Olaf Scholz und Friedrich Merz: Zwei Kanzler, zwei Stile
4. Juni 2025
Ganz schön was los im politischen Berlin seit dem 6. Mai, dem Tag, an dem der Bundestag Friedrich Merz (CDU) zum Bundeskanzler gewählt hat. Beinah täglich überrascht Deutschlands neuer Regierungschef seitdem mit gewagten Äußerungen und mutigen Ankündigungen.
Nicht immer folgen daraus wirklich neue politische Ansätze, aber der Kontrast ist doch groß zu der Zeit davor, als der Bundeskanzler noch Olaf Scholz hieß. Denn der Sozialdemokrat ließ sein Volk dann doch oft im Unklaren darüber, was genau er so plante.
Seinen Mitarbeitern hatte Scholz stets ein Motto ans Herz gelegt: "Wir sind nicht beleidigt, wir werden nicht hysterisch." Mit anderen Worten: Wir strahlen vor allem Ruhe aus, wir verhandeln nicht öffentlich. Scholz hielt diesen Stil durch, bis zum Ende seiner Amtszeit.
Merz: Ein Politiker voller Ungeduld
Merz dagegen war stets die Ungeduld anzumerken, so lange auf das ersehnte Amt warten zu müssen: 2002, vor über zwanzig Jahren, hatte ihn die damalige Vorsitzende der konservativen CDU, die spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel, mehr oder weniger kaltgestellt und übernahm von Merz den wichtigen Fraktionsvorsitz im Bundestag.
Frustriert wechselte Merz ab 2004 Jobs in die Privatwirtschaft und kehrte erst zum Ende von Merkels Amtszeit wieder in die Politik zurück. Jetzt, mit 69 Jahren, erreichte er dann doch noch den Gipfel der Macht in Deutschland: Bundeskanzler. Es ist das erste öffentliche Amt, das Merz in seinem Leben bekleidet.
Ein nüchterner Hanseat, ein reizbarer Konservativer
Scholz und Merz: Unterschiedlicher könnten die Persönlichkeiten kaum sein. Auch die Stile sind grundverschieden: Auf der einen Seite der nüchterne, leise sprechende Hanseat, regierungserfahren schon vor seiner Zeit als Kanzler. Denn Scholz war Bürgermeister in Hamburg, also Ministerpräsident des Stadtstaates, und dann Bundesfinanzminister unter Kanzlerin Merkel. Ein mit allen Wassern gewaschener Politprofi.
Und Merz: Sehr konservativ in seinen Ansichten, leicht reizbar, mit steiler Parteikarriere, aber ohne administrative politische Erfahrung.
Scholz und Merz mögen sich nicht besonders, auch wenn während der Amtsübergabe im Mai versöhnliche Töne zu hören waren. Einst hatte Merz den damaligen Kanzler Scholz einen "Klempner der Macht" genannt, einen fantasielosen Politik-Funktionär also. Und Scholz sprach abschätzig von "Fritze Merz", der oft "Tünkram" erzähle, Unsinn also.
"Was können wir tun?" versus "Das müssen wir tun!"
DW-Politik-Korrespondentin Michaela Küfner kennt beide ganz gut, Merz und Scholz, und hat sie auf vielen Reisen und Terminen begleitet. Zu den unterschiedlichen Stilen der beiden (und auch deren Vorgängerin Angela Merkel) fällt ihr ein: "Während Merkel vom Ende her dachte und Scholz sich scheute, ein politisches Ziel überhaupt zu beschreiben, bevor er den politischen Weg dahin gepflastert hatte, definiert Merz klar seine Ziele."
Das sei in sich schon ein Politikwechsel, so Küfners Analyse. "Vom Vermittelbaren zum Notwendigen. Vom politisch Machbaren zum 'müssen wir machen'."
Erstes Beispiel: Die Ukraine-Politik
Beispiel Ukraine: Bis in den Sommer 2022 brauchte Olaf Scholz, um die im Frühjahr davor von Russland überfallende Ukraine zu besuchen. Um Waffenlieferungen an das bedrohte Land machte der Sozialdemokrat stets lange ein Geheimnis - und lieferte am Ende doch. Nicht aber weitreichende Raketen vom Typ "Taurus", die Experten immer wieder forderten.
Friedrich Merz dagegen brauchte nur ein paar Tage, um die Ukraine zu besuchen, gemeinsam mit Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, dem Premier von Großbritannien, Keir Starmer, und Polens Regierungschef Donald Tusk. Und er verkündete, bald werde es eine Waffenruhe und Friedensgespräche geben. Es kam aber nicht so.
US-Präsident Donald Trump zog seine vorab gegebene Zusage dazu zurück. Was bei der Sprunghaftigkeit des US-Präsidenten keine wirkliche Überraschung war, Scholz jedenfalls hätte sie wohl einkalkuliert.
"Auf seinen starken Auftritt mit Macron, Tusk und Starmer, folgte die diplomatische Blamage", sagt Berlin-Korrespondentin Küfner: "Ein Telefonat zwischen Trump und Putin stellte die führenden Staaten Europas bloß." Merz entgegnete dem mit neuer Sachlichkeit: Man habe es eben probiert. Nun wisse die ganze Welt, dass Putin keinen Frieden will. "Dass diese Niederlage in Führungsstärke münden kann", so Küfner über Merz, "muss er noch beweisen."
Zweites Beispiel: Deutschland und Israel
Und, noch deutlicher: Der Stilwechsel in der deutschen Politik gegenüber Israel. Nach dem Angriff der islamistischen Terror-Miliz Hamas auf Israel im Oktober 2023 lautete die Formulierung von Olaf Scholz zumeist: "Israel hat ein Recht, sich zu verteidigen." Das galt auch dann noch, als die israelische Armee immer heftiger auch gegen die Zivilbevölkerung im Gazastreifen vorging und international zum Einhalten des Völkerrechts aufgefordert wurde.
Merz stand als Oppositionspolitiker in dieser Zeit eigentlich noch fester an der Seite Israels und verkündete gar, er würde anders als Scholz den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu demonstrativ im Kanzleramt empfangen. Auch wenn der vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag seit dem November vergangenen Jahres wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit per Haftbefehl gesucht wird.
Merz: So heftig hat noch kein Kanzler Netanjahu kritisiert
Aber dann, kaum im Amt, die Kehrtwende: Vor einigen Tagen verkündete Merz, nun verstehe er das Vorgehen Israels im Gazakrieg nicht mehr, jedenfalls habe das nichts mehr mit einem legitimen Kampf gegen den Hamas-Terror zu tun. So deutlich hatte sich noch nie ein Kanzler über die Politik einer israelischen Regierung geäußert.
Michaela Küfner sagt: "Merz' Kritik an Israels Vorgehen in Gaza ist ein historischer Schritt. Er scheut sich angesichts befürchteter Völkerrechtsverletzungen nicht, den israelischen Premierminister direkt zu kritisieren. Das ist ein neuer Ton aus Deutschland." Merz habe auch eine Debatte losgetreten, die Scholz erfolgreich vermieden hatte: "Wie weit die deutsche Staatsräson, das Einstehen für die Sicherheit Israels, überhaupt geht."
Aber: Noch kein wirklicher Politikwechsel
Was das praktisch für das deutsch-israelische Verhältnis bedeuten wird, ist noch nicht ausgemacht. Schon unter Olaf Scholz waren etwa Waffenlieferungen an Israel auf ein notwendiges Minimum begrenzt worden, und Friedrich Merz hat jetzt kein Ende der Lieferungen verkündet. Seine Einladung an Netanjahu hat er nicht wiederholt.
Viel verändert hat sich also erst einmal nicht, aber der Ton ist anders. So wird das wohl weitergehen in den nächsten Wochen. Noch muss sich Deutschland an den neuen Politikstil des Bundeskanzlers gewöhnen. Ex-Kanzler Scholz beobachtet das alles nun als einfacher Abgeordneter im Bundestag. Zur Politik seines Nachfolgers hat er sich noch nicht geäußert.