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Politik

Olaf Scholz: Nüchtern, pragmatisch - nun Bundeskanzler

8. Dezember 2021

Wer ist der neue Regierungschef? Der Sozialdemokrat Olaf Scholz besitzt viel Erfahrung in politischen Spitzenämtern, aber wenig Charisma. Als spröder, nüchterner Pragmatiker wurde er oft unterschätzt.

Deutschland | Schloss Bellevue - Ernennungsurkunde Scholz
Bundeskanzler Olaf Scholz nach seiner Ernennung durch den BundespräsidentenBild: Emmanuele Contini/Getty Images

Deutschland hat einen neuen Bundeskanzler. Mit der Mehrheit der gewählten Abgeordneten von SPD, Grünen und FDP, die die neue Regierungskoalition bilden, ist der Sozialdemokrat Olaf Scholz vom Bundestag zum neuen Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt worden. Seinen Amtseid leistete der 63-Jährige ohne den Zusatz "So wahr mir Gott helfe." Scholz ist konfessionslos.

Dass er Kanzler werden würde, daran hatte sehr lange kaum jemand geglaubt. Schon seine Nominierung als SPD-Kanzlerkandidat war überraschend, nachdem er 2019 im Kampf um den SPD-Vorsitz unterlegen gewesen war. Nicht nur, weil sich die Partei nach einer explizit linken Führung sehnte. Sondern weil der introvertierte Pragmatiker es nie geschafft hatte, die Herzen der oft sehr emotionalen Sozialdemokraten zu erobern.

Die SPD war längst abgeschrieben

Doch Olaf Scholz, seit 2018 Bundesfinanzminister und Vizekanzler, war das einzige politische Schwergewicht der Sozialdemokraten, dem der Job überhaupt noch zuzutrauen war. Die SPD, Juniorpartner in einer Koalition mit CDU und CSU, lag in Wählerbefragungen hoffnungslos abgeschlagen zurück.

Die SPD-Vorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken stellten Olaf Scholz im August 2020 als Kanzlerkandidaten vorBild: Reuters/Bensch

Viele Monate wurde der Wahlkämpfer Scholz öffentlich belächelt. Fast weltfremd wirkte es, wenn er unbeirrt seinen Siegeswillen kundtat und behauptete, er werde der künftige Bundeskanzler. Doch die stoische Art, mit der er äußerlich unbeeindruckt seine Kampagne durchzog, ist eines der Erfolgsgeheimnisse des neuen Bundeskanzlers.

Wie Teflon: Vieles perlt an ihm ab

Niederlagen klaglos wegstecken, aufstehen, unbeirrt weitermachen und nie an sich zweifeln, das ist das Motto des 1958 in Osnabrück geborenen Olaf Scholz. Seit einigen Jahren lebt er zusammen mit seiner Frau, der brandenburgischen Bildungsministerin Britta Ernst, in Potsdam vor den Toren Berlins. Scholz ist mit einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein gesegnet. In seiner jahrzehntelangen politischen Karriere hat er schon so manche Erschütterung erlebt, keine hat ihn längerfristig aus der Bahn werfen können.

Schwere Wasser unbeschadet überstanden: Olaf Scholz im April vor der Befragung im Wirecard-UntersuchungsausschussBild: MICHELE TANTUSSI/AFP via Getty Images

Noch nicht einmal die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zum Cum-Ex-Steuerskandal und zum Wirecard-Betrugsfall konnten ihm etwas anhaben. Zwar machte er bei den Befragungen im Ausschuss keine gute Figur: Ständig gab er vor, sich an nichts erinnern zu können. Doch die anschließende, auch öffentliche Kritik verpuffte mangels Masse: Es blieb nichts hängen.

Geräuschloser und effizienter Aufstieg

Zäh und beharrlich hat sich Olaf Scholz auf der politischen Karriereleiter nach oben gearbeitet. Dabei machte er einen beachtlichen Wandel durch. Als stellvertretender Vorsitzender der SPD-Jugendorganisation Jusos warb er in den achtziger Jahren noch radikalsozialistisch für "die Überwindung der kapitalistischen Ökonomie".

Olaf Scholz 1984 auf dem Bundeskongress der JungsozialistenBild: Gladstone/Wikipedia

Doch durch seine Arbeit als Fachanwalt für Arbeitsrecht mit eigener Kanzlei in Hamburg lernte der Jurist viel darüber, wie Wirtschaft und selbständiges Unternehmertum funktionieren. Das prägte ihn.

Als Hamburger Innensenator war Olaf Scholz 2001 auch für die Feuerwehr zuständigBild: hans-Jürgen Wege/dpa/picture alliance

Nicht nur wirtschaftspolitisch wurde Scholz bald dem eher konservativen Flügel der SPD zugeordnet. Als Innensenator in seiner Heimatstadt Hamburg führte er 2001 die zwangsweise Verabreichung von Brechmitteln zur Beweissicherung bei mutmaßlichen Drogendealern ein. Als SPD-Generalsekretär setzte er die Arbeitsmarktreform "Agenda 2010" gegen den Willen vieler linker Parteigenossen mit durch. Diese Reform setzte Arbeitslose auch finanziell stärker unter Druck.

Große Emotionen sind ihm fremd

Da er das geradezu maschinengleich mit sich immer wiederholenden technokratischen Sprechformeln tat, bekam er damals den Spitznamen "Scholzomat", ein Wortspiel aus Scholz und Automat. "Ich war der Verkäufer der Botschaft. Ich musste eine gewisse Unerbittlichkeit an den Tag legen", rechtfertigte sich Scholz später.

Als "Scholzomat" hatte er noch mehr Haare: SPD-Generalsekretär Olaf Scholz im Mai 2003Bild: Ingo Wagner/dpaweb/dpa/picture alliance

Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Olaf Scholz ist kein Mensch, der große Emotionen zeigen und aus sich herausgehen kann. Das ist ihm fremd. Er ist ein durch und durch beherrschter Mensch. Selbst in Momenten größter Freude erinnert er an einen britischen Butler. Selbst auf seine Wahl zum Bundeskanzler reagierte er nur mit einem Lächeln, mehr ließ er sich nicht anmerken.

Bundeskanzler Olaf Scholz nach seiner Wahl im ParlamentBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Menschen, die ihn gut kennen und schon lange mit ihm zusammenarbeiten behaupten, sie hätten ihn noch nie laut werden oder gar schreien hören, wenn er eigentlich wütend sein müsste.

Wenn ihn etwas aufregt, tritt er höchstens mal von einem Bein auf das andere - und er bekommt rote Ohren. Zu beobachten war das in einem TV-Wahlkampfduell, als Scholz sich von seinem CDU-Konkurrenten ungerechtfertigt angegriffen fühlte.

Doch er arbeitet an seinem Auftreten, wohl wissend, dass man politische Botschaften auch richtig "rüberbringen" muss. Ein gutes Beispiel dafür: Eine Woche vor seiner Wahl zum Bundeskanzler wandte er sich im Fernsehen mit einem eindringlichen Impfappell an die Zuschauer. Ein Auftritt, der in den sozialen Medien auf große Resonanz stieß. Scholz setzte sichtbar mehr Gestik und Mimik ein und wirkte deutlich zugewandter.

Corona und die finanzielle "Bazooka"

Seit 2007 hatte Olaf Scholz fast durchgehend Regierungsämter inne. Erst als Bundesarbeitsminister, dann als Erster Bürgermeister von Hamburg. 2018 wechselte er aus diesem Amt als Bundesfinanzminister und Vizekanzler zurück nach Berlin. Man sagt ihm nach, dass er beim letzten Wechsel das Kanzleramt bereits im Visier hatte.

In der Corona-Pandemie wuchs sein Einfluss. Der Bundesfinanzminister war derjenige, der für die Milliarden-Hilfen stand. Das wusste er zu nutzen, um sich immer wieder in Szene zu setzen. "Es ist die Bazooka, mit der wir das Notwendige jetzt tun", versprach er bereits im Frühjahr 2020, unmittelbar nachdem die Pandemie auch Deutschland erreicht hatte.

"Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie"

Deutschland kann die Pandemie finanziell verkraften, so lautet seitdem sein Motto. 400 Milliarden Euro neue Schulden wird Deutschland bis Ende 2022 aufgenommen haben. Das Land werde aus diesen Schulden herauswachsen können, versprach Scholz im Wahlkampf: "Davor muss sich niemand fürchten, das haben wir schon einmal geschafft, nach der letzten Krise 2008/2009, und wir werden es wieder schaffen in knapp zehn Jahren."

Im April 2021 ließ sich Olaf Scholz medienwirksam den in Deutschland umstrittenen Impfstoff von AstraZeneca verabreichenBild: Florian Gaertner/photothek/imago images

Im Herbst 2021 zeigt sich allerdings, dass die Pandemie noch lange nicht vorbei ist. Die hohen Infektionszahlen wirken sich negativ auf die Wirtschaft aus. Die Ampel wird neue Schulden machen müssen, um Unternehmen zu stützen. Auf Bundeskanzler Olaf Scholz warten enorme Herausforderungen in vielen politischen Bereichen. Außenpolitisch steht er für Kontinuität. "Wir müssen dafür sorgen, dass wir ein starkes, souveränes Europa bekommen, das ist aus meiner Sicht die wichtigste Aufgabe, die wir als Deutsche haben", sagt er. Die Zusammenarbeit mit der NATO gehört genauso zu seinen unverrückbaren Prinzipien wie die Zusammenarbeit mit den USA.

Herausfordernd dürfte auch das Management einer Regierungskoalition sein, die aus drei recht unterschiedlichen Parteien besteht. Auch wenn die Harmonie in den Koalitionsverhandlungen groß gewesen sein mag - die Auseinandersetzungen werden kommen. Dann wird sich Scholz an einen Satz erinnern, den er schon einmal als Erster Bürgermeister in Hamburg gesagt hat: "Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch."

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