damit eben die Genehmigung einer Windkraftanlage nicht sechs Jahre dauert, sondern sechs Monate.

JAK: Was auch ein Thema ist, das unsere Zuschauer interessiert, ist natürlich Afghanistan. Die Lage dort wird von Tag zu Tag gefährlicher. Taliban eroberten Kundus und sind auf dem Vormarsch. Die Menschen leben in Angst. Und trotzdem erklärt Deutschland, dass Afghanistan ein sicheres Land ist und will nach wie vor Ausreisepflichtige dahin abschieben. Halten Sie das heute weiterhin moralisch für vertretbar?

Deutschland ist ein Land, das viele Flüchtlinge aufgenommen hat, die Schutz hier gesucht haben, und zu dieser Aufnahmebereitschaft gehört aber auch, dass jemand, der in Deutschland schwere Straftaten verwirklicht hat, nicht darauf rechnen kann, dass er hierbleiben kann.

JAK: Das heißt, Sie würden heute jemand, der ausreisepflichtig ist, nach Afghanistan abschieben, wenn wir über heute konkret reden?

Wenn wir über die letzte Woche konkret reden, wo es ja den Versuch gab, Straftäter abzuschieben, dann wäre das eine richtige Entscheidung gewesen. Zu der Zeit noch -

JAK: Aber ist das menschenrechtlich vertretbar, Menschen in ein Land abzuschieben, auch wenn sie Ausreisepflichtige sind, wo es gerade Gefahr gibt, wo es um Leben und Tod geht? Können Sie das vertreten?

MKC: Die EU-Botschafter haben sich dagegen gewandt, nicht?

Trotz der vielen freundlichen Worte, die Sie machen, sollten wir nicht aneinander vorbeireden. Und ich wiederhole den Satz, den Sie in Ihrer Frage nicht aufnehmen, nämlich, dass ich sage: Es ist richtig, dass jemand, der schwere Straftaten verwirklicht, nicht darauf rechnen kann, dass er hierbleiben kann. Und das gehört auch zum Schutz von Flüchtlingen dazu.

MKC: Also Sie würden weiter abschieben?

Zum zweiten ist es so, dass es für alle Länder, in die wir abschieben, regelmäßige Überprüfungsverfahren gibt, ob das möglich ist. Das ist ein sehr geordnetes Verfahren, das das Auswärtige Amt vorab vorbereitet. Und das findet regelmäßig statt. Und wenn die nächste Entscheidung dazu anfällt, dann wird auch eine Überprüfung damit verbunden sein. Aber das ist ein geordnetes Verfahren, das -

JAK: Aber was ist Ihre Einschätzung?

...dass man nicht einfach, weil man eine Meinung dazu hat, machen kann, sondern da muss man sich intensiv mit der Sache beschäftigen.

MKC: Also die EU-Botschafter haben ja gesagt, es soll im Moment bitte nicht abgeschoben werden. Die Situation in Afghanistan ist zu gefährlich, die haben sich ja auch eine Meinung gebildet. Also insofern, darüber kann man schon diskutieren.

Man kann ehrlicherweise vor allem ordentliche Politik machen, indem man sagt, es gibt dazu ein richtiges Verfahren, das nicht mit Zuruf von Meinung erfolgt, sondern damit, dass man sagt: Wir überprüfen die Situation, übrigens auch mit vielen Informationen von der Lage vor Ort. Und genau das Verfahren findet regelmäßig statt. Und auch in Sachen Afghanistan.

JAK: Ein Thema, das auch unsere Zuschauer interessiert, ist natürlich auch Flucht. Und wenn wir nach Deutschland schauen, kann es natürlich auch immer wieder vorkommen, dass Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Werden Sie beispielsweise afghanische Flüchtlinge dann in Deutschland reinlassen?

Es gibt dazu klare gesetzliche Regeln, wer hier Schutz suchen kann, nämlich dann, wenn dazu ausreichend Gründe und Fluchtgründe vorliegen. Das ist das, was wir immer gemacht haben. Deutschland hat in der Vergangenheit viele Flüchtlinge aufgenommen. Und zu dem pragmatischen Humanismus, der damit verbunden ist, gehört immer beides, nämlich erstens die Bereitschaft, das zu tun, aber auch die Aussage, dass natürlich nur diejenigen eine Perspektive hierzulande haben, die sich auch auf Schutz und Fluchtgründe berufen können. Und das darlegen können. Und das muss das Verfahren bleiben, damit wir die Kraft haben, unsere Verantwortung wahrzunehmen. Mir ist wichtig, dass ich bei der Gelegenheit einfach nochmal sehr klar sage: Die Verantwortung für Flüchtlinge geht über das hinaus, was hierzulande oft diskutiert wird. Nicht nur, dass nicht nur Deutschland, sondern auch Europa insgesamt eine Verantwortung hat, sondern auch, dass wir uns klar machen, dass die allermeisten Flüchtlinge - und das sind ja zig Millionen in der Welt - Schutz oft in einem Nachbarland gefunden haben -

MKC: In der Türkei in dem Fall, und wir haben da dramatische Situationen. Wir kriegen Berichte von unseren Korrespondenten, wo Flüchtlinge über die Grenze kommen, über die iranische Grenze aus Afghanistan und wirklich verzweifelte Situationen sind. Und da die Frage: Würden Sie mehr afghanische Flüchtlinge auch nach Deutschland lassen?

Nochmal die ganz klare Antwort, damit wir uns nicht verlieren. Aus meiner Sicht ist es so, dass wir eine Verantwortung haben, auch für die Flüchtlinge, die anderswo in der Welt Schutz gefunden haben. Das fehlt mir in der deutschen oder auch der europäischen Politik, dass wir uns eben auch Sorgen machen: Was ist, wenn man in einem Nachbarland angekommen ist? Oft übrigens Länder, die nicht so regiert werden, wie wir das uns in Deutschland vorstellen, aber die erst einmal Sicherheit und Schutz bieten. Und deshalb muss es Integrationsperspektiven auch dort vor Ort, in Afrika, in Asien, im Süden Amerikas geben und wir uns mitverantwortlich fühlen. Das ist jedenfalls die Aufgabe, die wir haben und von der wir uns auch nicht... die auch eine größere Rolle spielen muss als das bisher der Fall ist. Und wir können uns nicht immer darauf konzentrieren zu sagen: Die Probleme werden nur dann akut, wenn jemand an der Tür hier anklopft.

MKC: Herr Scholz, eine andere Frage, was unsere Zuschauer sehr beschäftigt ist das Thema Russland. Wie ist Ihre Haltung zu Russland? Die Zivilgesellschaft in Russland ist ja sehr stark dezimiert worden. Oppositionelle werden verfolgt, und wir haben eine Zuschauerfrage, die wollen wir jetzt nicht einspielen. Aber der Zuschauer fragte: Sind Sie bereit, Wladimir Putin zu treffen? Und welche Themen wollen Sie mit ihm ansprechen?

Die deutsche Regierung hat sich immer mit der russischen Regierung getroffen und in den letzten Jahren hat es viele, viele Gespräche gegeben. Deshalb vielleicht eine Aussage zu dem, wie ich mir das vorstelle für die Zukunft. Es gibt eine gute Tradition, die von Willy Brandt und Helmut Schmidt in Deutschland begründet worden ist über gemeinsame Sicherheit in Europa. Dazu gibt es auch Entscheidungen bei der OSZE/KSZE mit gemeinsamen Kriterien, die festgelegt worden sind, zu denen übrigens auch die klare Aussage zählt, dass wir uns dazu bekennen, dass Grenzen in Europa nicht mehr mit Gewalt verschoben werden sollen. Das hat Russland verletzt. Ein ganz, ganz großes Problem mit der Krim-Annexion. Und unverändert haben wir die Probleme durch die schwierige Situation im Osten der Ukraine. Und deshalb ist es notwendig, dass alle wieder zurückkehren dazu, dass hier die Herrschaft des Rechts und nicht das Recht des Stärkeren gilt.

MKC: Werden Sie da harte Worte auch gegenüber Wladimir Putin finden und sagen, so geht es nicht weiter?

Wir müssen zu den KSZE/OSZE-Prinzipien zurückkehren, weil das die Grundlage dafür ist, dass wir eine Perspektive entwickeln. Und deshalb ist es auch richtig, dass Deutschland hier immer mit anderen zusammen handelt. Und das will ich gerne ergänzen. Was wir brauchen ist eine neue Ostpolitik, die diesen Gedanken von KSZE und OSZE wieder stark macht. Aber es ist diesmal eine der Europäischen Union. Und da werbe ich allerdings auch dafür, dass Russland und andere akzeptieren, dass es die weitere Integration Europas geben wird. Wir wollen nicht zurückkehren zu einer Politik des 17., 18. und 19. Jahrhunderts, wo dann Mächte miteinander Politik machen - Russland, Deutschland, Frankreich, England. Sondern es geht schon um die Europäische Union und Russland, wenn man gemeinsame Sicherheit in Europa organisieren will.

JAK: Eine ganz kurze Antwort wäre super: Zurzeit leben ja über 800.000 Syrer in Deutschland, die aus Syrien geflohen sind. Viele fragen sich: Müssen sie mit einer Rückkehr oder einer Abschiebung rechnen, solange Assad an der Macht ist? Wenn Sie Kanzler werden, was sagen Sie dazu?

Viele haben hier ja Schutz gefunden, richtigerweise, haben sich gut integriert. Auch das ist der Fall. Und aus meiner Sicht ist es so, dass wir gegenwärtig keine Situation haben, in der es möglich wäre, da jemanden zurückzuführen. Ich will aber ausdrücklich sagen: Wir müssen schon bei allen sagen, es bleibt immer dabei, dass die wichtigste Aufgabe von uns allen ist, dafür zu sorgen, dass jeder hier Teil hat mit guter Ausbildung, mit einer ordentlichen Berufstätigkeit und all den Möglichkeiten, die da verbunden sind.

JAK: Wir kommen leider zum Ende.

MKC: Ja, wir haben Sie am Anfang gefragt: Was können Sie, was Angela Merkel nicht kann? Kann auch Angela Merkel etwas, was Sie nicht können? Also können Sie etwas von der Kanzlerin lernen? Ganz kurz?

Ich finde, sie hat schon immer die Fähigkeit besessen, lange, lange Sachen auszusitzen  -

MKC: Also das Aussitzen, das wärs!

JAK: Danke, Herr Scholz, für die Lage. Aber die Zeit ist leider vorbei.

Danke Ihnen, vielen herzlichen Dank!

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